Die „Da-Vinci-Formel“

Ich habe mit Leonardo da Vinci zwei Dinge gemeinsam: Ich bin genau 450 Jahre nach seinem Tod geboren und ich bin als Halbwüchsiger auf ein selbstgebasteltes Fluggerät gestiegen, mit dem mich mein Bruder von einem Turm stürzen wollte; aus reinem Erkenntnisinteresse versteht sich ;-). Aber es gibt noch eine Verbindung, die weniger konstruiert ist … Vor ein paar Jahren bin ich mit Jens Möller in einen Austausch über innovatives Denken und Analogien gekommen. Jens ist Innovationscoach und Autor des Buches „Die Da-Vinci-Formel“, zu dem ich jetzt eine kleine Rezension verfasst habe. Viel Spaß beim Lesen!

Rezension

Jens Möller unternimmt in seinem Buch „Die Da-Vinci-Formel“ den Versuch, aus dem Leben und Wirken des Renaissance-Genies Leonardo da Vici (1452-1519) sieben Erfolgsprinzipien herauszuarbeiten und für die Wissensarbeit heutiger Tage fruchtbar zu machen.

In der Einführung schildert Möller seine Motivation zum Schreiben des Buches und liefert eine kurzweilige Skizze zu den wesentlichen Lebensstationen von da Vinci. So erfährt man z.B., dass Leonardo ein uneheliches Kind war, was ihm den Zugang zur Universität verwehrte. Ausgestattet mit einem Übermaß an Wissbegierde suchte Leonardo zeitlebens nach Orten, Menschen und Gegenständen, bei denen er etwas Neues entdecken oder, wie Möller feststellt, geistig „stehlen“ konnte. Treibende Kraft von Genies, so Möller, seien nicht nur oder vor allem eine einzigartige und für Normalmenschen unerreichbare Kreativität, sondern ebenso menschliche und alltägliche Marotten, Spleens oder Ticks.

Um Letzteres geht es im Hauptkapitel des Buches: um hilfreiche Strategien – abgeschaut vom großen Meister –, die unser Denken, Fühlen und Handeln beflügeln, im wahrsten Sinne des Wortes in die Lüfte heben sollen. Zu diesen Strategien zählen laut Möller: (1) Umgib dich mit inspirierenden Menschen. (2) Klaue gute Ideen und perfektioniere sie. (3) Denke mit Stift in der Hand. (4) Verbinde das Unverbundene. (5) Fühle, was andere fühlen. (6) Probe deinen Mut! (7) Folge deinem Stern!

Jedes dieser Prinzipien wird im Buch durch da-Vinci-Zitate und -Leistungen fundiert und teils mit wissenschaftlichen Erkenntnissen gestützt. So ist es uns zwar intuitiv einsichtig, dass „Notizenmachen“ eine sinnvolle Methode zum Festhalten von Ideen ist, aber zu einer nachhaltigen Kreativmethode, zu einem Erfolgsprinzip der Da-Vinci-Formel, wird es deshalb, weil wir damit feinmotorische, emotionale, visuelle und begriffliche Aktivitäten synergetisch verschmelzen, was zu einer Art mentalen „Sprungbrett“ führt.

Man könnte an dieser Stelle sagen: „Problem erkannt, Gefahr gebannt.“ Möller geht aber noch einen Schritt weiter. Mit dem „Coaching Kompass“ bietet er dem Leser und der Leserin nach jedem Erfolgsprinzip die Möglichkeit, die eigene Kompetenz grob einzuschätzen und mit praktischen Tipps auszubauen. Wie das geht? Z.B. mit dem Tipp, sich die aktuelle Bravo-Zeitschrift zu Gemüte zu führen, um sich produktiv von der Jugendsprache irritieren zu lassen. Oder mit dem Hinweis, in der Fußgängerzone jemanden in ein Gespräch zu verwickeln, um auch kleine Mutproben zu erfahren.

Wie immer geht es beim Thema Kreativität und innovatives Denken um Perspektivenarbeit. Jens Möller gelingt es, den über 500 Jahre alten Großmeister der Perspektivenarbeit – Leonardo da Vinci – nahbar und in seiner Eigensinnigkeit erlebbar zu machen, was eine Leistung ist. Man erhält so nicht nur historische Einsichten; Leonardo gewinnt auch eine menschliche Seite, die zum Vorbild für die eigene Wissensarbeit taugt.

Wer das Buch mit großer Kritikwilligkeit liest, wird sich vermutlich daran stoßen, dass biografische Analyse und Konstruktion relativ flott mit Erfolgsprinzipien verknüpft werden, die sich – folgt man den Einband – zu 7 ErfolgsGESETZEN für innovatives Denken versteigen. Ob all diese „Gesetze“ für innovatives Denken und Handeln gleichranging und universell sind, darf wohl in der Tat bezweifelt werden. Wer das Buch aber neugierig liest und die Empfehlungen als Impulse nutzt, könnte ins Nachdenken kommen und auf diesem Wege sicher die eine oder andere originelle Heuristik mitnehmen.

Außerdem dürften Leserinnen und Leser je eigene interessante Anker in diesem kurzweiligen Buch finden – einen eigenen Anker möchte ich abschließend ergänzen: Will man die „Da-Vinci-Formel“ für die digitale Zukunft nutzbar machen, wäre es interessant, Leonardo noch einmal unter dem Prinzip des „Wahrnehmens, Sehens und Kommentierens“ zu analysieren. Die mehrere tausend Seiten umfassende Sammlung seiner „Notizzettel“ zeigt uns im Kern, wie sich flüchtige Ideen visuell und begrifflich durch Kommentare fixieren lassen. Durch bild- und videobasierte Online-Technologien mit kollaborativer Annotationsfunktion entstehen hier neue mächtige Werkzeuge und „Online-Werkstätten“, die unser aller Denken im Sinne Leonardos „beflügeln“ können.

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