Studenteninitiativen

Aktuell habe ich einen kleinen (virtuellen) Austausch mit Tobias Jenert zum Thema Studenteninitiativen und zwar im Forum von von Ökonomie und Bildung e.V. Wir reiben uns etwas und zwar beim Punkt, inwieweit die Förderung nach Integration von Studentenprojekten in die BA-Struktur realistisch ist. Hier müssen wir noch viel Hirnschmals (und ich glaube nicht nur das) reinstecken, denn die Spielräume sind eng … zumindest in der jetzig Spielart der BA-Architektur. Synergien sind gefragt, aber das ist ja so eine Sache mit diesen voraussetzungsreichen und stratosphärischen Begriffen … gelebt wird im Konkreten.

Disziplinen müssen sich disziplinieren und …

Gestern waren Christian und ich in Heidelberg, wo das erste Arbeitstreffen zum EU Paedimed-Projekt stattgefunden hat. Gabi konnte leider nicht dabei sein, weil sie an der Uni Prüfungen hatte – aus mehreren Gründen schade! Was war also los: Nach einem lecker Abendessen haben wir noch die Heidelberger Altstadt besichtigt, Schloss und Brücke, danach, wir kennen das, wurde „Grundsätzliches besprochen“. Am nächsten Tag haben wir uns im Institut für Arbeits- und Sozialmedizin getroffen. Anwesend waren Arbeitsmediziner (u.a. Onkologen, Dermatologen), Gesundheitswissenschaftler, Berufs- und Medienpädagogen. Bei diesem Projekt geht es ja – das ist mein derzeitiges Mentalmodell – um die Entwicklung einer Lernumgebung zum Thema Empowerment (salutogenitscher Gesundheitsbegriff). Thematische Aufhänger zu diesem Leitthema sollen aus dem Bereich Dermatologie kommen, wie z.B. das Themenfeld „sexuell übertragbare Krankheiten“. Das Ganze soll dann an Schulen aus Deutschland, Italien und Rumänien implementiert werden und zwar nach einem Blended-Learning-Ansatz mit der Zielgruppe Lehrer, Schüler und beteiligte (Schul)-Ärzte. Am Ende könnte eine Art Projektwoche stehen, für die eine Onlineumgebung, Kick-off-Materialien und ein Ablaufkonzept (+ evtl. Train-The-Trainer Konzept) bereitgestellt werden. So ein allererster Rahmen, auf den wir uns geeinigt haben.

Aber darum geht es hier nicht: Spannend war für mich das Zusammentreffen der Fachdisziplinen selbst und hier die Einsicht, dass wir an einer gemeinsamen INHALTLICHEN Zielvorstellung arbeiten müssen. Einerseits sind unterschiedliche Erwartungen/Vorstellungen/Sprachen für ein Erstreffen vollkommen normal, wahrscheinlich. Andererseits ist es sehr interessant, was Mediziner als bedeutsam erachten und was wir Pädagogen als bedeutsam erachten – bei einer ähnlichen Zielvorstellung versteht sich. Die einen rücken die Fachtexte ins Zentrum, bei den anderen gilt das Primat der Didaktik. Wir kommen wahrscheinlich nicht weiter, wenn wir danach fragen, was für uns selber das Wichtigste ist, jeder sieht das, was er gewohnt ist zu sehen, für Experten gilt das zweimal. Für mich ist die Frage entscheidend, worauf hin wir unsere (interdisziplinäre) Arbeit hin integrieren wollen, was also der Zweck ist. Und der Zweck wird im Wesentlichen von der Zielgruppe her definiert , also von den Schülern, Lehrern und den beteiligten Ärzten vor Ort. Und wahrscheinlich ist genau diese Nachfrageorientierung der Schlüssel dafür, wie eine interdisziplinäre Zusammenarbeit (in diesem Fall) aussehen kann, wer also welche Inhalte, in welcher Bearbeitungstiefe bereitstellt und wer für den „Produktcharakter“ letztlich verantwortlich ist. An der Deutschen Sporthochschule in Köln hat mich die Herausforderung „Interdisziplinarität“ schon einmal beschäftigt. Ich hatte damals den Eindruck, dass (trotz guter institutioneller Voraussetzungen), kein echter Wille an so einer Zusammenarbeit vorhanden war – das Etikett reichte. Innerhalb einer Disziplin liegt eben nicht der Schlüssel (und der Anreiz) für Interdisziplinarität. Entweder kommt dieser von „weisen“ Wissenschaftlern/innen, die den Horizont und damit die Grenzen des eigenen Tuns mitdenken und von daher kooperieren, was zu selten vorkommt oder, der andere Weg, die Disziplinen müssen sich über eine äußere Kraft (Nachfrage Dritter), disziplinieren. Disziplinen müssen sich disziplinieren, ja das hört sich gut an :-).

Dennis Linder, ein Mitglied des Consortiums aus Italien, hat mir freundlicherweise beim Abendessen eine Buchempfehlung gegeben: Knock oder Der Triumph der Medizin. Ich habe das Gefühl, dass dieses Buch mit den oben gemeinten „Einkapselungen“ und den dadurch hervorgerufenen Paradoxien zu tun hat. Aber wahrscheinlich müsste man dann auch ein zweites Buch schreiben: Knock – oder der Triumph der Pädagogik. Ja, am Anfang aller interdisziplinären Zusammenarbeit gehört – glaube ich – so etwas wie eine Satire, ein Schauspiel, das allen Beteiligten den Spiegel vorhält. Nicht um zu strafen, sondern um uns zum Lachen zu bringen – über uns selbst. Damit machen wir unsere hochheiligen Inhalte und Methoden nicht lächerlich, sondern wir können unverkrampfter mit den selbstgesetzten Grenzen umgehen. „Echte“ Interdisziplinarität ist vor diesem Hintergrund (Selbst-)Neufindung, jedenfalls Relativierung eingefahrener An- und Einsichten. Eine Satire zur Zusammenkunft von Medizin und Pädagogik wäre eine spannende Herausforderung und vielleicht eine der besten Investitionen in die gemeinsame Zukunft.

Mitarbeit im EU-Projekt paedimed

Am 19. Oktober starte für uns das EU-Projekt paedimed (Medizin und Pädagogik), bei dem die Ghostthinker-Gruppe konzeptionell im Bereich Didaktik/ Medientechnik mitwirken darf. Genauer geht es darum, mit unterschiedlichen Partnern aus der Medizin (Dermatologie, Klinische Sozialmedizin, u.a.) und der Pädagogik (Medienpädagogik, Gesundheitspädagogik u.a.) Maßnahmen zur hautbezogenen Gesundheitsförderung/ Gesundheitsbildung in Schulen und an Arbeitsplatz zu entwickeln, diese umzusetzen und zu evaluieren. Koordiniert wird das Projekt von der Universität Heidelberg . Eine erste Partnerübersicht und Zielformulierung gibt es hier.

Narrationen im E-Learning

Ich beschäftige mich gerade intensiver mit dem Thema Narration, also mit erzählerischen Darstellungsmitteln im Rahmen der Gesundheitsbildung. Ganz konkret geht es (im MOment) darum, einen 3min (interaktiven) Lehrfilm zu entwicklen, der mit narrativen Mitteln arbeitet und den man z.B. in Ärztpraxen (=> Beratungsecke) einsetzen kann. Bisher bin ich bei der Literatur nicht gerade fündig geworden. Leuchtende Ausnahme ist das "Drehbuch zum Drehbuch" von Albert Heiser. Das Thema wird ja gerade erst – es hat den Anschein – vom E-Learning entdeckt, Z.B. die Tagung "Narrative and interactive learning environment". Eher allgemein zur Narratologie finden sich bei der Hamburger Forschergruppe gute Beiträge.

GMW Tagung 2006 & Fachdidaktik

Wenn man von einer Tagung nach Hause fährt, dann gehen einem so manche Bilder und Gedanken durch den Kopf. Neben den vielen interessanten Angeboten auf der GMW-Tagung ist mir aber ein ganz bestimmter Vortrag in fester Erinnerung und zwar der von Alain Schorderet , der über den Zusammenhang von Gedichten und E-learning gesprochen hat. Als einer der Wenigen hat sich Alain bei seinem Referat primär und mit voller Leidenschaft dem Gegenstand seines Faches gewidmet, also dem WAS! Zunächst hat er uns mit Takt und Melodie ein französisches Gedicht vorgelesen und dieses dann auf Deutsch übersetzt – das hat allein 15 min gedauert … der reine Luxus für einen 30 min Vortrag, zumal auf einer Tagung, bei der die neuen Medien im Zentrum stehen. Dann hat er uns gezeigt, wie man Studenten dabei helfen kann, die komplexen Analyseschritte bei einer Gedichtsinterpretation mit Hilfe eines Wikisystems durchzuführen. Der Schwerpunkt der Argumentation lag auch hier auf dem WAS, also auf den Analysegegenstand, z.B. welche rhetorischen Figuren verwendet werden, welche semantischen Regeln zugrunde liegen etc. Eher nebenbei und nachrangig hat Alain das Wiki beschrieben, mit der er diese Analyseprozesse im virtuellen Raum unterstützt. Zwar bin ich wie Christian davon begeistert, das guter Unterricht mit so einfachen (technischen) Mitteln möglich ist. Doch das ist nicht der Grund, warum mich dieser Vortrag bewegt. Vielmehr wurde mir durch diesen Vortrag (wieder) klar, wie wertvoll die fachdidaktische Perspektive auch und gerade im E-Learning ist, eine Perspektive, die wir im Zuge unserer E-Learningbemühungen (zunehmend) aus dem Auge verlieren. Hierfür sehe ich zwei Gründe:

* Erstens treiben uns die BA- und MA-Strukturen in den Sozial- und Geisteswissenschaften und die damit verbundene Forderung nach (inhaltsneutralen) Schlüsselkompetenzen tendenziell weg von den Inhalten. Gerade in Fächern, die sich schwerlich über ihren Nutzen für den Arbeitmarkt legitimieren lassen, weicht man immer mehr in Richtung dieser Schlüsselkompetenzen aus. Aber: Wer stricken will, braucht Wolle, und es ist primär die Wolle, die ein Fach und seine Didaktik ausmachen.
* Zweitens besteht gegenwärtig (wieder) ein wissenschaftliches Interesse daran (z.B. Peter Baumgartner) eine Taxonomie, also ein allgemeines Ordnungsraster für Objekte und Prozesse der Didaktik zu entwickeln. Baumgartner sieht innerhalb seiner „Information Objects“ keine Notwendigkeit, eine fachdidaktische Perspektive einzuführen. Er betont hingegen, dass seine Taxonomie gegenüber fachspezifischen Inhalten neutral sein muss (S. 240, GMW Band 38 oder hier S. 3) – eine Folge, wie ich meine, des Verallgemeinerungsimperativs von Taxonomien. Die fachdidaktische Perspektive führt er erst nachrangig in den Prozess des „Exports“ ein, d.h. bei der Prozessierung seines Repositoriums (= Aktenschrank der Informationsobjekte und Didaktische Szenarien), und zwar in der Didaktischen Szene. Genau hier sehe ich das Problem: eine E-Learning Didaktik muss doch das Besondere des zu vermittelnden Gegenstands ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellen, sie muss bei den Qualitäten der sog. „information objects“ (IO) so unterschiedlicher Disziplinen wie Mathematik, Kunst, Technik unterscheiden! Eine Fachdidaktik muss diese Informationsobjekte nach einer je eigenen Logik zusammenbauen und sie muss hierzu spezifische Content-Designideen integrieren. In einer Art Wechselbeziehung zum Informationobjekt-Design muss sie eigene Pfade der Vermittlungs- oder Konstruktionsdidaktik finden (siehe hierzu die Unterscheidung von Inhalts- und Aufgabendesign in Gabis Buch). Von diesem Punkt aus betrachtet, habe ich prinzipielle Zweifel am Vorgehen hin zu einer Taxonomie, denn: der Praktiker, der Lehrer, für den diese Taxonomie als „kreativer Schlüssel“ gedacht ist, dieser sieht das didaktische Problem aus der Perspektive seines Faches und damit primär vom Gegenstand aus. Ich weiß nicht, ob dieser mit (allgemeinen) didaktischen Szenarien – so detailliert sie auch beschrieben sein mögen – etwas anfangen kann. Die theoretische Herausforderung (will sie denn auch praktisch sein) besteht für mich darin, wie man die fachdidaktische Perspektive in eine allgemein didaktische Perspektive – meinetwegen in Form einer Taxonomie – hinein projizieren kann.

Generell weiß ich nicht, ob ein analytisches Verfahren mit einer fast atomistischen Aufgliederung in IO, DS etc. sinnvoll ist. Alternativ würde ich nach der „funktionellen Einheit der Didaktik“ fragen analog zur funktionellen Einheit im Organismus, also die Zelle. In dieser biologischen Perspektive sind Objekte und Prozesse zusammengedacht und zwar bezogen auf die nächst höhere (Funktions-)Ebene. Kann man sich hiervon anregen lassen? Zumindest aber muss man in eine analytisch-deskriptive Darstellung sog. „Views“ einführen also integrierte (problemlösende) Sichtweisen, die sich von einem bestimmten Standpunkt x, z.B. eines Lehrers für Kunstgeschichte, ergeben und die konkrete Handlungsschritte bzw. Entscheidungshilfen nahe legen.

ZfPäd wird 50 Jahre alt

Auf der Suche nach gereviewten (deutsprachigen) Zeitschriften für erziehungswisenschaftliche bzw. pädagogische Themen, bin ich bei der Zeitschrift für Pädagogik hängen geblieben. Da die Zeitschrift ihr 50-jähriges Bestehen feiert, geben die Herren Tenorth und Oelkers einen kurzen Abriss zur Geschichte der Zeitschrift . Sowas finde ich immer sehr hilfreich, wenn man den Charakter einer Zeitschrift verstehen will. Im letzten Absatz wünschen sie sich für die Zukunft Textbeiträge, die noch die "Denkform der Pädagogik" bereichern und, so schreiben sie weiter, das "Unwahrscheinliche nicht ignorieren". Ich bin davon überzeugt, dass die Zeitschrift mit einer solchen zukunftsoffenen Haltung gerade junge Wissenschaftler begeistern kann. Wer das "Unmögliche möglich machen" will, der ist auch für die nächsten 50 Jahre gut gerüstet. Glückwunsch!

Symposium – Nachtrag

Ja, das war so ein Tag. Zunächst: ich bin froh, dass alles soweit geklappt hat. Die Streitrunde, das Essen, die Workshops. "Soweit" deshalb, weil z.B. die Theatergruppe nicht vom Bahnhof abgeholt wurde und die Armen eine Stunde in der Kälte standen und gewartet haben, ehe sie auf die Idee kamen ein Taxi zu rufen. Egal, sie waren Punkt um zum Start des Symposiums einsatzbereit und haben ein tolles Stück präsentiert. Nach einer knappen Einleitung von Gabi und mir wurde dann die Streitrunde eröffnet. Sehr positiv – fand ich – war die Auswahl der Streitrundenteilnehmer. Der echte bayrische Schulleiter und der arrogante Bildungsfanatiker (rechts aussen ;-) hat so manchen innerhalb und ausserhalb der Streitrunde auf die Palme gebracht. Nach dem Mittag ging es in die Workshops. Die Ergebnisse waren eher von allgemeiner Natur. Spezielle Einsichten oder gar neue Ideen kamen weniger zustande. Schade, wir hätten doch die Anker konkreter machen oder noch mehr Zeit geben sollen. Die Rückmeldungen sind unterschiedlich, sie schwanken von sehr gut bis "habe nix gelernt". Was bei vielen Teilnehmern aber nachwirkt ist ein Gefühl für die Komplexität des Themas. was zuvor eindeutig war, ist nun schwieriger geworden; das nennt man im warsten Sinne des Wortes "frag-würdig werden lassen". Dazu kommt die Erfahrung, dass der Austausch zwischen Schule und Wirtschaft sehr nötig ist, da die Fronten verhärtet sind. Ob ein Symposium wie das unsrige zu mehr Vertrauen beitragen kann, weiß ich nicht. Ich bin mal gespannt ob es Aussenressonanz gibt, wenn wir die DVD fertigstellen und veröffentlichen.

Urlaub, Ideen und ein Buch

 Strandbild_AmrumDen Urlaub haben wir auf Amrum an der Nordsee verbracht. Wir haben uns in einem netten Haus mit Schwimmbad und Sauna eingemietet. Dass wir für das kommende Jahr schon wieder Amrum vorgebucht haben, sagt alles darüber aus, wie es uns gefallen hat :-). Anders als in südlichen Ländern gestalte ich (wir) den Tag wesentlich aktiver, weil das wechselnde (sicherlich auch kühlere) Wetter zu unterschiedlichen Aktionen herausfordert. Alles im Allem kommt der Norden mit seinen weißen Stränden (auf Amrum sind sie selbst in der Hochsaison herrlich leer) und die gelassenen Moin-Moin-Art der Bewohner meinem Bedürfnis sehr entgegen. Vor allen hat sich die Kombi-Reise mit den Schwiegereltern als „fruchtbar“ herausgestellt. Jeder der ein Kind dabei hat weiß, wie entlastend und erfreulich die Aufmerksamkeitsdiffusion sein kann ;-).

Bei uns geht es im Urlaub ja immer etwas anders zu als bei anderen – glaube ich jedenfalls. Das fängt an beim oben erwähnten Schwiegereltern-Kombi-Urlaub, geht über den W-LAN Laptop und endet bei den nicht wenigen Gesprächen zu Fragen des Lehrens und Lernens. Der Urlaub, insbesondere der nachmittägliche Kaffee, ist der Ort, bei dem wir Neues besprechen. U.a. haben wir in den letzten Tagen die Folien für den GMW-Vortrag (soweit) fertig gemacht und die Struktur des neuen Onlinebarometers festgelegt, zumindest was den Bereich der Emotionen angeht. Alles ist (neben Chris) an Jojo gegangen, der bis zum 22-ten einen ersten Prototyp auf Flashbasis erstellen möchte; er hat sich ja dazu entschieden zu diesem Thema seine BA Arbeit zu schreiben, was mich sehr freut. Auf der Grundlage der Ideen, u.a. auch von Chris und Alex , wird er sicherlich einen genuin eigen, kreativen Beitrag zum neuen „Onlinebarometer“ (der Begriff wird bald aufgelöst) leisten.

Im diesjährigen Urlaub begleitet mich ein gutes Buch. Mein Bruder hat es mir geliehen und es kommt zur rechten Zeit. Es ist ein lehrreicher Roman von Bryan Magee mit dem Titel „Bekenntnisse eines Philosophen“. In einem eher narrativen, autobiographischen Stil führt Magee den Leser durch einige Passagen der Philosophiegeschichte. Die ersten Kapitel drehen sich um die Oxforder Jahre, in denen Magee Geschichte und Philosophie studiert hat. Er rekonstruiert anhand vieler Begegnungen mit britischen Philosophielehrern und Seminarskizzen die Grundpositionen des Logischen Positivismus (Moore, Russel etc.), ohne die offensichtlichen Schwächen dieser empirischen, sich auf später die Sprachphilosophie fokussierenden Richtung zu verschweigen. Durch zwei längere Einschübe zu Begegnungen des Autors mit Karl Popper und Bernhard Russel erhält man die Möglichkeit, sehr nah und intim an die „Größen“ heranzurücken. Hier werden nicht nur spezielle Interpretationen der Hauptwerke (z.B. Poppers „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“) geboten, sondern es werden auch lustige Anekdoten erzählt; letztere schaffen die angesprochene Nähe und Intimität. Dass es sich um keine nüchterne „Einführung in die Philosophie“ handelt, merkt man spätestens im 13. Kapitel, indem der zu diesem Zeitpunkt 34-jährige Magee auf seinen eigentlichen Job als Fernsehjournalist, zeitweise auch als Politiker der Labour Partei, eingeht. Er zeigt die „Sümpfe“ der Realpolitik und die Differenz zu „seiner“ politischen Philosophie, die im Wesentlichen auf Poppers Füßen steht. Zudem wird immer wieder Magee Bemühen gezeigt, (Fach-)Philosophie einer breiten Hörerschaft in Radio und Fernseher zugänglich zu machen.

Das Kapitel endet mit einer Art Zäsur, den Hinweis, dass Magee in diesen Jahren seine Lebenskrise (Midlife-Crises) durchlebt, die er etwas später auch als „Kernschmelze“ bezeichnet. Zwar meldet sich schon in früheren Kapiteln das Bedürfnis nach den großen Sinnfragen an, vor allen in den sinnabstinenten Oxforder Jahren, aber mit Beginn der 4ten Lebensdekade, Mitten in seiner selbst attestierten vita activa, bricht Magee geradezu in ein mehrjähriges, schwarzes Loch. Dies ist der Zeitpunkt, an dem Magee beginnt, die (Lebens-)philosophen des europäischen Kontinent intensiver zu lesen: u.a. Kirkegaard, Nietzsche, Schopenhauer etc. Diese Autoren sprechen über das, worüber die anderen zum Schweigen verpflichtet haben (Wittgenstein). Man nimmt es Magee ab, wenn er seinen existenziellen Durst nach Sinn, in primär emotionalen Erfahrungen in der Konfrontation mit Kunst und Theater findet. Letzt endlich ist es aber die Philosophie von Arthur Schopenhauer, die ihn – wie er sagt – von seiner „geistigen Klaustrophobie“ rettet. Schopenhauer, der sich selber anschickt, die Philosophie Kants weiterzuentwickeln, findet in der Kunst, aber auch z.B. in der Beschäftigung mit Sexualität jene unmittelbare und existenzielle Erfahrung, die er ins Zentrum seiner Philosophie stellt. Und genau in dieser Doppelstruktur im Werk Schopenhauer erkennt Magee das, wonach er sich sein Leben lang sehnte: einerseits Antworten auf die von Kant hinterlassene Scheidelinie zwischen Phänomenon und Noumenon (einfacher kann man auch sagen: Erde und Himmel) und anderseits die Hinwendung zur lebendigen (und eben nicht begrifflich blutleeren) und universellen Erfahrung mit der Kunst i.w.S..

Ich will an dieser Stelle den Roman nicht weiter wiedergeben; einerseits ist genug gesagt um sich ein Bild zu machen anderseits findet sich im zweiten Teil ein Art Vertiefung zum ersten: es werden die Grenzen der analytischen Philosophie bzw. der akademischen Philosophie generell aufgezeigt und es wird die in einer Kanttradition stehende Philosophie Schopenhauers überschwänglich gelobt, wie ich es im letzten Abschnitt angedeutet habe. Am Ende hat mir das Buch viel Freude gemacht: es wechselt zwischen groben Verlaufsskizzen der Philosophiegeschichte, z.B. der der platonischen und aristotelischen Tradition, detaillierten Einzeldarstellungen, z.B. zum Wahrnehmungs- und Erfahrungsbegriff bei Kant, politisch-pragmatischen Folgerungen für die Realpolitik, z.B. durch die Optik der Popper-Freundschaft und bettet all diese Erkenntnisse in einen biographischen, sehr persönlichen Zusammenhang ein. Gerade diese intimen Erzählungen, die den Leser (mit) an den Rand seiner persönlichen Existenz führen, die biographische Brüche und Unzulänglichkeiten aber auch Wünsche und Erfolge Magee’s aufzeigt, versprühen eine emotionale Wärme und Glaubwürdigkeit, die (an-)spricht und lesenswert ist.

Im Grunde bildet das letzte Kapitel des Buches „Offene Frage“ noch einmal eine Zäsur. Man hat das Gefühl, dass Magee hier all das loswerden will, was ihn bis aufs Mark umtreibt; im Kern sind es Fragen zum (metaphysischen) Selbst, zum Tod und der Existenz „danach“. Auf den letzten 10 Seiten offenbart er uns sein Hauptmotiv: er hat eine Todesangst vor’m Sterben und daraus leitet er einen unmenschlichen Willen zum Überleben ab. Dieser Wille ist es, der ihn ein Leben lang – fast in Form eines Wahns – zu den grundlegenden Existenzfragen drängt. Und vor dem Hintergrund dieses menschlichen Grundmotivs ist der Roman in wahrsten Sinne des Wortes ein persönlicher BILDUNGS-Roman. Mir hat dieses Buch auch deshalb Freude gemacht, weil es mich weggetragen hat, weggetragen von all dem, was ich eigentlich im Moment lesen müsste! Damit hat ein Buch, ein Urlaubsbuch allemal, seine Hauptpflicht getan.