Sanfter Wandel

Seit Sommer 2016 arbeiten wir mit verschiedenen Abteilungen (von Amateur bis Profi) des Deutschen Fußball Bund e.V. zusammen. Auch 2017 war für uns wieder sehr aktives Fußball-Jahr (vgl .auch Ghostthinker-Jahresbericht).

  • Das aktuell größte Teilprojekt bezieht sich auf die Neugestaltung der Trainer C-Lizenz mit Social Video Learning. Zusammen mit Wolfgang Möbius (Leitung Qualifizierung und Initiator der Social Video Learning-Initiative im DFB), seinem Mitarbeiter Florian Huber sowie Vertretern der Landesfachverbände aus Sachsen-Anhalt, Hessen, Rheinland und Westfalen konnten dieses Jahr fünf Kurse mit je ca. 20 TeilnehmerInnen durchgeführt werden. Die zentralen Botschaften lauten: Das Blended Learning-Konzept mit Social Video Learning als neue Reflexions- und Kollaborationsmethode sowie einer „Prüfung im Heimatverein“ funktioniert und alle Beteiligte sind sehr motiviert, diesen Ansatz 2018 „in der Fläche“ auszubauen.
  • Auch in der Trainer B-Lizenz schreitet das Projekt “Social Video Learning” unter Leitung von Markus Nadler fort. Nach den positiven Erfahrungen von 2016 beim FLVW (Leitung Maik Halemeier) und FSA (vgl. Zusammenfassung hier) haben sich dieses Jahr die Landesfachverbände Berlin und Hamburg rangemacht, um Reflexionsprozesse aber auch Vermittlungsprozesse über den edubreak®SPORTCAMPUS zu organisieren. Interessant hier: Erstmals kam unser Online-Fachtutor Fußball zum Einsatz (Christopher Branch). Er begleitete insbesondere die Berliner Kollegen und unterstütze sowohl in technischen als auch didaktischen Fragen. Der Kurs in Berlin war für alle Beteiligten ein großer Erfolg.
  • Die Torwart-Elite-Ausbildung in der A-Lizenz ist der dritte Bereich, indem edubreak unter Leitung von Jörg Daniel und Marc Ziegler zum Einsatz kommt. Während in der C-Stufe die Herausforderung darin besteht, Ehrenämtler mit wenig Zeit für das neue Lernen zu gewinnen, dreht sich hier in der A-Lizenz alles um Berufstorwarttrainer der deutschen Bundesligaclubs. Besonders spannend zu beobachten ist, dass trotz eines Konkurrenzverhältnisses ein gemeinsames Online-Lernen mit Dokumententeilung und Reflexionsprozesse möglich ist und aktiv praktiziert wird.
  • Noch kurz vor dem Jahresende ist es uns gelungen, auch die Schiedsrichter mit ins „Social Video Learning“-Boot zu holen. Lutz Wagner (Koordinator Schiedsrichter-Ausbildung) hat uns in die Hände von Sandy Hoffmann gegeben (ein Glücksfall!), mit dem wir auf kurzem Wege einen ersten Case im Bereich „Schiedsrichter Frauen Bundesliga“ auf die Beine stellen konnten. Auch hier wurde der Mehrwert für alle schnell sichtbar: Zum einen ist auch ohne aufwändige Reisen ein zielführendes Coaching möglich, zum anderen sehen die Beteiligten eine Qualitätssteigerung, da sich alle Reflexionsprozesse nun an einem (virtuellen) Ort für alle sichtbar materialisieren.

Man sieht also, die Prozesse der (didaktischen) Digitalisierung im DFB nehmen Fahrt auf! 2018 werde ich die Gelegenheit nutzen, um die ersten Ergebnisse auch im wissenschaftlichen Kontext zur Diskussion zu stellen. Im Mai 2018 wird in Athen eine internationale Tagung veranstaltet (Lead Prof. Dr. Andreas Hebbel-Seeger) und die Bewerbung zur Teilnahme läuft gerade. Ich bin guter Hoffnung :-). 

Bist du normal? Inklusion im Sport

Wusstes ihr, dass Inklusion eine ästhetische Kategorie ist? Vielleicht habe ich im kurzen, aber intensiven Flurgespräch mit Edgar Sauerbier nicht alles verstanden, was mir der Experte für dieses Thema sagen wollte, aber eines ist sicher: Es geht nicht nur um den „Rollifahrer im Sportunterricht“ und die Frage, wie man ihn integriert.

Hintergrund für das genannte Flurgespräch ist ein laufendes Projekt mit dem DOSB zum Thema Inklusion. In Zusammenarbeit mit Kompetenzexperten der Universität Erlangen-Nürnberg (u.a. Prof. Sygusch) und einer Expertengruppe für Inklusion (Schwimmverband, LSB Niedersachsen) sowie mit Vertretern des DOSB (Kreutel und Fabinski) sollen kompetenzorientierte Fortbildungsmodule im Blended Learning-Format für das Vereinsmanagement und für die Trainerausbildung entwickelt werden. Mediendidaktisch setzen wir auf das edubreak-Konzept, erweitern dieses aber um jene Aspekte, die Menschen mit Behinderung Interaktion und Gestaltung mit und in der Online-Welt ermöglichen.

Was ist an diesem Projekt so außergewöhnlich? Eine Antwort in Kürze: das Zusammenspiel aus Kompetenzorientierung, Digitalisierung und organisationsübergreifendem Aushandeln von Inklusionsthemen. Das alles ist sehr anstrengend und man ist geneigt, bekannte Konzepte aus der Schublade zu ziehen und zu sagen: Lass es uns doch machen wie immer!

Aber wie das so ist in Innovationsprojekten: Am Ende entstehen Dinge, die man noch im Prozess nicht für möglich gehalten hat. So liegen aktuell ein fast fertiges Blended Learning-Konzept sowie ein stimmiges Aufgabendesign mit Lernzielen vor, mit dem wir in vier Wochen an den Start gehen. Die technischen Anpassungen in edubreak sind auf dem Weg (WCAG 2.0 AAA + Social Video Learning inclusion) und die ReferentInnen fühlen sich durch die Schulung in unserer Academy gut vorbereitet. Also alles rosa?

Na ja, nicht ganz so rosa finde ich, dass wir es versäumt haben, gleich zu Beginn alle ReferentInnen mit ins Boot zu holen. Zum einen waren diese noch nicht alle greifbar, zum anderen denken wir noch immer zu arbeitsteilig und vor allem linear: Hier die Expertengruppe, die erfindet, dort die ReferentInnen, die es umsetzen. Aber wir wissen es doch besser: Bei der didaktischen Transformation müssen alle mit an den Tisch – von Anfang an. Zudem sind lineare und starre (vs. iterative) Phasen aus Entwurf/Plan, Test, Bewertung und Neuplan ungünstig, weil die Lernkurve zu flach verläuft und wir sehr viel im unfruchtbaren Metamodus verharren. Beim nächsten Mal machen wir auch das besser. 

Zum Schluss: „Bist du normal?“, fragt eine blinde Frau einen jungen (nicht behinderten) Mann bei einem Videodreh. Der Mann weiß gar nicht, worauf sich die Frage bezieht, denn die Blindheit der Frau sieht man nicht. Verunsicherung folgt auf beiden Seiten. Sehenswert (aktion mensch)! Warum aber nun ist Inklusion eine „ästhetische Kategorie“ wie im eingangs genannten Flurgespräch angedeutet? Vielleicht, weil es nicht um ein Mitleid erheischendes Hineinfühlen der Nicht-Behinderten in den Körper-Geist der behinderten Menschen geht, gehen darf, sondern um die Anerkennung der Selbstzweckhaftigkeit von Menschen schlechthin. Schon der Dualismus von „Menschen mit und ohne Behinderung“ bringt uns auf eine falsche Spur.

Auf Wiedersehen!

Seit einer Woche zurück aus Luxemburg, dem Ort, wo sich das EU-Projektteam (prepare) getroffen hat, um über die Gestaltung des letzten Drittels nachzudenken. Das Vorort-Treffen hat sich gelohnt, nich nur wegen der intensiven Gespräche und der kurzweiligen Abendgestaltung (hier im Bild Reinhard Bauer von der PH Wien). 

Im Zentrum unseres Projekts steht die „Reflexive Praxis“ in der Lehrerbildung und genau dieses Ziel wollen wir mit einer Methodenkombination aus (a) Social Video Learning, (b) e-Portfolioarbeit und (c) learning analythics (als Reflexionshilfe) angehen. Dieses Ziel korrespondiert mit einer zu entwickelnden technischen Infrastruktur, dem prepareCampus, eine Kombination aus edubreak und mahara.

Es läuft selbstverständlich noch nicht alles so, wie wir uns das vorstellen. Da gibt es noch Lücken beim Aufgabendesign und beim technischen Workflow. Aber immerhin: Die praktischen Arbeiten mit den Lehrerinnen wurden aufgenommen und die ersten Kurse rund um die „Primärreflexion“ in Österreich, Deutschland, Italien und Luxemburg mit Social Vide Learning laufen!

Ganz wesentlich haben wir uns über das Thema Aufgabendesign unterhalten. Das dies wichtig ist, sieht man daran, dass Nachlässigkeiten beim Aufgabendesign beim Punkt Sinn und Klarheit unmittelbar bestraft werden (eine gute Feedbackmethode für Dozierende). Um hier weiter zu kommen, haben wir uns im Sinne eines kollegialen Coachings eigene Aufgaben gezeigt, bisher gemachte Erfahrungen geteilt und Tipps zur Aufgabengestaltung festgehalten. In diesem Zusammenhang bin ich wieder über Eric Jeisy gestolpert; er hatte vor einiger Zeit eine wirklich tolle Dissertation mit DBR Schwerpunkt fertiggestellt und nun – 2014 – auch einen Beitrag zur Aufgabenkultur geschrieben, den ich in den nächsten Tagen unbedingt lesen muss.

Interessant war zudem der Vortrag on JP Dr. Zaki. Sie kommt von der PH Freiburg und beschäftigt sich mit e-Portfolioarbeit in der Fremdsprachenausbildung. Fremde Kontexte erzeugen in der Regel auch neue Lösungskonzepte. Neu war für mich, dass im Studiengang mit e-Tandems gearbeitet wird, einer im Heimatland und einer im Fremdland. Mit der e-Portfolioarbeit bereiten sich die Tandems auf den Besuch vor, was ich für einen guten Grund halte. Ja, guter Grund, in nicht wenigen Portfolioprojekten hat man diesen meines Erachtens nicht, denn „Reflexion“ ist kein ausreichender Grund, eher ein Mittel, ja für was?

Noch ein kleiner Schmunzler zum Schluss: Mein Flieger ging letzten Mittwoch um 06.30 Uhr. Früh aufstehen war also angesagt. Nach Ankunft am Flughafen sagte mir der Taxifahrer den Preis von 32 €. Ich gab 50 €, sagte „bitte auf 35 € zurück“. Drei Sekunden später sagte ich: „Ich habe es auch klein,“ und gab weitere 35 €. Der Taxifahrer bedanke sich und sagte nach Ausstellung der Quittung: Auf Wiedersehen! „Was ist mit meinen 50 €?“ sagte ich. Er: „Welche 50 €?“ … Junge!

Nicht gemessen!

Diese Woche war ich mit Rebecca Gebler und unserem „Ghosti“ auf der Tischtennis-Weltmeisterschaft in Düsseldorf. Dass Düsseldorf die längste Theke der Welt hat, weiß man, aber dass sich dort die Besten der Welt mit dem kleinen weißen Ball duellieren, war in der breiten Öffentlichkeit weniger bekannt.

Ziel unserer Reise war eine Podiumsdiskussion des Deutschen Tischtennis-Bundes zum Thema „Trainerausbildung und Spielerentwicklung mit digitalen Medien“, bei der Becky als Diskussionsleitung und ich als Teilnehmer eingebunden waren.

Becky stand zum ersten Mal in dieser Funktion auf der Bühne und ich muss sagen, dass sie das sehr gut gemacht hat: strukturierte Gesprächsführung, freundliches Nachfassen bei Ausbrechern und gutes Zeitmanagement „aufn Punkt“. Für eine Erstlingstat „echt cool“.

Inhaltlich haben wir in einer Runde aus Bildungsverantwortlichen des DTTB (ehemaliger Bundesassistenztrainer, Referenten und Absolventen der A-Ausbildung) über digitale Bildung bei Trainern und Spielern im Tischtennis gesprochen. Leider waren kritische Stimmen im Podium rar; die meisten haben „von diesem Programm“ geschwärmt, konnten aber ihre Begeisterung rund um den Einsatz von edubreak durchaus anschaulich begründet. Unterm Strich also eine tolle Geschichte.

Sehr irritiert war ich dann über folgenden Sachverhalt: Ein Teilnehmer stellt fest, dass alle (!) Beiträge aus dem Podium überraschend kritikfrei waren (was der Fall war) und über die positive Wirkung „nur aus dem Gefühl“ befunden wurde. Vor diesem für ihn unbefriedigenden Hintergrund forderte er eine „genaue Messung“ der postulierten Wirkungen. Das Mikrophon wurde reflexartig an mich gegeben.

Ich weiß nicht, ob ich mich in dieser für mich etwas verzwickten Situation angemessen geäußert habe; in etwa habe ich Folgendes gesagt bzw. wollte Folgendes zum Ausdruck bringen:

  • Es ging uns im DTTB ab 2007 um die Lösung eines komplexen Bildungsproblems, dessen Konturen wir damals noch nicht exakt erkennen konnten (mehr Zeitflexibilität, tiefere Lernprozesse, validere Prüfungen, intelligenter Wissensaustausch zwischen den Teilorganisationen).
  • Wir als Systempraktiker (Ghostthinker) haben diese Bildungsprobleme dann im engen Schulterschluss mit Praxisvertretern (TTVN), und Wissenschaftlern (HUL) tief analysiert und auf theoretischer Basis schrittweise Lösungen erfunden! Sehr viele Zyklen mit Revision bei Didaktik, Technologie, Organisationsstruktur bis Implementationsstrategie brachten uns der Lösung Jahr für Jahr näher, schärften unser Bewusstsein für Wesentliches (Prinzipien, Muster, Gestalten) und erzeugten eine gemeinsame „Arbeitssprache“, mit der die Folgephase effizienter organisiert werden konnte. Wir haben versucht, so gut es ging, die Grundprinzipien der Entwicklungsforschung zu verfolgen.
  • Und nach 10 Jahren gemeinsamer Entwicklung, drei Awards (auch international), fast flächendeckender sowie freiwilliger Anwendung der Neuerungen, da sagt jemand, dass die so erlebte und bekundete Wirkung nur eine Art Gefühlsduselei sei, ein Urteil auf schwachem Grund – ohne den viel beschworenen „impact“?!

Was mich auf die Palme brachte, war nicht, dass da jemand die berichteten Wirkung des edubreak-Konzepts in Frage gestellt hat (das MUSS man immer wieder in Frage stellen), sondern dass die Expertenurteile aus den eigenen Reihen so marginalisiert werden, die über Jahre gesammelt und kollegial validiert wurden! In Kurzform: Güte wird erst durch Messung akzeptabel, nicht durch kollektives Erfahrungsurteil. 

Ich habe den Kollegen zugerufen, dass jetzt 2017 der richtige Zeitpunkt ist, um das Gesamtprojekt zu „vermessen“ (jenseits formativer und leichtgewichtiger Evaluationen)! Gern auch mit Überprüfung des „Social Return of Investment“ für die Organisation als Ganzes und mit Kompetenzmodellierung, Kontrollgruppendesign und höherer Statistik auf der Ebene der Lehrenden und Lernenden. Von 2007 bis 2017 mussten wir erstmal die Welt neu erfinden (phase of exploration) und da haben wir ganz bewusst auf die Mess-Menschen i.e.S. (phase of verification) verzichtet, denn: Man kann nur messen, wenn man weiß, was man messen soll. Wenn aber das Soll selbst im Werden ist, dann ist Zurückhaltung geboten, bis die neue Qualität ausgeformt und stabil ist. Bildungsinnovationen sind schwere Geburten. 

Lernen „5.0“

Seit dem IT-Gipfel der Bundesregierung 2016 dröhnt es mir in den Ohren: Lernen 4.0. Darum wird viel Lärm gemacht. Einiges ist ganz interessant, anderes, wie so oft, „neuer Wein in alten Schläuchen“.

Der Gipfel war jedenfalls für mich ein guter Anlass, über unser Lernverständnis nachzudenken und die Erfahrungen mit edubreak der letzten 10 Jahre zu fünf Prinzipien oder methodischen „Essentials“ zu verdichten. Ich konnte es natürlich nicht lassen, mit den Zahlen zu spielen, also doch irgendwas mit „5.0“ zu fabulieren. Aber die Anführungszeichen sollen signalisieren: Hier wird anders gezählt.

Wer nun etwas neugierig geworden ist, der kann den Artikel (richtigerweise ein Call) aus der Zeitschrift LEISTUNGSSPORT gerne lesen/kommentieren. Ein Dank geht an dieser Stelle an Herrn Nickel, Chefredakteur der Zeitschrift, der die Veröffentlichung des Calls unterstützt hat. Für alle Nicht-Sportler gilt: Man muss den Text mit einem „analogen Auge“ lesen, sonst fruchtet es nicht.   

Für diejenigen, die sich das mit dem Lernen „5.0“, mit den Essentials, nicht so gut vorstellen können, möchte ich auf meinen Vortrag „Social Video Learning – Eine didaktische Zäsur“ verweisen, den ich letzte Woche auf Einladung von Frau Dr. Kossek an der Universität Wien (Center for Teaching and Learning) gehalten habe. Ja, da geht es wie so oft bei mir um den Kontext der Trainerbildung im Sport, aber der Transfer in die Lehrerbildung zeigt, dass dort genügend Ideen zwischen Mikro- und Makrodidaktik lauern, um mit Bildungsverantwortlichen aller „Coulour“ ins Gespräch zu kommen und bisherige Lösungen (Lehrpläne, Bildungsziele, Lehrorganisation, Lernprozesse, Prüfungs-und interorganisationale Austauschformate) – kurzum alles – in Frage zu stellen. 

„Impact Free“: Raum für akademische Agilität

Endlich habe ich mal wieder was mit Gabi zusammen geschrieben, man kommt ja zu nix mehr! J. „Wie agil ist die Hochschuldidaktik? Ein Dialog“, so der Titel unseres kleinen Beitrags. Ausgangspunkt war ein Buch von Christoph Arn (2016), das – wie von Geisterhand – auf dem Küchentisch lag und das wir zunächst getrennt gelesen haben. Daraus erwuchs in den Folgewochen ein mehr oder weniger kontroverser Dialog, deren Hauptargumente wir im aktuellen Impact Free-Artikel gebündelt haben. Wer also Lust hat, etwas über Hochschuldidaktik und das Problem der Planung zu erfahren, der ist zu diesem Dialog als Einstieg zum Buch eingeladen.

Apropos „Impact Free“: Gabi hatte dieses Format 2016 in die Welt gesetzt, um sich einen Publikationsort zu schaffen, der zwischen dem informellen Blogbeitrag und der formalisierten Publikation liegt, indem es noch erlaubt ist, „einfach zu schreiben, was einem wichtig ist“: Was für ein (unverschämter) akademischer Luxus!

Sie hatte in der Vergangenheit schon öfter mit Zwischenformaten experimentiert, angefangen bei den „Arbeitsberichten“ an der Uni Augsburg über die „Forschungsnotizen“ an der Universität der Bundeswehr München bis eben zum „Impact Free“ an der Universität Hamburg. Ich selbst habe nicht nur von dem Vorläufer, den Forschungs- und Praxisberichten der LMU München (Prof. Mandl), in meinem Pädagogik-Examen profitiert, sondern auch später durch einen eigenen LMU Forschungsbericht, in dem der erste Bogen zu meiner Dissertation aufgespannt wurde, durch Arbeitsberichte, um mir neue Theoriefelder zu erschließen, und durch Forschungsnotizen, in denen ich noch unreife Forschungs- und Entwicklungsidee formulierte. Kurz: Ich habe (allein oder mit Koautoren) wissenschaftsnahe Gedanken „skizzenartig“ zu Papier gebracht und diese Skizzen öffentlich geteilt. 

Nun kann man der Meinung sein, dass diese Skizzen wenig wert sind, „impact free“ sozusagen. Doch zum einen bin ich mir sicher, dass sie für mein persönliches Wissensmanagement, meinen eigenen Erkenntnisprozess hilfreich waren, denn sie zwingen einen zur vorläufigen Klärung, zur schriftlichen Fixierung dort, wo noch vieles ungeklärt ist. Damit sind sie modellbildend für jegliche Art von Erkenntnisprozessen, denn: Die reife Erkenntnis ist nicht minder vorläufig! Zum anderen vermute ich, dass dieses Mitlesen von Gedankenskizzen auch Dritte zumindest anregen dürfte: Ist das so? 

2010 hatte ich einen Blogbeitrag geschrieben, in dem ich mich über die Gutachtenpraxis bei Impact Journals aufgeregt habe: Endlos lange Review-Zeiten, fragwürdige Gutachten, mangelhafte Chance zu einem Feedback, alles in allem wenig Agilität! In den genannten Zwischenformaten, seien es nun die Arbeitsberichte, seien Forschungsnotizen, sei es Impact Free sehe ich beispielhaft die akademische Agilität zum Denken- und Weiterdenken realisiert, die uns in der selbstbezüglichen „World of Impact“ oft abhanden kommt.

Digitale Bildungslandschaften: schöne und zukünftige

Letzte Woche hatte mich die IMC nach Saarbrücken eingeladen, um im Rahmen der Learning Journey über Social Video Learning zu sprechen. Anwesend waren ca. 50 Personen aus dem Umfeld von Corporate Learning, also viele Kunden der IMC und einige Wissenschaftler. Mir hat der Tag aus mehreren Gründen gut gefallen: 

  • Zum ersten bin ich natürlich froh, dass sich auch Zielgruppen außerhalb des Sports für unseren Ansatz interessieren, hier also Lösungspotenzial für die eigenen Bildungsherausforderungen sehen. Diese liegen z.B. im Bereich der Lehrlingsausbildung, bei der es immer mehr darauf ankommt, dass die Neulinge eigenaktiv die Probleme mit ihrem Vorwissen verarbeiten und sich gegenseitig coachen, was mit Social Video Learning (vgl. auch Draufhaber) ganz hervorragend funktioniert. Zum anderen wurden Potenziale im Bereich des Wissensmanagements, insbesondere beim Thema Leaving Experts, gesehen, denn die Frage, wie man (implizites) Erfahrungswissen von scheidenden Experten so „festhält“, dass es für Neulinge nützlich ist (es muss nicht explizit sein), bleibt sicher einer der schwierigen Probleme des Wissensmanagements, zu der Social Video Learning, gern in Verbindung mit Methoden des Story Tellings, fruchtbare Impulse bieten kann.
  • Zum zweiten finde ich es klasse, dass unter der Federführung von IMC-MitarbeiterInnen ein schönes Buch mit dem Titel „Digitale Bildungslandschaften“ herausgekommen ist, indem die aktuellen An- und Einsichten zur digitalen (Weiter)Bildung gebündelt dargestellt sind. Mein eigener Beitrag „Social Video learning – eine didaktische Zäsur“ versucht den Bruch zwischen klassischer Videorezeption und den neuen Potenzialen der aktiven, reflexiven, kollaborativen und mobilen Videoarbeit im Rahmen von Blended Learning und Professional Community zu fassen, wobei mir der Sport als Kontext dient.
  • Zum Dritten haben ich auf der Learning Journey einige Impulse der anderen Redner mitgenommen: Von Herrn Michael Härtel (BIBB) den Hinweis, dass bei aller Digitalisierung (1000 Tools) die Grundprozesse von „informieren, planen, strukturieren, umsetzen, testen, reflektieren“ in Verbindung mit der Medienpädagogik (Mediendidaktik, Medienerziehung, Medienintegration) weiterhin Geltung haben, was entspannt. Von Frau Dr. Svenja Falk (Accenture) konnte ich erfahren, dass sich die Wirtschaft in den nächsten Jahren von der künstlichen Intelligenz große Produktivitätssteigerungen erwartet, was sowohl Folgen für die Zukunft der Arbeit(slosigkeit) als auch für die digitalen Bildung hat; letzteres kam in diesem Vortrag zu kurz, sollte von uns Bildungsleuten aber genau in den Blick genommen werden, denn hier sind viele Fragen (gefährlich) offen. 

Und der geplante Besuch des IT-Gipfels, der ebenfalls in Saarbrücken stattfand? Da reden wir besser nicht drüber. Inmitten meiner Vorfreude musste ich feststellen, dass ich lediglich das Auftaktprogramm an der Uni Saarbrücken besuchen durfte, dass Hauptprogramm in der Kongresshalle war nur für Akkreditierte zugänglich… aus dem IT-Gipfel wurde ein IT-Zipfel. Schade, denn ich hätte wirklich gern gesehen, wie das neue Zahlenkürzel 4.0 mit der selbständigen (!) Computersteuerung von Produktionsprozessen mit der Selbstbestimmung (!) und der Partizipation (!) der Arbeitnehmer zusammengeht. Mein Ruderlehrer sagte immer, nachdem (!) einer ins Wasser gefallen war: „Machen sie sich Gedanken!“

Flipped Meeting als Tagungs-Management-Methode

Während in Deutschland die ersten Herbststürme um die Häuser fegen, war es im italienischen Bozen in den letzten drei Tagen herrlich warm. Genau das richtige Klima, um mit dem ganzen Projektteam von Prepare an unserem zweiten EU-Treffen zu arbeiten (längerer Bericht von Klaus Himpsl-Gutermann & Reinhard Bauer hier). Methodisch neu war, dass wir dieses Treffen als Flipped Meeting organisiert haben (vgl. auch den Beitrag von denkspuren). Aber der Reihe nach …

In der virtuellen Vorphase hatten wir uns mit Blick auf die knappe Zeit in Bozen darauf geeinigt, dass jeder Teilprojektleiter den aktuellen Projektstand in Form eines Videos zusammenfasst und auf edubreak zur Kommentierung aller Mitglieder bereitstellt. Der Effekt: Wir konnten schon im Vorfeld unser Wissen teilen und Probleme identifizieren, über die wir dann in Bozen vertieft diskutieren wollten. Kurz vor Bozen waren mehrere Videos online (Screenvideos und klassische Präsentationen vor dem Beamer) und viele Tn hatten sich mit knapp 100 Videokommentaren argumentativ eingestimmt. Klasse!

In Bozen hatte ich das Gefühl, dass wir schon „drin“ waren, so dass wir auch relativ schnell zur Sache kommen konnten. Das zeigte sich u.a. in der raschen Entwicklung eines der wichtigsten Bausteine im Projekt: Dem verallgemeinerten Ablaufplan für die reflexive Praxis. Unter Ablaufplan verstehen wir ein Vorgehensmodell, welche Aufgaben man bereitstellen muss, um eine Unterrichtsreflexion mit kollaborativem Feedback zu organisieren: (1) Zielsetzung nennen und Erwartungen der Tn zu einem Thema X in einem Blogbeitrag formulieren lassen. (2) Aufforderung, eine Unterrichtssequenz mit Bezug zu (1) zu filmen und online zu stellen. (3) Aufforderung, im Video im Sinne einer Selbstreflexion nach Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken zu suchen und dies mit einem Videokommentar explizit zu machen. (4) Einholen von Feedback seitens der Mitstudierenden durch Rekommentierung/Kommentierung entweder global von allen oder spezifisch von einem Tandempartner. (5) Optional und je nach Ressourcen: Expertenfeedback durch die Lehrenden via Videokommentar einbinden und (6) Formulierung der persönlichen Konsequenzen vor dem Hintergrund von 1-5 in einem Blogbeitrag. Bis hierher sind wir gekommen, weitere Arbeitsschritte in Richtung e-Portfolio-Arbeit (Prozessportfolio = in edubreak) und Inszenierung (Produkt- oder Show Case-Portfolio = in mahara) stehen noch aus.  

Natürlich sind mit diesem Modell noch nicht die konkreten Aufgaben formuliert. Aber ich denke, dass dies nun für jeden von uns machbar ist. Auf jeden Fall ist der Ablaufplan eine gute (allgemeine) Basis, mit der man nun Erfahrungen zur reflexiven Praxis sammeln, austauschen und verfeinern kann.

Wie geht es mit dem „flipped“ nun weiter? Wir haben in Bozen wieder Videos aufgenommen, nicht blind alles, sondern sehr gezielt nur die „verdichteten Gedanken“: Wir haben die Arbeitsergebnisse auf Flipchart von Teammitgliedern noch einmal verbalisieren bzw. rekonstruieren lassen. Genau diese Videos sind die Grundlage dafür, dass wir asynchron in der nächsten Woche online weiterdenken. Dabei soll der Kerngedanke aufgegriffen und verfeinert werden, denn jeder von uns hat bestimmt noch Ideen, sobald er/sie wieder in der jeweiligen Heimat ist.

Wie bewerte ich den Prozess? Die Idee und der hier skizzierte Ablauf haben funktioniert. Was wir in Zukunft besser machen können, sind die Disziplin und die Zeitplanung: Nicht jeder von uns hatte im Vorfeld die Zeit, die Videos zum Arbeitsstand frühzeitig hochzuladen, nicht jeder von uns hat seine Fragen oder Ideen im Videokommentar hinterlassen und sicherlich konnten auch nicht alle Tn die Videokommentare vorab lesen und hier ein kollaboratives Feedback geben. Weiter sehe ich Verbesserungsbedarf in der Zusammenfassung der ~ 100 Videokommentare zu einer Diskussionsagenda. Dies hatte ich relativ schnell zusammengeschustert, was mir aber vor Ort nachgesehen wurde. 

Kurz: Flipped Meeting mit Social Video Learning kann man als Tagungs-Management-Methode einordnen. Die Herausforderung für die Zukunft besteht darin, dass wir an der „flipped culture“ arbeiten, also an den neuen Arbeitsroutinen und Haltungen, die ein solcher Wechsel von Gewohnheiten mit sich bringt – ein Thema, dass aktuell über allen 4.0-Wortkombinationen schwebt. 

Hamburger Tagungen

Anfang/Mitte des Monats war ich gleich auf zwei Tagungen hier im sonnigen Hamburg: Zum Einem auf der Solution Hamburg, einer Fachtagung, die sich um das Thema (humane) Digitalisierung dreht, sowie auf der Talk Meet Innovation (16. HAMBURGER KONGRESS SPORT, ÖKONOMIE UND MEDIEN), einer Veranstaltung, die sich dem Thema „Sport und Stadtentwicklung“ aus einer Vielzahl von (wissenschaftlichen) Perspektiven nähert. Anlass für meinen Besuch auf der Solution war ein Beitrag von Andreas und Lena Siemers (beide Macromedia Hochschule Hamburg) zum Thema „360-Grad-Video/VR“, bei dem wir Ghostthinker im Vorfeld mitwirken konnten. Zwei Gedanken habe ich insbesondere von der Solution mitgenommen: 

Die Gründer und Mit-Initiatoren der Veranstaltung präzisierten zu Beginn (fast schon entschuldigend) den Titel der Veranstaltung: „Digitalisierung: Mannschaftssport für Unternehmen!“ Digitalisierung sei ein irreführender Begriff, weil er nur die technische Facette nahe legt. Dabei gehe es doch vielmehr um eine „gemeinsame Handlungspraxis“, wobei die digitalen Medien eine gute Unterstützung bieten. Ich dachte: „Richtig, wie können wir das noch mehr auf den Begriff bringen?“ 

Angestoßen durch den Tagungstitel gab es eine erste Keynote vom ehemaligen Handballtrainer Heiner Brand. Der Vortrag lebte von den Erfolgen und Erfolgsstrategien aus dem Sport. Nur, was macht man damit in der Wirtschaft? Sein lapidarer Kommentar an die Zuhörer: „Das müssen Sie wissen“. Hier ist es aus meiner Sicht falsch, wenn man die Erfolgsstrategien aus dem Sport einfach in die Wirtschaft trägt und analogisiert und damit die Besonderheiten des Entstehungs- und Anwendungskontextes verwischt. Sport ist NICHT Wirtschaft, … wir erinnern uns, Sven Güldenpfennig hatte gesagt: „Sport ist un-ehrlich, un-friedlich, un-gerecht, un-sozial, un-gesund, un-ökonomisch, un-demokratisch, un-politisch, un-nütz, ja un-sinnig.“ Also, da müssen wir nochmal genauer drüber nachdenken :).

Didaktisches Framing

Der immer noch aktuelle Claim von Ghostthinker lautet: „reframe learning“. Bei der Entwicklung des Claims hatten wir im Sinn, dass vor allem die didaktischen Vorerfahrungen, (epistemischen) Überzeugungen und Wahrnehmungsmuster (kurz: das Mindset) darüber bestimmen, was wir als didaktisch wertvoll oder weniger wertvoll einstufen, und dass eben dieses Mindset als Ausgangspunkt jeglicher Beratung (und Veränderungen) gelten muss. Entsprechend dreht sich ein wesentlicher Teil meiner Beratertätigkeit darum, mit Bildungsverantwortlichen aus Sportverbänden, aber auch außerhalb des Sports, darüber zu sprechen, welche verdeckten Vorstellungen von „guter Lehre“ existieren und wie man sie ggf. kritisch hinterfragen und verändern kann.

Um diese (impliziten) Vorstellungen sichtbar zu machen, nutze ich nicht selten eine Kinderzeichnung, auf der die „Nürnberger Trichter“ durch 180 Grad-Drehung zu kommunikativen „Sprachrohren“ umfunktioniert werden; reframing also auch hier innerhalb der Zeichnung.

In einem eher zufälligen Gespräch mit Dieter Euler letzte Woche in Hamburg bin ich auf diesen Punkt zurückgekommen: Er berichtete von seinen Erfahrungen in der Beratung ausländischer Hochschulen und den Herausforderungen, die gerade im didaktischen Framing liegen, denn: Nicht selten scheitern Implementationsversuche, z.B. weil erst im Prozess deutlich wird, dass die Akteure die didaktischen Überzeugungen nicht (in der Tiefe) teilen, oder weil die Akteure die pädagogisch aufgeladene Sprache nicht verstehen oder verstehen wollen. 

Was tun? Ich glaube, der Weg über die metaphorische (vs. analytische) Visualisierung ist eine Möglichkeit, um zu (impliziten) didaktischen Überzeugungen ins Gespräch zu kommen. Karin Moser, eine Schweizer Kognitions- und Metaphernforscherin,  hatte in den 1990er Jahren die Metaphernanalyse als Methode des Wissensmanagements gedeutet. Hier könnte man sicher nochmal ansetzen, um systematischer als bisher das Verstehen des (didaktischen) Verstehens in den Blick zu nehmen, was auch im Kontext eines „Double-Selfreflexive Scholarship of University Teaching“ (Reinmann/Schmohl) von Interesse sein könnte.