Flipped Meeting als Tagungs-Management-Methode

Während in Deutschland die ersten Herbststürme um die Häuser fegen, war es im italienischen Bozen in den letzten drei Tagen herrlich warm. Genau das richtige Klima, um mit dem ganzen Projektteam von Prepare an unserem zweiten EU-Treffen zu arbeiten (längerer Bericht von Klaus Himpsl-Gutermann & Reinhard Bauer hier). Methodisch neu war, dass wir dieses Treffen als Flipped Meeting organisiert haben (vgl. auch den Beitrag von denkspuren). Aber der Reihe nach …

In der virtuellen Vorphase hatten wir uns mit Blick auf die knappe Zeit in Bozen darauf geeinigt, dass jeder Teilprojektleiter den aktuellen Projektstand in Form eines Videos zusammenfasst und auf edubreak zur Kommentierung aller Mitglieder bereitstellt. Der Effekt: Wir konnten schon im Vorfeld unser Wissen teilen und Probleme identifizieren, über die wir dann in Bozen vertieft diskutieren wollten. Kurz vor Bozen waren mehrere Videos online (Screenvideos und klassische Präsentationen vor dem Beamer) und viele Tn hatten sich mit knapp 100 Videokommentaren argumentativ eingestimmt. Klasse!

In Bozen hatte ich das Gefühl, dass wir schon „drin“ waren, so dass wir auch relativ schnell zur Sache kommen konnten. Das zeigte sich u.a. in der raschen Entwicklung eines der wichtigsten Bausteine im Projekt: Dem verallgemeinerten Ablaufplan für die reflexive Praxis. Unter Ablaufplan verstehen wir ein Vorgehensmodell, welche Aufgaben man bereitstellen muss, um eine Unterrichtsreflexion mit kollaborativem Feedback zu organisieren: (1) Zielsetzung nennen und Erwartungen der Tn zu einem Thema X in einem Blogbeitrag formulieren lassen. (2) Aufforderung, eine Unterrichtssequenz mit Bezug zu (1) zu filmen und online zu stellen. (3) Aufforderung, im Video im Sinne einer Selbstreflexion nach Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken zu suchen und dies mit einem Videokommentar explizit zu machen. (4) Einholen von Feedback seitens der Mitstudierenden durch Rekommentierung/Kommentierung entweder global von allen oder spezifisch von einem Tandempartner. (5) Optional und je nach Ressourcen: Expertenfeedback durch die Lehrenden via Videokommentar einbinden und (6) Formulierung der persönlichen Konsequenzen vor dem Hintergrund von 1-5 in einem Blogbeitrag. Bis hierher sind wir gekommen, weitere Arbeitsschritte in Richtung e-Portfolio-Arbeit (Prozessportfolio = in edubreak) und Inszenierung (Produkt- oder Show Case-Portfolio = in mahara) stehen noch aus.  

Natürlich sind mit diesem Modell noch nicht die konkreten Aufgaben formuliert. Aber ich denke, dass dies nun für jeden von uns machbar ist. Auf jeden Fall ist der Ablaufplan eine gute (allgemeine) Basis, mit der man nun Erfahrungen zur reflexiven Praxis sammeln, austauschen und verfeinern kann.

Wie geht es mit dem „flipped“ nun weiter? Wir haben in Bozen wieder Videos aufgenommen, nicht blind alles, sondern sehr gezielt nur die „verdichteten Gedanken“: Wir haben die Arbeitsergebnisse auf Flipchart von Teammitgliedern noch einmal verbalisieren bzw. rekonstruieren lassen. Genau diese Videos sind die Grundlage dafür, dass wir asynchron in der nächsten Woche online weiterdenken. Dabei soll der Kerngedanke aufgegriffen und verfeinert werden, denn jeder von uns hat bestimmt noch Ideen, sobald er/sie wieder in der jeweiligen Heimat ist.

Wie bewerte ich den Prozess? Die Idee und der hier skizzierte Ablauf haben funktioniert. Was wir in Zukunft besser machen können, sind die Disziplin und die Zeitplanung: Nicht jeder von uns hatte im Vorfeld die Zeit, die Videos zum Arbeitsstand frühzeitig hochzuladen, nicht jeder von uns hat seine Fragen oder Ideen im Videokommentar hinterlassen und sicherlich konnten auch nicht alle Tn die Videokommentare vorab lesen und hier ein kollaboratives Feedback geben. Weiter sehe ich Verbesserungsbedarf in der Zusammenfassung der ~ 100 Videokommentare zu einer Diskussionsagenda. Dies hatte ich relativ schnell zusammengeschustert, was mir aber vor Ort nachgesehen wurde. 

Kurz: Flipped Meeting mit Social Video Learning kann man als Tagungs-Management-Methode einordnen. Die Herausforderung für die Zukunft besteht darin, dass wir an der „flipped culture“ arbeiten, also an den neuen Arbeitsroutinen und Haltungen, die ein solcher Wechsel von Gewohnheiten mit sich bringt – ein Thema, dass aktuell über allen 4.0-Wortkombinationen schwebt. 

Hamburger Tagungen

Anfang/Mitte des Monats war ich gleich auf zwei Tagungen hier im sonnigen Hamburg: Zum Einem auf der Solution Hamburg, einer Fachtagung, die sich um das Thema (humane) Digitalisierung dreht, sowie auf der Talk Meet Innovation (16. HAMBURGER KONGRESS SPORT, ÖKONOMIE UND MEDIEN), einer Veranstaltung, die sich dem Thema „Sport und Stadtentwicklung“ aus einer Vielzahl von (wissenschaftlichen) Perspektiven nähert. Anlass für meinen Besuch auf der Solution war ein Beitrag von Andreas und Lena Siemers (beide Macromedia Hochschule Hamburg) zum Thema „360-Grad-Video/VR“, bei dem wir Ghostthinker im Vorfeld mitwirken konnten. Zwei Gedanken habe ich insbesondere von der Solution mitgenommen: 

Die Gründer und Mit-Initiatoren der Veranstaltung präzisierten zu Beginn (fast schon entschuldigend) den Titel der Veranstaltung: „Digitalisierung: Mannschaftssport für Unternehmen!“ Digitalisierung sei ein irreführender Begriff, weil er nur die technische Facette nahe legt. Dabei gehe es doch vielmehr um eine „gemeinsame Handlungspraxis“, wobei die digitalen Medien eine gute Unterstützung bieten. Ich dachte: „Richtig, wie können wir das noch mehr auf den Begriff bringen?“ 

Angestoßen durch den Tagungstitel gab es eine erste Keynote vom ehemaligen Handballtrainer Heiner Brand. Der Vortrag lebte von den Erfolgen und Erfolgsstrategien aus dem Sport. Nur, was macht man damit in der Wirtschaft? Sein lapidarer Kommentar an die Zuhörer: „Das müssen Sie wissen“. Hier ist es aus meiner Sicht falsch, wenn man die Erfolgsstrategien aus dem Sport einfach in die Wirtschaft trägt und analogisiert und damit die Besonderheiten des Entstehungs- und Anwendungskontextes verwischt. Sport ist NICHT Wirtschaft, … wir erinnern uns, Sven Güldenpfennig hatte gesagt: „Sport ist un-ehrlich, un-friedlich, un-gerecht, un-sozial, un-gesund, un-ökonomisch, un-demokratisch, un-politisch, un-nütz, ja un-sinnig.“ Also, da müssen wir nochmal genauer drüber nachdenken :).

Didaktisches Framing

Der immer noch aktuelle Claim von Ghostthinker lautet: „reframe learning“. Bei der Entwicklung des Claims hatten wir im Sinn, dass vor allem die didaktischen Vorerfahrungen, (epistemischen) Überzeugungen und Wahrnehmungsmuster (kurz: das Mindset) darüber bestimmen, was wir als didaktisch wertvoll oder weniger wertvoll einstufen, und dass eben dieses Mindset als Ausgangspunkt jeglicher Beratung (und Veränderungen) gelten muss. Entsprechend dreht sich ein wesentlicher Teil meiner Beratertätigkeit darum, mit Bildungsverantwortlichen aus Sportverbänden, aber auch außerhalb des Sports, darüber zu sprechen, welche verdeckten Vorstellungen von „guter Lehre“ existieren und wie man sie ggf. kritisch hinterfragen und verändern kann.

Um diese (impliziten) Vorstellungen sichtbar zu machen, nutze ich nicht selten eine Kinderzeichnung, auf der die „Nürnberger Trichter“ durch 180 Grad-Drehung zu kommunikativen „Sprachrohren“ umfunktioniert werden; reframing also auch hier innerhalb der Zeichnung.

In einem eher zufälligen Gespräch mit Dieter Euler letzte Woche in Hamburg bin ich auf diesen Punkt zurückgekommen: Er berichtete von seinen Erfahrungen in der Beratung ausländischer Hochschulen und den Herausforderungen, die gerade im didaktischen Framing liegen, denn: Nicht selten scheitern Implementationsversuche, z.B. weil erst im Prozess deutlich wird, dass die Akteure die didaktischen Überzeugungen nicht (in der Tiefe) teilen, oder weil die Akteure die pädagogisch aufgeladene Sprache nicht verstehen oder verstehen wollen. 

Was tun? Ich glaube, der Weg über die metaphorische (vs. analytische) Visualisierung ist eine Möglichkeit, um zu (impliziten) didaktischen Überzeugungen ins Gespräch zu kommen. Karin Moser, eine Schweizer Kognitions- und Metaphernforscherin,  hatte in den 1990er Jahren die Metaphernanalyse als Methode des Wissensmanagements gedeutet. Hier könnte man sicher nochmal ansetzen, um systematischer als bisher das Verstehen des (didaktischen) Verstehens in den Blick zu nehmen, was auch im Kontext eines „Double-Selfreflexive Scholarship of University Teaching“ (Reinmann/Schmohl) von Interesse sein könnte. 

Trainerbildung im Fußball: Sowohl-als-auch

Unsere Piloten zur Entwicklung von Blended Learning mit Social Video Learning im Deutschen Fußball Bund kommen zum Abschluss. Unter Projektleitung von Wolfgang Möbius hatten Markus Söhngen und ich uns in den letzten Monaten an die Seite der Praxiskollegen gestellt, um an der Neukonzeption mitzuwirken und die Umsetzung im Fußball- und Leichtathletik Verband Westfalen (Lead: Maik Halemeier) und im Fußballverband Sachsen-Anhalt (Lead: Dieter Hausdörfer und Dominik Bernecker) zu begleiten. 

Die bisherigen Erfahrungen sind wirklich positiv: Die Teilnehmer (Trainer!) haben  hunderte von Videokommentaren geschrieben, z.B. zu der Frage, an welchen Spielszenen sie ihre persönliche Fußballphilosophie festmachen oder was sie in einem Spiel sehen, wenn sie sagen, sie sehen etwas „Gutes“. Die Referenten haben erfahren, dass Social Video Learning eine mächtige Methode ist, um an die Gedankenwelt der Teilnehmer zu kommen, und um von ihnen zu erfahren, welche Interpretationen und Erklärungen sie bestimmten Videoszenen zuschreiben. Das sind ideale Einstiegspunkte für gezielte und personalisierte Coaching-Prozesse, so wie es eine kompetenzorientierte Trainerausbildung (→Prof. Sygusch) im Fußball einfordert. Das alles ist anstrengend, macht aber auch Lust auf eine Art fußballerische Intellektualität, die tief mit der Coaching-Praxis verbunden ist.

Auf der DFB Jahrestagung Bildung 2016 konnte ich diese Vorstellungen zum Zusammenhang von Kompetenzorientierung und Nutzung von „cognitive tools“ als Referent noch etwas mehr ausbuchstabieren. Vor allem gelingt mir das am Beispiel von Video-Live-Tagging „auf’n Platz“ und der zeitlich nachgelagerten Videoreflexion durch Social Video Learning. Hier verschmelzen Theorie und Praxis, Online und Präsenz sowie Wissen und Können zu einen neuen Bildungs-„Raum“, in dem man dann besser von „theoriebegleitender Praxis“, „onlinebasierter Präsenz“ oder „wissendem Können“ spricht. In diesem Zusammenhang hatte ich das strukturbildende Potenzial von digitalen Bildungsmedien angesprochen, nämlich die Überwindung von Dualismen: Fragwürdige Dualismen wie Präsenz vs. Online, die uns zu einem „entweder-oder“ verführen, sollten wir auflösen zu einem “Sowohl-als-auch“, wie es Bildungsprozesse (mindestens) im Sport einfordern.

Minitrainer ganz groß

Minitrainer sind Basketballtrainer und Basketballtrainerinnen, die bei Kindern die Freude am Basketball entfachen. Dazu nutzen sie in der Regel eine eigene Kindersprache mit Geschichten und Metaphern, geben kurze, klare Anweisungen, die in direkte Spiel- oder Übungsformen münden und manchmal wird auch gesungen. Spaß ist zentral und über Spaß vermittelt sich die Sache.

Man könnte denken, dass Minitrainer auf vielfältige Möglichkeiten der Aus- und Weiterbildung treffen. Weit gefehlt, denn es gibt praktisch keine wertigen Angebote. Diese Schieflage haben der Deutsche Basketball Ausbildungsfond/Beko BBL und die DBB erkannt und eine Qualifizierungsoffensive für eben diese Minitrainer gestartet. Und genau zum Abschluss des ersten Jahrgangs durfte ich gestern in Berlin ein kleines Ausbildungsmodul übernehmen (im Bild Christian Steinberg). 

Auf dem Programm stand das Thema „Wissensweitergabe unter ReferentenInnen“, das ich in Richtung Experten-Novizen-Kommunikation spezifiziert habe. Eingerahmt durch eine hinführende Online-Phase mit ersten Videos zu einer fiktiven Vermittlungssituation, haben wir uns während der Präsenzzeit von zwei Stunden ein paar wenige Theorie-Elemente angeschaut (z.B. Grounding, Narration), um dann in einem praktischen Teil das Gehörte auch gleich umzusetzen. In der nachfolgenden (zweiten) Online-Phase werden wir die erstellten Videos genauer analysieren, um daraus Folgerungen für die eigene Vermittlungspraxis zu ziehen.

Vielleicht habe ich dem einen oder der anderen ein paar Impulse geben können. Aber ich merke auch, wie begrenzt die Möglichkeit ist, als Nicht-Basketballer zu den Spezifika der Zielgruppe vorzudringen. Umso erfreuter war ich, dass wir gegen Ende des Workshops noch auf einer grundsätzlichen Ebene über den Charakter des neuen Ausbildungsprogramms für Minitrainer sprechen konnten: Soll man die Potenziale aus dem Umgang mit Kindern nicht auch für die Referentenschulung nutzen? Welchen Anteil haben dann Spiel, Narration und Handlungsorientierung? Welchen Typ von Ausbildern wollen wir: den Wissensvermittler oder denjenigen, der mit TrainerInnen Ausbildungsprobleme und -lösungen diskutiert? Welche Rolle spielen die digitalen Medien bei der Neukonzeption des Qualifizierungsprogramms, bei der Wissenserschließung, der Reflexion und Kollaboration und bei der Prüfung? 

Ein Gedanke hat mich auf der Rückreise schon fasziniert: Was wäre, wenn wir die Ausbildung von Erwachsenen radikaler als bisher an den Grundformen des Kindertrainings ausrichten, also eben Ernst machen mit Spiel, Narration und Handlungsorientierung (Trias)? Zusätzlich erforderlich wäre freilich ein Anteil an kritischer Reflexion und Theoriearbeit. Aber auch die könnte man im Sinne der Trias neu erfinden. Also … wie geht Trainingswissenschaft mit „Zwergen und Riesen“? 

Man fühlt das Potenzial für die Zukunft: 360-Grad-Videos, Drohne und VR-Brille in der Trainerbildung

Im Sommersemester 2016 bieten Andreas Hebbel-Seeger und ich erstmals ein Projektseminar zusammen an. Ort des Geschehens ist die Macromedia Hochschule Hamburg. Inhaltlich experimentieren die Studierenden mit den Lernpotenzialen von 360-Grad Videos, Drohnenperspektive und VR-Brille und natürlich nutzen wir für das Projektmanagement edubreak, um Social Video Learning auch auf dieser Ebene fruchtbar zu machen. Damit haben wir alle „Verdächtigen“ beisammen :-).

Um die technologischen Ansätze in einen Bildungszusammenhang zu bringen, haben Andreas und ich uns im Vorfeld um drei Partner aus dem Sport bemüht. Mit dabei sind die Segel-Bundesliga, der Deutsche Motorsport Bund und der Fußball- und Leichtathletik Verband Westfalen. In allen drei Kontexten geht es darum, die o.g. Videotechnologien für die Aus- und Weiterbildung nutzbar zu machen.

Und an dieser Stelle wird es didaktisch interessant: Wie setzt man 360-Grad- und Vogelperspektive SINNVOLL bei der Ausbildung von unterschiedlichen Zielgruppen, also Seglern, Streckenwarten und Fußballtrainern, ein? Wo positioniert man welche Kamera warum, wie, wann? Genau hier werden die Studierenden mit den Ansprechpartnern in den jeweiligen Kontexten in einen engen Dialog treten müssen, um Ziele zu klären und Lösungen Schritt für Schritt zu entwickeln: Forschendes Lernen ganz praktisch. 

Aktuell sehe ich zwei interessante Entwicklungspfade für den Bereich „Lernen mit Video“. Zum einen gibt es diesen Technologiepfad mit dem didaktischen Potenzial in der Klammer: Video (Situierung), Videoannotation (Noticing/Reflexion), Austausch von Videokommentaren (Negotiation), 360-Grad-Video (My View), Drohne (Vogelperspektive/Übersicht), VR-Brille (Eintauchen = Situierung 2.0) und Social VR (Zukunft). Zum anderen ist die INTEGRATION von Videoannotation / Social Video Learning mit 360-Grad Videos und die Einbindung in VR-Brille fast schon ein Pflichtspiel für uns Ghostthinker :-). Das wäre ein Aufbruch in eine neue Dimension der Reflexionsarbeit in Trainer- aber auch Lehrerbildung!

F&E-Schwerpunkt: Lehrerbildung mit Social Video Learning

In den Jahren 2009 bis 2015 haben wir Ghostthinker uns in Forschungs- und Entwicklungsprojekten intensiv mit den didaktischen Möglichkeiten von Social Video Learning beschäftigt. Im engen Schulterschluss mit Bildungsforschern (insb. Gabi Reinmann) haben wir die neuen Möglichkeiten der Reflexions-und Kollaborationsarbeit an den Zielgruppen der FahrlehrerInnen (EU-und BMBF-Projekt) und der SportrainerInnen (BMBF) ausbuchstabiert. Als Frucht der Arbeiten möchte ich die Ende 2015 abgeschlossene Doktorarbeit von Tamara Ranner zur „Videoreflexion in der (europäischen) Fahrlehrerausbildung“ hervorheben. Mit Tamara habe ich fast sechs 6 Jahre in unterschiedlichen Projekten zusammengearbeitet, was mir immer eine große Freude war! @Tamara, hier an dieser Stelle ein herzliches Danke für dein großes Engagement auch in der Weiterentwicklung von edubreak.

2016 hat sich der Forschungsschwerpunkt vom beruflichen (artistischen) zum akademischen Lernen verschoben. Zum einen sind wir Anfang des Jahres mit einem EU-Projekt zur Lehrerbildung gestartet, bei der die reflexive Praxis im Zentrum steht, die wir mit e-Portfolioarbeit und Social Video Learning befördern wollen. In einem der letzten Blogbeiträge hatte ich vom Projektstart berichtet. Ferner sind wir durch eine Forschungskooperation mit dem Institut für Wirtschaftspädagogik der Uni St. Gallen (Sabine Seufert) nun auch in die wirtschaftspädagogische Lehrerbildung involviert: Eric Tarantini untersucht in seiner Masterarbeit, wie sich die Reflexionstiefe durch Einsatz von Videokommentierungen bei der Unterrichtsreflexion verändert. Klasse ist, wie schnell Eric den SVL-Ansatz durchdrungen, auf den wirtschaftspädagogischen Kontext angepasst und unterrichtspraktisch umgesetzt hat. Klasse ist auch, dass er schon während seiner Masterarbeit auf internationalen Tagungen wie der OnlineEDUCA oder aktuell der EADL von Konzept und ersten Beobachtungen berichtet, z.B. auch durch einen Videoteaser zu seinem Vortrag.

Nach gut acht Jahren F&E kann man sich fragen, wo die theoretische Reise zu Social Video Learning hingeht. Neben den eher anwendungsbezogenen Forschungsfragen zum didaktischen Design (vgl. Vohle), zur Implementation (vgl. Tamara Ranner), zum impliziten Wissen (vgl. Marianne Kamper) und auch zum Thema Kompetenzorientierung (vgl. Wolf Hilzensauer) interessiert mich immer mehr eine spezielle Fragestellung: Wie lässt sich das didaktische Potenzial von Social Video Learning theoretisch fassen? In früheren Arbeiten habe ich dazu kurzatmige Anläufe genommen, z.B. indem ich den interpretativen Akt jeder Videokommentierung als „Semiose“ verstehe, oder indem ich den Videokommentar mit der Zeigepädagogik von Klaus Prange in Verbindung bringe, was an aktuelle Arbeiten zum „Noticing“ erinnert. Im Anschluss an seine Wiener Forschungswerkstatt, in der ich SVL vorgestellt habe, sieht Peter Baumgartner auch eine Reihe von theoretischen Zugängen, z.B. indem man mit SVL „lebendige“ (A. Christopher) Unterrichtssituationen aufspürt. Ich selber sehe mittlerweile das größte theoretische Potenzial insbesondere für die Lehrerbildung (analog Trainer, Coaches) in einer Arbeit über die „Aufhellung des blinden Flecks“ oder anders ausgedrückt: Über die Beobachtung von Beobachtung (2. Ordnung) durch Social Video Learning. Aber dazu an anderer Stelle mehr und dann auch mit etwas mehr Atem. 

Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit

Letzten Donnerstag war ich bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Eschborn bei Frankfurt. Ich bin damit der Einladung von Christian Zange gefolgt, der dort im Bereich Wissensmanagement arbeitet und unsere Arbeiten rund um Social Video Learning seit Jahren begleitet. 

Christian ist es auch, der mir seit fast einem Jahrzehnt anschauliche Impulse zur Arbeit der GIZ vermittelt: zunächst durch seine Tätigkeiten in Südafrika im Bereich technologiegestütztes Wissensmanagement, dann durch Aufbauarbeiten einer Hochschuldidaktik in Äthiopien und nun wieder durch seine Arbeiten in Deutschland. Mich hat immer fasziniert, vor welchen Herausforderungen Christian gestanden hat – fremde Kultur, herausfordernde Infrastruktur, keine großen Teams – und wie selbstmotivierend er das immer angegangen ist.

(Ein) Kern der Entwicklungszusammenarbeit bei der GIZ sind Online-Coaching-Prozesse und genau hier gibt es durch Social Video Learning erweiternde Möglichkeiten, um den Wirkungsgrad des Coachings zu steigern, z.B. indem man vor dem synchronen Austausch eine asynchrone Phase schaltet, indem ein zu vermittelndes Konzept durch Videokommentare zunächst mit Fragen angereichert wird, denen man sich dann in einem synchronen Austausch vertieft zuwendet. Ein weiterer großer Einsatzbereich ist die berufliche Bildung im handwerklichen Bereich, wo der richtige Dreh und Kniff durch Video gut vermittelbar sind, aber auch Hinweise und Fragen der Teilnehmer durch Videokommentare sichtbar werden und ggf. durch Peers beantwortet werden können.

Für den Anschluss an meinen Impulsvortrag haben Christian und ich uns aber etwas Besonderes überlegt: Christian arbeitet gerade an einer Konzeption für eine Kollaborationsplattform, wobei die Konzepte in Form von Screen-Dummies vorliegen. Christian wird diese Screen-Dummies nun in Form eines Screen-Videos verdichten und verbalisieren. Um Christian bei der partizipativen Entwicklung zu unterstützen, nutzen wir den edubreakSPACE, in den ausgewählte Mitarbeiterinnen nun Fragen, Anmerkungen, Kritik in Form von Videokommentaren einbringen können. Kurz: Wir sind gespannt auf die kommenden Wochen. 

Wir schaffen uns ab

Schon seit Jahren zieht Gunter Dueck durchs Land und erzählt uns mit einem wissenden Lächeln, dass die Zukunft der klassischen Berufe (Dienstleistungen) düster aussieht. Er verweist dabei immer gerne auf das Schicksal seines Vaters, einem Bauern in der Landwirtschaft, die nach dem Krieg mit über 50% Anteil noch dominant war, in den 1990ern aber auf ein Minimum geschrumpft ist. „Konnte man sich das in den 50ern vorstellen?“, fragt Dueck eindringlich mit analogem Blick in die Gegenwart. Können wir uns also heute vorstellen, dass – sagen wir – 50 % der LehrerInnen wegfallen?

Sabine Seufert weist in ihrem aktuellen Blogpost auf eine amerikanische Studie hin, die die Zukunft von 700 Berufen vorwegnehmen will. LehrerInnen schneiden da noch relativ gut ab, weil deren kreative, soziale und haptische Anteile – man denke an Grundschullehrer und Bastelstunde – nicht gut von Robotern übernommen werden könnten.

Ich bin ja mal gespannt: Zum einen hat uns die künstliche Intelligenz immer schon mehr versprochen, als sie dann einhalten konnte. Zum anderen haben künstliche Intelligenz, Robotik, kurz das ganze Androidentum, in der Bugwelle von Fördermitteln und lustigen Schulrobotern so sehr an Fahrt aufgenommen, dass Bruder Data gar nicht mal so fern scheint (vgl. bei Interesse meine Rezension zu Gloys „Wahrnehmungswelten“ im Wiener Jahrbuch für Philosophie).

Aber was folgt eigentlich aus dem ganzen Androidentum? Der Verlust unserer Jobs – Schweißer (2000), Verkäufer (2015), Pfleger (2020?), Lehrer (2025?), Erfinder (2030?) – ist ja das eine, aber, was machen diese Androiden mit uns, unserem Selbstverständnis als Menschen? Und wie wirkt sich ein verändertes SELBSTverständnis auf die Reproduktion unserer Gesellschaft aus? Kurz: Welches Zukunftsversprechen geben wir unseren Kindern? Was können wir tun?

Zum einen sicher die Entwicklungen scharf im Blick behalten und zum Thema machen. Zum anderen insbesondere in unseren Bildungsinstitutionen darüber nachdenken, wie Bildung im Jahr 2030 aussehen soll. Zukunftsspekulationen? Nein, das Nachdenken über diese Zukunft ist ein Nachdenken über unsere humane Potenzialität (Eigensinn), in Abgrenzung zu dem, was Maschinen in Zukunft können werden.

Ich mach‘ in Klauen – learntec16

„Zukunft des Lernens“: So oder so ähnlich wirbt die learntec auch dieses Jahr und zieht damit Aussteller und Lerninteressierte mit IT-Bezug nach Karlsruhe. Wir Ghostthinker (Johannes, Rebecca  – im Bild – und ich) waren am Start, um edubreak® mit seinem „Heimatmarkt“ Sport auch im Wirtschaftskontext anzubieten.

Auf der Messe dominierten Anbieter, die Informationen didaktisch geschickt aufbereiten, u.a. durch wertige Videos, gute Animationen, phantastische 3 D-Welten oder neuartige Augmented Reality. Es geht letztlich darum, bestehendes – für wahr gehaltenes Wissen – an Teilnehmer zu vermitteln. Ich nenne das Schule. Davon zu trennen sind Ansätze, die eher nach dem Marktplatzprinzip funktionieren: ein Marktplatz, auf dem sich Experten mit selbst erstellten Informationsressourcen begegnen und sich gegenseitig mit Feedback befruchten. So einen Fall hatte ich auf der Messe: Es gibt Experten für Klauen (wir sind in der Landwirtschaft) und diese wollen sich mit anderen Klauenexperten über bestimmte Aspekte der Klaue austauschen, z.B. soll man es so oder so behandeln, was ist wann unter welchen Bedingungen besser. Es sprechen also Experten „auf Augenhöhe“ (vgl. KH Pape) miteinander, was die Bereitschaft zur Wissensteilung beflügelt.

Aber das große Geld wird mit dem Prinzip Schule gemacht: „Ich bin Herr Müller von der Firma X und ich möchte Wissen an Zielgruppe Y vermitteln, bereiten sie das mal auf, mit Dramaturgie und diesem Gamification!“ Hört man oft. „Am Ende ein (Kompetenz)Test, sicher ist sicher. Sonst macht ja jeder was er will, oder?“ Ja, Schule funktioniert so.

Und dann gibt es sie doch, die Klauenexperten & friends, die fragen: „Ich suche Konzepte für das Arbeiten in Jahr 2020: Wie können wir arbeitsplatznahes Lernen unterstützen? Wie können wir informelles Lernen fördern? Welche Rolle spielt dabei Video?“ Die Antwort kommt wie aus der Pistole, weil das bei uns bereits im Sport passiert. Ich sage: „Stellen sie sich eine Situation im Büro vor: Zwei Kolleginnen stehen zusammen und entwickeln am Flipchart eine Idee, zeichnen wilde Diagramme mit Zahlen. Das alles halten sie mit ihrer Handykamera fest: design thinking in progress. Das Video wird per Klick vom Handy mit fünf Kollegen an anderen Standorten geteilt; die sollen den Ideenkern mit weiteren Ideen ergänzen, kritisieren, neue Fachperspektiven einbringen, provokative Fragen stellen. Das machen sie in einer sicheren Online-Umgebung, nutzen eine ganz spezielle Form der Videokommentierung, ha! Am nächsten Abend ist das Video mit tollen Vorschlägen angereichert, die Argumente der Kollegen sind im Video eingebettet, die Situierung erleichtert das Verstehen.“ (vgl. E. Trude

Der Mann, der die Fragen stellte, hat Glanz in den Augen. Ich spüre, wie mehr Energie in den Raum kommt, nicht weniger. In fast zwei Tagen learntec gibt es ca. drei solcher Momente, magische Situationen, in denen man die Zukunft berührt. Deshalb bin ich da.