Vom Web 2.0 zur Sportpädagogik 2.0

Zusammen mit Andreas Hebbel-Seeger werde ich auf der diesjährigen dvs-Jahrestagung in Münster (Bildungspotentiale im Sport) einen Arbeitskreis anbieten. Wir haben uns für den Titel "Vom Web 2.0 zur Sportpädagogik 2.0" entschieden, wohlwissend, dass wir mit dem Zusatz "2.0" Unverständnis ernten können. Aber: Im Bereich der Sportwissenschaft ist nach dem Web 1.0-Boom (Förderprogramme) nicht mehr sooo viel passiert :-) (von einigen Ausnahmen wie in Saarbrücken, Darmstadt, Stuttgart oder Giessen abgesehen). Ich bin in diesem Zusammenhang sehr gespannt auf das Referat von Christoph Igel: "Zur 'nicht-strukturellen' Integration von Bildungstechnologien in der Sportwissenschaft: 10 Jahre nachdenklich stimmende Erfahrungen im Überblick".

So signalisieren wir mit unserem AK eine Art Zäsur, denn die Sportpädagogik/ Sportdidaktik könnte ganz besonders vom partizipatorischen Potential der Web 2.0 Ansätze profitieren. Konkret wollen wir den Teilnehmern zeigen, wie man sich die bisher schwer einzulösenden Reflexionspotentiale in der Bewegungs- und Spieledomäne vorstellen kann.

Zuhören trotz Medien

Es wird ja immer gesagt, unsere Kinder können nicht mehr zuhören, wegen "all der Medien". Das klingt reichlich nach Klischee, ich weiß, aber in Alltagsdiskussionen treffe ich es dennoch oft an. Am Mittwoch war ich auf dem Erzählfest der Bücherei hier in Wolfratshausen. Ca. 50 Kinder hatten sich mit Eltern versammelt um Geschichten zu lauschen, die teils von Kindern, teils von einem professionellen Erzähler vorgetragen wurden; und wenn erzählt wurde, dann war es muxmäuschenstill. Hedi Reinmanns 13 Kinder machten ihre Sache ohne Zweifel prima, hatten sie doch in den letzten Wochen Geschichten erfunden, bemalt und das Vortragen eingeübt. Toll! Gestützt wurden diese Kindererzählungen von Michael Klute, einem Geschichtenerzähler bzw. Mundwerker wie aus dem Bilderbuch: lange, zottelige Haare, große Augen, tiefe Stimme :-). Mit seinen Instrumentaleinlagen hat er nicht nur die Kinder entzückt, sondern auch bei den Erwachsenen (den großen Kindern) Neugier geweckt. Alles in Allem: ein Supernachmittag mit der Erkenntnis: Erzieher/Lehrer sollten Geschichten erzählen können, das ist echt eine pädagogische Basiskompetenz. Die Herausforderung besteht freilich darin, aus dem "Geschichtenerzähler" jemand zu machen, der Geschichten über Schulstoff erzählen kann. Gibts das?

P.S. Leider kann ich keine Kinderbilder hier zeigen, der Luftballon soll die Stimmung andeuten ;-).

Jürgen Vogel – grenzgängerisch

Gestern Abend habe ich mir den Film "Der freie Wille" von Jürgen Vogel angesehen – hartes Kaliber, authentisch, "grenzgängerisch", wie Vogel selber in einem lesenswerten Interview sagt. Erzählt wird eine Geschichte eines Vergewaltigers, der Heilung in einer Klinik sucht, sie aber nicht findet. "Es steckt in mir – immer!", ruft er seiner Freundin kurz vor dem Selbstmord, dem Freitot, zu. Der Film wühlt auf, die an manchen Stellen beschämende Direktheit des Films ist befremdlich, man will den Film weiterspulen, weil man mit dieser Facette der Menschheit nicht klar kommt. Mir geht das Buch von Biere durch den Kopf, auch dort geht es um den freien Willen, auch dort handelt der Anfang des Buches von einem Irren, hier einem Mörder. Der Film (und Buch) würde z.B. in der Oberstufe viel Potential bieten: Umgang mit (gefährlichen) Kranken? Was ist Krankheit/Gesundheit? Verantwortung, wem gegenüber? Freiheit des Willens? Gesellschaftsbild? Freitot? … Vogel in die Schule! :-) Er würde wahrscheinlich – hmm, obwohl, er hat 4 Kinder – ablehnen. Aber die Filme sollte man nutzen, WEIL man ihm die Rollen, die Botschaften abnimmt … und das genau deshalb, weil er nicht gesellschaftsfähig sein will. Doch Vogel ist kein Grenzgänger (was ist denn heute noch Grenze?), er ist ein "Blindfleckler", einer, der uns Augen macht für das, was inmitten der Gesellschaft passiert, was wir aber nicht sehen (können oder wollen).

Was ist ein i-Modulator?

Gestern hatte ich ein Gespräch mit meinem Bruder, Peter. Schon länger, eigentlich schon seit 10 Jahren, beschäftigen wir uns (informell) mit der Vorgründungsphase, also der Phase eines Projekts, wo es darauf ankommt, rohe Ideen zu formen, Köpfe zu motivieren und ihre Potentiale zu koordinieren. Das hat viel mit Psychologie, vielleicht auch Pädagogik, wenig mit fließendem Geld zu tun ;-). Mit dem aus der Unternehmensgründungsszene bekannten Begriff der „seed-Phase“ sind diese Prozesse nur unzureichend abgebildet: „vor“ kann vieles heißen und der Gründungszeitpunkt x ist oft nur ein formaler Rechts-Akt .

Wie kann man den Wertschöpfungsprozess und die damit verbundenen sehr unterschiedlichen Herausforderungen beschreiben? Peter hat vor allem den ersten Schritt im Blick: „In der Startphase kommt es darauf an, dass jemand die Personen (Träger der Ideen) für ein Produkt oder eine Dienstleistung, z.B. Ingenieure unterschiedlicher Fachrichtungen, „aktiviert“, ihnen das Wertschöpfungspotenzial vor Augen hält, die verstreuten Ideenfragmente so aufbereitet, dass daraus eine vermarktbares Potential (nicht ein wissenschaftliches Potential) entsteht. Kurz: man muss einen Anfang machen, man muss Energien dort bündeln, wo sie latent sind: etwas Unsichtbares und flüchtiges wird sichtbar. Dabei muss man die meist kauzige Art der Ideengeber aushalten können, man muss durch ein „halbes“ (meist analoges) Verstehen die Idee zusammenhalten, man muss ein Klima der Kommunikation entfalten können und zwar dort, wo die Gruppe noch gar nicht so genau weiß, worüber sie kommunizieren soll – Kommunikation ohne Grund , aber mit Zweck.

Die Person, die diesen „ersten Akt“ unterstützt, könnte man i-Modulator nennen. Warum Modulation? M. ist ein transdisziplinärer Begriff, der in der Musik, Medizin, Biochemie, Linguistik vor allem in der Nachrichtentechnik gebraucht wird. Als Begriffskern könnte man sagen, dass man mit Modulation eine „Anpassung“, „Überleitung“, „Transformation“ mindestens zweier Qualitäten meint. Hier ein Blick in die Nachrichtentechnik:

„Ein großes Anwendungsgebiet in der Nachrichtentechnik ist die Signalübertragung. Es geht darum, wie man viele Informationen möglichst verlustfrei über einen Übertragungsweg übertragen kann. Bei der Übertragung verschiedener Signale auf dem selben Übertragungsweg ist ohne eine vorherige Signalaufbereitung kaum eine Signalübertragung möglich. Deshalb werden Modulationsverfahren eingesetzt, um Informationen und Daten so in elektrische Signale umzuwandeln, damit sie für die Übertragung geeignet sind. Ein Modulationsverfahren beschreibt, wie Daten abgebildet werden müssen, damit sie auf einem Kabel oder über die Luft übertragen werden können.“ (Quelle: Elko)

„Unterschiedliche Daten auf EIN Kabel kriegen“. So oder so ähnlich könnte man (recht mechanistisch) die Funktion eine i-Modulators im Gründungsprozess beschreiben. Wofür steht das „i“? Ganz modern für Idee, Innovation, Information.

Erst wenn dieser Übergang von der impliziten zur einer expliziten Idee vollzogen ist, wenn man überhaupt erst sagen kann: „Wir haben eine Idee!“, dann kommen die BWL-er, die diese Idee in Richtung eines ordentlichen BP mit Projektplanung weiterentwickeln, dann kommen die Banker, welche die Idee weiter prüfen und am Ende kommen die VC-Partner, die an den abstrakten Eckwerten der Gründung Interesse haben.

Warum erscheint mir der i-Modulator (also ein Kunstwort) erwähnenswert? Weil der oben skizzierte „flüchtige Prozess“ weder in der Gründungspraxis angemessen eingebunden noch in der Literatur zum entreprenerership education gut beschrieben ist. Gerade im Zuge eines „Wirtschaftskundeunterrichts“ an Schulen oder Projekten zum Gründungsprozess (EE) an der Universität fände ich die Beschäftigung mit dem i-Modulator wichtig, weil Schüler/Studenten erfahren könnte, dass „Wirtschaft“ nicht vom Himmel fällt, sondern (zumindest Wirtschaftsgründungen) viel mit Psychologie, Pädagogik und … wenn man den Spagat aushält, auch einiges mit „kosmischer Religiösität"  (s.a. A. Einstein) zu tun haben.

Kinder-Erzählfest 2009

Nun schon zum dritten Mal veranstaltet Hedi Reinmann zusammen mit der Stadtbüchereiin Wolfratshausen ein Kindererzählfest. Ausgehend von Hedi`s Erzählkurs beim Goldmund Verein in München hat sich hier in Wolfratshausen ein Geschichtenwerkstatt für Kinder entwickelt, in der die 5-11 Jährigen – zusammen mit Hedi – Geschichten erfinden, dazu bunte Bilder malen und in einem dritten Schritt versuchen, Bilder samt Geschichte vor einem Publikum vorzutragen. Das ist sehr spannend, lustig und mit Herzklopfen auf Erzähler- wie Zuhörerseite (meist Eltern) verbunden. Dieses Jahr freuen wir uns besonders auf Michael Klute, einem (Kinder)erzähler aus dem Sauerland (da wo ich wech komm). Man muss ihn gehört UND GESEHEN haben… wenn er erzählt, dass ein Bär brummt, dann brummt der Saal. Also, wer Kinder im genannten Alter hat oder selber das Kindsein noch attraktiv findet, der sollte kommen! 20. Juli 2009, 15.00, Wolfratshausen, Stadt-Bücherei.   

learning from learners – a smart idea?!

Die letzten beiden Tage war ich auf der IATEL-Tagung in Darmstadt, was sehr interessant war. Gabi musste dort einen Vortrag halten und in einem solchen Fall bietet sich ein Exkurs aus dem Alltag immer an ;-). Schon vor Wochen wollte ich ein Motivationsschreiben zu dieser Tagung einreichen, um dort an den Workshops aktiv teilzunehmen. Leider habe ich das verschwitzt und so konnte ich mich mit dem didaktischen Konzept zum SportCampus nur oberflächlich einbringen. Inhaltlich bot meine Session hierzu nämlich mancherlei Anker: z.B. durch die Anwesenheit von Computerlinguisten und Informatikern, die Interesse an dem Zusammenhang von „Bewegungsvisualisierung und Sprache“ oder „guided tagging“ hatten.

In unserer Session „learning from learner – a smart idea“ haben wir das Ziel verfolgt, die impliziten oder auch fehlenden „Setzungen“ (Annahmen, Bedingungen) zu finden, die hinter dem eigenen Lernkonzept stehen, z.B. gehe ich von einem Novizen-Experten Modell aus? Will ich Sinnverstehen fördern oder bloße Informationsverteilung? Betrachte ich den Lerner als hilfsbedürftig oder neugierig? Welche Vorstellung habe ich von der Community? Wie steht diese mit dem einzelnen Lerner in Verbindung? Hinter diesen Fragen verbergen sich Modelle, z.B. Lernermodell, Communitymodell, Technikmodell, Anwendungsmodell, etc. Es kam im Grunde heraus, dass sich einige Kleingruppen gar keine Gedanken über ihre Modellannahmen machen oder dass das Zusammenspiel (Abhängigkeiten) der Teilmodelle nicht hinreichend berücksichtigt wird. Insofern ist es interessant, s y s t e m a t i s c h nach blinden Flecken der didaktischen und technischen Entwicklungsarbeit zu suchen und dabei für die unterschiedlichen Fachsprachen/ Annahmen der Beteiligten (allem voran Pädagogen und Informatiker) sensibilisiert zu werden.

Ich habe gemerkt, dass die Diskussion „ohne konkreten Fall“ oft schwindlig hoch und allgemein ist, da man immer alle möglichen Modellparameter berücksichtigen muss. Das ist einerseits inspirierend, weil die geistige Beweglichkeit über die Modellgrenzen hinweg hoch ist. Andererseits ist eine solche Diskussion unbefriedigend, weil sie bei informationsarmen Aussagen stehen bleiben muss, z.B., „es kommt darauf an“ ob die Idee Learners from learners funktioniert. Durch eine dichte Beschreibung eines komplexen Falls könnte man die vorgeschlagenen Modelle „aktivieren“, d.h., konkreten Modellparametern zuordnen. Diese Konkretisierung bei gleichzeitiger Modelleeinordnung hätte den großen Vorteil, dass man die zentrale Frage der Ausbalancierung von Modellparametern (model balancing) anschaulich macht. Das ist – glaube ich – sehr lehrrreich, für den Vortragenden und Zuhörer.

Die Abschlussdiskussion am Samstag bündelte nochmal die Ergebnisse aus den Sessions. Gegen Ende ging es nicht mehr um e-learning, sondern um Grundsätzliches: um den Wert der Formung an einer Universität, dem Wert der „Unterwerfung“ der Studenten unter einen „Zwang“, der zur Freiheit und Bindung führt (Sesink). Das sind alte, dialektische Formeln, die immer noch gültig sind. Das Problem der m o d e r n e n Universität ist aber, dass wir uns verstärkt „toten Formen“ unterwerfen, also Regeln und Bindungen, die „weh tun“ OHNE das damit personales Wachstum verbunden ist. So kamen wir abschließend zu einer Hintergrundfolie für e-learning-„Aktivisten“, von der auch Gabi in ihrem Vortrag gesprochen hatte: Ist die subtile Ökonomisierung der Universität im Gewandt einer FORMALISIERUNG Treiber für die Lern-UN-kultur? Ja, das Thema hatten wir schon einmal bei Ökonomie und Bildung. Was tun? Darauf wurde keine Antwort gegeben und ich weiß auch nicht, ob die e-Learning Forschung darauf eine Antwort geben KANN, denn politische Aktivität ist für den modernen Forscher ein „no go“, oder? Wem das zu pessimistisch ist, der sei auf das Spiel von Wey-Han (einer der Referenten) verwiesen: der Nutzer kann hier durch anarchistische Kreativität Grenzen ausloten und letztlich (selbst)aufklärerisch wirken. Zumindest lebt die „Idee des Politischen“ im Spiel weiter … ;-).

Vertrauen baut man langsam auf

Am Freitag haben wir den zweiten Aufbau-Lehrgang beim TTVN in Hannover mit ca. 20 TeilnehmernInnen erfolgreich abgeschlossen. Markus Söhngen und Martin Schmidt haben sich als Moderatoren sehr ins Zeug gelegt, um die vielen Annotierungen, C-Maps und Blogbeiträge zu beantworten bzw. zu kommentieren – das Ghostthinker-Team (Johannes und Stefan) war im Hintergrund und hat vor allem durch technischen Support geglänzt. Bei ca. 1200 Beiträgen ist das nicht mehr so einfach. Am Montag startet gleich der nächste Lehrgang beim WTTV und es wird interessant sein, wie sich die Evaluation beim WTTV vom TTVN unterscheidet (Gleiches Design, unterschiedliche Moderatoren und Teilnehmer). Wenn dieser Kurs ähnlich gut klappt, dann haben wir 2010 Chancen die A-Lizenz-Ausbildung im DTTB mit dem edubreak-SportCampus zu begleiten. Das wäre was!

Man sieht an der ganzen Entwicklung (seit 2008), wie kleinschrittig Lern-Innovationen (als Integral von mediendidaktischen-, medientechnologischen-, curricularen-, verbandsrechtlichen-, finanziellen- und kulturellen Fragen) verlaufen können. Andes herum macht es sehr viel Freude in Bereichen tätig zu sein, in denen die digitalen Medien keinen oder geringen Stellenwert haben, weil man hier die Dinge noch kreativ gestalten kann! Das im Bereich der Sportausbildung (akademisch wie im Verband) noch vieles gestaltet werden muss, sieht man an der aktuellen Dissertation von Leif Eickhoff, die eine Bestandsaufnahme mit (Forschungs-) Perspektiven aufzeigt.

Was war am Anfang?

In meinem Studium hatte ich zu jedem Semesterstart ein Ritual: ich blockte in meinem Wochenplan die Zeit von 15-16 Uhr mit einem roten Band. Zu dieser Zeit kam "Raumschiff Enterprise" und das war für mich wie eine Art Pflichkolloquium.

Gestern Abend saß ich wieder mittendrin: Simon und ich haben uns den neuen Star Trek-Film angeschaut und … es war wunderbar! Ca 100 Vierzigjährige hatten sich versammelt, um zu sehen, wie alles begann. Ich will hier gar nicht näher auf den Film eingehen, auf die spannende Story, die gut gespielten Rollen, die sensiblen Andeutungen der Charaktere, die in späteren Folgen klar hervortreten … man muss ja von hinten denken.

Auf der Rückfahrt versuchte ich die verschiedenen Enterprise-Phasen zu rekonstruieren, wer war Vater vom Sohn, wie hängen die Stories über die Zeit (und mit Zeitsprüngen) zusammen, was ist die Philosophie der Föderation. Für Nicht-Fans ist dies wenig nachvollziehbar, handelt es sich dabei doch "nur" um einen Science Fiction. Für mich sind diese Fime "Modelle", sie zeigen etwas auf spannende und anschauliche Art, z.B. wie Menschen leben oder leben sollten, wie sie mit Konflikten umgehen und wie man sich (inter)kulturelle Ordnungen vorstellen kann und … was natürlich alles technisch noch vorstellbar ist ;-). Man darf sich hier von manchmal platt eingebauten amerikanischen Klischees nicht beirren lassen, sondern zum guten Teil die Filme nur als Anregung zum eigenen Weiterdenken nutzen.

Kaum zu Hause angekommen, dachte ich mir, warum wir in der Schule solche Story-Strategien nicht verwenden, also das Zusammenfügen von Teilgeschichten zu größeren und zusammenhängenden Geschichten. Wer kann mir die Geschichte der Mathematik, der Chemie/Physik oder der Sprachen erzählen? Wie hängen diese Geschichten zusammen? Leider habe ich in der Schule solche Geschichten nicht gelernt, nur Fragmente davon. Und wenn ich aufgefordert werde, mal etwas z.B. zur Geschichte der Physik zu erzählen, dann sind das nur ein paar Mini-Puzzlestücke. Mir geht es also gar nicht um die Geschichte auf der Mikroebene des Unterrichts, sondern um eine Art Lehrplangeschichte (vgl. SAC), die ähnlich wie die Star Trek- oder auch Harry Potter-Geschichte sich zu einem großen, zusammenhängenden, sinnlich fassbaren "Gewebe" ausbreitet. 

Ganz praktisch stelle ich mir eine Schulklasse vor, die von der 5ten Klasse bis zum Abitur ein großes Gemälde anfertigt, in dem die unterschiedlichen Substories integriert sind: als Symbole oder Formeln, als Zeichnungen, als Kurzcomics, als Podcasts oder Fotosammlung oder Videoelement. Wichtig ist dabei der Hintergrund, der diese Einzelerlebnisse in eine größere Ordnung einbettet, z.B. in die Ordnung der Naturgeschichte oder Sozialgeschichte. Dieses "Gemälde" wäre eine individualisierte  Geschichte, gemeinschaftlich erzählt, eine Re-Konstruktion dessen was "ist" und eine kreative Interpretation mit Gegenwarts/Zukunfsbedeutung. Vielleicht kommt man so zu  "kollektiven" e-portfolios, die eine GROßE Geschichte erzählen, wo man sich neugierig fragt: Was war am Anfang? Wie ist es gekommen? Welche Rolle spielen wir in dieser Geschichte?

Mit den Wölfen heulen!

Als Kind hatte ich immer so einen Traum: ich fiel in ein tiefes, schwarzes Loch, in dem mich dann wolfsähnliche Tiere überraschten und mich bedrohten. Ich konnte jahrelang wegen dieser Viecher nicht richtig einschlafen. Eines Tages nahm ich mir vor, ihnen den Kopf – meinen Kopf – in den Rachen zu stopfen, koste es was es wolle. Gesagt, geträumt. Im nächsten Traum steckte ich also trotz schweißtreibender Not meinen Kopf zwischen die großen, weißen, fletschenden Zähne. Plötzlich wachte ich auf und der Traum sollte mich nie wieder einholen. Wenn es mit allen Ängsten doch so einfach wäre. Gestern hatte ich wieder so einen „Traum“. Ich musste oder besser wollte mein erstes Referat auf Englisch vor einem meist englischsprachigen Publikum halten – weiße Zähne, … Sie verstehen? Nun, nach der Vorrede muss ich nun nicht mehr sagen, wie es ausgegangen ist, aber vielleicht einige Ergänzungen liefern …

Kongressort war Besancon (Fort Griffon) eine kleine Stadt im Osten Frankreichs, etwa 6 Fahrstunden von München entfernt. Die AIESEP, eine internationale Organisation im Bereich der Sportpädagogik, hatte hierher eingeladen und ein gemeinsames Abendessen mit Herr Prof. Richartz (Uni Leibzig) am Vorabend zur Veranstaltung versprach eine gute Zeit. Unter dem für mich interessanten Tagungstitel: “Situated Learning, reflective practice and knowledge construction in Physical Education” versammelten sich ca. 80 Forscher aus aller Welt: Neuseeland, Australien, Mauritius, Europa, Afrika, China, Amerika etc. Bei einer solchen bunten Gruppe ist es nicht verwunderlich, dass die Stimmung sehr offen war und man sich mit Deutsch-Englisch-Französichen „Mischübersetzungen“ in den Pausen und zu den Keynotes ganz gut retten konnte.

Ich selber habe über den edubreak-SportCampus gesprochen, damit war ich der Einzige (soweit ich das sehe), der einen mediendidaktischen Akzent setze. Genau hatte ich diesen Titel: Reflective learning in physical education with a multicodal online video tool: A structure genetic approach (J. Piaget) for knowledge transformation" (Abstract). Zentral war also, wie man die Lernchancen im Bereich der Videoannotierung theoretisch besser fassen kann, wobei ich mich im Wesentlichen auf die Strukturgenese, den “semiotischen Akt” (wie Seiler sagt) und das Wechselverhältnis von individueller Kognition und sozialer Partizipation (Perkins) konzentriert habe. Zu meiner Verwunderung haben die Zuhörer alles verstanden (ok, ich habe abgelesen, aber wie!), sie haben mein „great english“ gelobt (es waren Pädagogen!) und vor allem den innovativen, mediendidaktischen Ansatz gewertschätzt. Von diesen „Träumen“ hätte ich gern mehr!

Sehr angetan war ich vom Keynote der franzöischen Professorin Nathalie Gal-Petitfaux (Université de Clermont-Ferrand) die über „situated learning anthropology“ sprach und dabei auf das Verhälnis von „Situiertheit und Handlung“ genauer einging. Leider konnte ich dem Disput zwischen ihr und dem Franzosen Jean-Paul Bronckard nicht mehr ganz folgen (weil auf französisch). Ebenso schade ist es, das sein viel versprechender Vortrag "Apprentissage et dévelopment dans la perspective de L`interactionisme socio-discursif“ erst heute stattfindet, wo ich doch schon wieder in Deutschland bin. Mich hätte das was er sagt interessiert, weil er die Bedeutung der Sprache für situiertes Lernen ins Zentrum seiner Argumentation stellt und das ist im Sportcampus eben auch ein elementarer Faktor. Schließlich: Gefreut habe ich mich über den Kontakt zu Dean Barker, einen jungen Forscher der Uni Basel, der mich zudem zu einer Mitgliedschaft in die AIESEP gewinnen konnte.

Hmm… Was alles passiert, wenn man den Kopf in das Maul steckt.

Das Unsichtbare sichtbar machen

Man kann aktuell einen richtigen Run auf das Thema „Technologien im Sport“ beobachten, z.B. hier (Dank für den Tipp an Alex). Zentral ist dabei die Auffassung, dass Technologien vor allem TrainerInnen dabei unterstützen, den Prozess der Trainingsssteuerung durch Nutzung von Internet und Datenvisualisierung zu optimieren. Derzeit läuft u.a. auch an der Universität Augsburg, Institut für Sportwissenschaft, so ein Vorhaben: „Das DFG-geförderte Projekt ASpoGAMo läuft über 2 Jahre und beschäftigt sich mit der Entwicklung einer neuen Klasse von Sportspielmodellen. Hierbei liegt der Schwerpunkt im Fußball. Mit Hilfe von den Positionsdaten eines jeden Spielers, die aus den Bilddaten eines Spiels gewonnen werden können, werden individuelle Bewegungs- und Aktionsprofile sowie Beanspruchungsuntersuchungen durchgeführt. Auf der mannschaftstaktischen Ebene gehen die Auswertungen in den Bereich der Taktik. Hier werden die Aufstellung und das Verhalten in bestimmten Situationen automatisch analysiert.“

Ich bin einerseits fasziniert von diesen neuen Möglichkeiten der Datenvisualisierung im Sport, werden hier doch Informationen sichtbar gemacht, die sonst implizit im Spiel, hier dem Fußballspiel, eingebettet sind (sowas könnte man sich ja auch im Klassenraum der Schule oder Hochschule vorstellen – pädagogische Pattern, doch bewegt (man) sich in der Schule zu wenig :-). Andererseits gerät bei dieser technologiebasierten Trainingssteuerung der Athlet aus dem Blick, als Person, seine individuellen Kognitionen und Emotionen. Hier glaube ich, kann man aber noch viel heben, vielleicht mehr, als der weiche Titel „Reflexion“ zunächst erwarten lässt.

Was kann die (Trainings-)pädagogik in diesem Zusammenhang leisten? Die Grundidee des Web 2.0 bietet neue Möglichkeiten der reflexiven Trainingssteuerung (vgl. auch die aktuelle Tagung der AIESEP), denn durch die Nutzung z.B. von Weblogs, Videoannotierungen und Tagging ergeben sich neue Lernoptionen für die Spieler! Eigene Vorstellungen (und emotionale Zuschreibungen) werden artikuliert mit anderen getauscht, kritisiert oder verstärkt. Der gesamte Prozess des Groundings fände nicht nur auf dem Platz, sondern als komplementäre Ergänzung im virtuellen Raum statt.

Mich interessiert in diesem Zusammenhang die (theoretische) Frage, wie das System Mannschaft auf dem Platz gesteuert wird – dezentral? Wo sitzt hier die Intelligenz – verteilt? Ich behaupte (als These), dass es so etwas wie eine „verteilte Kognition“ ist, die das System der Mannschaft „führt“. Können da Werkzeuge aus dem Bereich des social software helfen? Hat eine erhöhte Reflexionskompetenz der Spieler einen positiven Einfluss auf das Spielgeschehen? In welchem Verhältnis stehen individuelle Reflexion und „kollektive oder soziale“ Reflexion? Steht die noch unbestimmte kollektive Reflexion mit der verteilten Kognition von Huchins in einem Zusammenhang? Stülpt man dem Sport (als primär? körperliche Bewegungsdomäne) etwas Fremdes über? … Ich merke, ich habe mehr Fragen als Antworten. Aber spannend diese Fragen ich finde.