Ich beschäftige mich gerade intensiver mit dem Thema Narration, also mit erzählerischen Darstellungsmitteln im Rahmen der Gesundheitsbildung. Ganz konkret geht es (im MOment) darum, einen 3min (interaktiven) Lehrfilm zu entwicklen, der mit narrativen Mitteln arbeitet und den man z.B. in Ärztpraxen (=> Beratungsecke) einsetzen kann. Bisher bin ich bei der Literatur nicht gerade fündig geworden. Leuchtende Ausnahme ist das "Drehbuch zum Drehbuch" von Albert Heiser. Das Thema wird ja gerade erst – es hat den Anschein – vom E-Learning entdeckt, Z.B. die Tagung "Narrative and interactive learning environment". Eher allgemein zur Narratologie finden sich bei der Hamburger Forschergruppe gute Beiträge.
Autor: Frank Vohle
GMW Tagung 2006 & Fachdidaktik
Wenn man von einer Tagung nach Hause fährt, dann gehen einem so manche Bilder und Gedanken durch den Kopf. Neben den vielen interessanten Angeboten auf der GMW-Tagung ist mir aber ein ganz bestimmter Vortrag in fester Erinnerung und zwar der von Alain Schorderet , der über den Zusammenhang von Gedichten und E-learning gesprochen hat. Als einer der Wenigen hat sich Alain bei seinem Referat primär und mit voller Leidenschaft dem Gegenstand seines Faches gewidmet, also dem WAS! Zunächst hat er uns mit Takt und Melodie ein französisches Gedicht vorgelesen und dieses dann auf Deutsch übersetzt – das hat allein 15 min gedauert … der reine Luxus für einen 30 min Vortrag, zumal auf einer Tagung, bei der die neuen Medien im Zentrum stehen. Dann hat er uns gezeigt, wie man Studenten dabei helfen kann, die komplexen Analyseschritte bei einer Gedichtsinterpretation mit Hilfe eines Wikisystems durchzuführen. Der Schwerpunkt der Argumentation lag auch hier auf dem WAS, also auf den Analysegegenstand, z.B. welche rhetorischen Figuren verwendet werden, welche semantischen Regeln zugrunde liegen etc. Eher nebenbei und nachrangig hat Alain das Wiki beschrieben, mit der er diese Analyseprozesse im virtuellen Raum unterstützt. Zwar bin ich wie Christian davon begeistert, das guter Unterricht mit so einfachen (technischen) Mitteln möglich ist. Doch das ist nicht der Grund, warum mich dieser Vortrag bewegt. Vielmehr wurde mir durch diesen Vortrag (wieder) klar, wie wertvoll die fachdidaktische Perspektive auch und gerade im E-Learning ist, eine Perspektive, die wir im Zuge unserer E-Learningbemühungen (zunehmend) aus dem Auge verlieren. Hierfür sehe ich zwei Gründe:
* Erstens treiben uns die BA- und MA-Strukturen in den Sozial- und Geisteswissenschaften und die damit verbundene Forderung nach (inhaltsneutralen) Schlüsselkompetenzen tendenziell weg von den Inhalten. Gerade in Fächern, die sich schwerlich über ihren Nutzen für den Arbeitmarkt legitimieren lassen, weicht man immer mehr in Richtung dieser Schlüsselkompetenzen aus. Aber: Wer stricken will, braucht Wolle, und es ist primär die Wolle, die ein Fach und seine Didaktik ausmachen.
* Zweitens besteht gegenwärtig (wieder) ein wissenschaftliches Interesse daran (z.B. Peter Baumgartner) eine Taxonomie, also ein allgemeines Ordnungsraster für Objekte und Prozesse der Didaktik zu entwickeln. Baumgartner sieht innerhalb seiner „Information Objects“ keine Notwendigkeit, eine fachdidaktische Perspektive einzuführen. Er betont hingegen, dass seine Taxonomie gegenüber fachspezifischen Inhalten neutral sein muss (S. 240, GMW Band 38 oder hier S. 3) – eine Folge, wie ich meine, des Verallgemeinerungsimperativs von Taxonomien. Die fachdidaktische Perspektive führt er erst nachrangig in den Prozess des „Exports“ ein, d.h. bei der Prozessierung seines Repositoriums (= Aktenschrank der Informationsobjekte und Didaktische Szenarien), und zwar in der Didaktischen Szene. Genau hier sehe ich das Problem: eine E-Learning Didaktik muss doch das Besondere des zu vermittelnden Gegenstands ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellen, sie muss bei den Qualitäten der sog. „information objects“ (IO) so unterschiedlicher Disziplinen wie Mathematik, Kunst, Technik unterscheiden! Eine Fachdidaktik muss diese Informationsobjekte nach einer je eigenen Logik zusammenbauen und sie muss hierzu spezifische Content-Designideen integrieren. In einer Art Wechselbeziehung zum Informationobjekt-Design muss sie eigene Pfade der Vermittlungs- oder Konstruktionsdidaktik finden (siehe hierzu die Unterscheidung von Inhalts- und Aufgabendesign in Gabis Buch). Von diesem Punkt aus betrachtet, habe ich prinzipielle Zweifel am Vorgehen hin zu einer Taxonomie, denn: der Praktiker, der Lehrer, für den diese Taxonomie als „kreativer Schlüssel“ gedacht ist, dieser sieht das didaktische Problem aus der Perspektive seines Faches und damit primär vom Gegenstand aus. Ich weiß nicht, ob dieser mit (allgemeinen) didaktischen Szenarien – so detailliert sie auch beschrieben sein mögen – etwas anfangen kann. Die theoretische Herausforderung (will sie denn auch praktisch sein) besteht für mich darin, wie man die fachdidaktische Perspektive in eine allgemein didaktische Perspektive – meinetwegen in Form einer Taxonomie – hinein projizieren kann.
Generell weiß ich nicht, ob ein analytisches Verfahren mit einer fast atomistischen Aufgliederung in IO, DS etc. sinnvoll ist. Alternativ würde ich nach der „funktionellen Einheit der Didaktik“ fragen analog zur funktionellen Einheit im Organismus, also die Zelle. In dieser biologischen Perspektive sind Objekte und Prozesse zusammengedacht und zwar bezogen auf die nächst höhere (Funktions-)Ebene. Kann man sich hiervon anregen lassen? Zumindest aber muss man in eine analytisch-deskriptive Darstellung sog. „Views“ einführen also integrierte (problemlösende) Sichtweisen, die sich von einem bestimmten Standpunkt x, z.B. eines Lehrers für Kunstgeschichte, ergeben und die konkrete Handlungsschritte bzw. Entscheidungshilfen nahe legen.
ZfPäd wird 50 Jahre alt
Auf der Suche nach gereviewten (deutsprachigen) Zeitschriften für erziehungswisenschaftliche bzw. pädagogische Themen, bin ich bei der Zeitschrift für Pädagogik hängen geblieben. Da die Zeitschrift ihr 50-jähriges Bestehen feiert, geben die Herren Tenorth und Oelkers einen kurzen Abriss zur Geschichte der Zeitschrift . Sowas finde ich immer sehr hilfreich, wenn man den Charakter einer Zeitschrift verstehen will. Im letzten Absatz wünschen sie sich für die Zukunft Textbeiträge, die noch die "Denkform der Pädagogik" bereichern und, so schreiben sie weiter, das "Unwahrscheinliche nicht ignorieren". Ich bin davon überzeugt, dass die Zeitschrift mit einer solchen zukunftsoffenen Haltung gerade junge Wissenschaftler begeistern kann. Wer das "Unmögliche möglich machen" will, der ist auch für die nächsten 50 Jahre gut gerüstet. Glückwunsch!
Start
Mein zweiter Start oder mein zweiter Versuch.
Symposium – Nachtrag
Ja, das war so ein Tag. Zunächst: ich bin froh, dass alles soweit geklappt hat. Die Streitrunde, das Essen, die Workshops. "Soweit" deshalb, weil z.B. die Theatergruppe nicht vom Bahnhof abgeholt wurde und die Armen eine Stunde in der Kälte standen und gewartet haben, ehe sie auf die Idee kamen ein Taxi zu rufen. Egal, sie waren Punkt um zum Start des Symposiums einsatzbereit und haben ein tolles Stück präsentiert. Nach einer knappen Einleitung von Gabi und mir wurde dann die Streitrunde eröffnet. Sehr positiv – fand ich – war die Auswahl der Streitrundenteilnehmer. Der echte bayrische Schulleiter und der arrogante Bildungsfanatiker (rechts aussen ;-) hat so manchen innerhalb und ausserhalb der Streitrunde auf die Palme gebracht. Nach dem Mittag ging es in die Workshops. Die Ergebnisse waren eher von allgemeiner Natur. Spezielle Einsichten oder gar neue Ideen kamen weniger zustande. Schade, wir hätten doch die Anker konkreter machen oder noch mehr Zeit geben sollen. Die Rückmeldungen sind unterschiedlich, sie schwanken von sehr gut bis "habe nix gelernt". Was bei vielen Teilnehmern aber nachwirkt ist ein Gefühl für die Komplexität des Themas. was zuvor eindeutig war, ist nun schwieriger geworden; das nennt man im warsten Sinne des Wortes "frag-würdig werden lassen". Dazu kommt die Erfahrung, dass der Austausch zwischen Schule und Wirtschaft sehr nötig ist, da die Fronten verhärtet sind. Ob ein Symposium wie das unsrige zu mehr Vertrauen beitragen kann, weiß ich nicht. Ich bin mal gespannt ob es Aussenressonanz gibt, wenn wir die DVD fertigstellen und veröffentlichen.
Veröffentlichung
Ich möchte auf den Arbeitsbericht von Axel Gerstenberger hinweisen, der einen guten Überblick zum Thema "E-Learning in der Ärztefortbildung" gibt.
Urlaub, Ideen und ein Buch
Den Urlaub haben wir auf Amrum an der Nordsee verbracht. Wir haben uns in einem netten Haus mit Schwimmbad und Sauna eingemietet. Dass wir für das kommende Jahr schon wieder Amrum vorgebucht haben, sagt alles darüber aus, wie es uns gefallen hat :-). Anders als in südlichen Ländern gestalte ich (wir) den Tag wesentlich aktiver, weil das wechselnde (sicherlich auch kühlere) Wetter zu unterschiedlichen Aktionen herausfordert. Alles im Allem kommt der Norden mit seinen weißen Stränden (auf Amrum sind sie selbst in der Hochsaison herrlich leer) und die gelassenen Moin-Moin-Art der Bewohner meinem Bedürfnis sehr entgegen. Vor allen hat sich die Kombi-Reise mit den Schwiegereltern als „fruchtbar“ herausgestellt. Jeder der ein Kind dabei hat weiß, wie entlastend und erfreulich die Aufmerksamkeitsdiffusion sein kann ;-).
Bei uns geht es im Urlaub ja immer etwas anders zu als bei anderen – glaube ich jedenfalls. Das fängt an beim oben erwähnten Schwiegereltern-Kombi-Urlaub, geht über den W-LAN Laptop und endet bei den nicht wenigen Gesprächen zu Fragen des Lehrens und Lernens. Der Urlaub, insbesondere der nachmittägliche Kaffee, ist der Ort, bei dem wir Neues besprechen. U.a. haben wir in den letzten Tagen die Folien für den GMW-Vortrag (soweit) fertig gemacht und die Struktur des neuen Onlinebarometers festgelegt, zumindest was den Bereich der Emotionen angeht. Alles ist (neben Chris) an Jojo gegangen, der bis zum 22-ten einen ersten Prototyp auf Flashbasis erstellen möchte; er hat sich ja dazu entschieden zu diesem Thema seine BA Arbeit zu schreiben, was mich sehr freut. Auf der Grundlage der Ideen, u.a. auch von Chris und Alex , wird er sicherlich einen genuin eigen, kreativen Beitrag zum neuen „Onlinebarometer“ (der Begriff wird bald aufgelöst) leisten.
Im diesjährigen Urlaub begleitet mich ein gutes Buch. Mein Bruder hat es mir geliehen und es kommt zur rechten Zeit. Es ist ein lehrreicher Roman von Bryan Magee mit dem Titel „Bekenntnisse eines Philosophen“. In einem eher narrativen, autobiographischen Stil führt Magee den Leser durch einige Passagen der Philosophiegeschichte. Die ersten Kapitel drehen sich um die Oxforder Jahre, in denen Magee Geschichte und Philosophie studiert hat. Er rekonstruiert anhand vieler Begegnungen mit britischen Philosophielehrern und Seminarskizzen die Grundpositionen des Logischen Positivismus (Moore, Russel etc.), ohne die offensichtlichen Schwächen dieser empirischen, sich auf später die Sprachphilosophie fokussierenden Richtung zu verschweigen. Durch zwei längere Einschübe zu Begegnungen des Autors mit Karl Popper und Bernhard Russel erhält man die Möglichkeit, sehr nah und intim an die „Größen“ heranzurücken. Hier werden nicht nur spezielle Interpretationen der Hauptwerke (z.B. Poppers „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“) geboten, sondern es werden auch lustige Anekdoten erzählt; letztere schaffen die angesprochene Nähe und Intimität. Dass es sich um keine nüchterne „Einführung in die Philosophie“ handelt, merkt man spätestens im 13. Kapitel, indem der zu diesem Zeitpunkt 34-jährige Magee auf seinen eigentlichen Job als Fernsehjournalist, zeitweise auch als Politiker der Labour Partei, eingeht. Er zeigt die „Sümpfe“ der Realpolitik und die Differenz zu „seiner“ politischen Philosophie, die im Wesentlichen auf Poppers Füßen steht. Zudem wird immer wieder Magee Bemühen gezeigt, (Fach-)Philosophie einer breiten Hörerschaft in Radio und Fernseher zugänglich zu machen.
Das Kapitel endet mit einer Art Zäsur, den Hinweis, dass Magee in diesen Jahren seine Lebenskrise (Midlife-Crises) durchlebt, die er etwas später auch als „Kernschmelze“ bezeichnet. Zwar meldet sich schon in früheren Kapiteln das Bedürfnis nach den großen Sinnfragen an, vor allen in den sinnabstinenten Oxforder Jahren, aber mit Beginn der 4ten Lebensdekade, Mitten in seiner selbst attestierten vita activa, bricht Magee geradezu in ein mehrjähriges, schwarzes Loch. Dies ist der Zeitpunkt, an dem Magee beginnt, die (Lebens-)philosophen des europäischen Kontinent intensiver zu lesen: u.a. Kirkegaard, Nietzsche, Schopenhauer etc. Diese Autoren sprechen über das, worüber die anderen zum Schweigen verpflichtet haben (Wittgenstein). Man nimmt es Magee ab, wenn er seinen existenziellen Durst nach Sinn, in primär emotionalen Erfahrungen in der Konfrontation mit Kunst und Theater findet. Letzt endlich ist es aber die Philosophie von Arthur Schopenhauer, die ihn – wie er sagt – von seiner „geistigen Klaustrophobie“ rettet. Schopenhauer, der sich selber anschickt, die Philosophie Kants weiterzuentwickeln, findet in der Kunst, aber auch z.B. in der Beschäftigung mit Sexualität jene unmittelbare und existenzielle Erfahrung, die er ins Zentrum seiner Philosophie stellt. Und genau in dieser Doppelstruktur im Werk Schopenhauer erkennt Magee das, wonach er sich sein Leben lang sehnte: einerseits Antworten auf die von Kant hinterlassene Scheidelinie zwischen Phänomenon und Noumenon (einfacher kann man auch sagen: Erde und Himmel) und anderseits die Hinwendung zur lebendigen (und eben nicht begrifflich blutleeren) und universellen Erfahrung mit der Kunst i.w.S..
Ich will an dieser Stelle den Roman nicht weiter wiedergeben; einerseits ist genug gesagt um sich ein Bild zu machen anderseits findet sich im zweiten Teil ein Art Vertiefung zum ersten: es werden die Grenzen der analytischen Philosophie bzw. der akademischen Philosophie generell aufgezeigt und es wird die in einer Kanttradition stehende Philosophie Schopenhauers überschwänglich gelobt, wie ich es im letzten Abschnitt angedeutet habe. Am Ende hat mir das Buch viel Freude gemacht: es wechselt zwischen groben Verlaufsskizzen der Philosophiegeschichte, z.B. der der platonischen und aristotelischen Tradition, detaillierten Einzeldarstellungen, z.B. zum Wahrnehmungs- und Erfahrungsbegriff bei Kant, politisch-pragmatischen Folgerungen für die Realpolitik, z.B. durch die Optik der Popper-Freundschaft und bettet all diese Erkenntnisse in einen biographischen, sehr persönlichen Zusammenhang ein. Gerade diese intimen Erzählungen, die den Leser (mit) an den Rand seiner persönlichen Existenz führen, die biographische Brüche und Unzulänglichkeiten aber auch Wünsche und Erfolge Magee’s aufzeigt, versprühen eine emotionale Wärme und Glaubwürdigkeit, die (an-)spricht und lesenswert ist.
Im Grunde bildet das letzte Kapitel des Buches „Offene Frage“ noch einmal eine Zäsur. Man hat das Gefühl, dass Magee hier all das loswerden will, was ihn bis aufs Mark umtreibt; im Kern sind es Fragen zum (metaphysischen) Selbst, zum Tod und der Existenz „danach“. Auf den letzten 10 Seiten offenbart er uns sein Hauptmotiv: er hat eine Todesangst vor’m Sterben und daraus leitet er einen unmenschlichen Willen zum Überleben ab. Dieser Wille ist es, der ihn ein Leben lang – fast in Form eines Wahns – zu den grundlegenden Existenzfragen drängt. Und vor dem Hintergrund dieses menschlichen Grundmotivs ist der Roman in wahrsten Sinne des Wortes ein persönlicher BILDUNGS-Roman. Mir hat dieses Buch auch deshalb Freude gemacht, weil es mich weggetragen hat, weggetragen von all dem, was ich eigentlich im Moment lesen müsste! Damit hat ein Buch, ein Urlaubsbuch allemal, seine Hauptpflicht getan.
Modewort: Bildung
Ich bezeichne mich ja selber gerne als Humboldtianer :), deshalb, weil ich gute Lehrer hatte (Herr und Frau Bröcken und Clemenz Menze), die mir den Funken des Neuhumanismus mit viel Leidenschaft eingepflanzt haben. Wenn ich ehrlich bin, leite ich auch heute noch meine Bildungsvorstellungen daraus ab, obwohl ich weiß, dass gerade diese spezielle Bildungsvorstellung nicht mehr zeitgemäß ist … aber was heißt das schon, „zeitgemäß“?
Dass es immer wieder zu hitzig geführten Auseinandersetzung rund um diesen genuin deutschen Begriff der Bildung kommt, verdankt sich seiner mystisch-religiösen Herkunft. Genau hier liegt die qualitative Differenz gegenüber den zeitgemäßen Alternativen aus dem angloamerikanischen Raum, die angesichts eines „Imago Dei“ als Leichtgewichte erscheinen.
Interessant ist, dass in den letzten Jahren viele Aktivitäten geboren wurden, die auf diesen schwer zu bändigenden Begriff eben nicht verzichten wollen, z.B. Bildungspsychologie, Bildungscontrolling oder Bildungs-TÜV, um nur einige zu nennen. Genau diese Gründungen oder Wortschöpfungen verzichten aber bei genaueren Hinsehen auf die mystisch-religiösen Implikationen. D.h. die Ganzheit der Bildung, die Idee, wird verformt zu einer Art convenient Bildung, … aus der Sicht eines Neuhumanisten.
Nun weiß ich natürlich, dass Konzepte und Ideen sich wandeln, angepasst werden an zeitliche Bedürfnisse und Wertvorstellungen. Interessant ist nur, warum sich der Begriff der Bildung und damit auch etwas von seiner Kernidee so hartnäckig hält, was ist so verführerisch an der Totalität der Individualität, an der Selbstästhetisierung?
Wer Lust hat, sich in aller Kürze einen Einblick zum Bildungsbegriff zu verschaffen und den Bezug zur Pädagogik nachspüren will, der sei auf den lesenswerten Artikel von Michael Naumann verwiesen.
Klinsis Lehre
Klinsi hat die WM gewonnen, zumindest diese Facette bleibt uns Dank der Medien nachhaltig in Erinnerung. Doch was kann man von Klinsi wirklich lernen, was wäre Kern einer „Klinsologie“? Sicher, keiner wird bestreiten, dass Klinsis neuer Geist ganz wichtig für das deutsche Spiel war. Darüber hinaus hat Klinsmann mit seinen „neuen Methoden“ und seiner Personalpolitik gezeigt, dass es auch in einer stark verkrusteten Organisation wie dem DFB möglich ist, Neuerungen durchzusetzen, … durchzusetzen!
Neben diesem Glanz des Erfolgs scheint mir aber noch ein anderer Aspekt der Klinsologie wichtig: Erfolg kommt nicht sofort, Reformen beginnen mit Rückschlägen, mit schlechten Leistungen! Das ist zwar keine Notwendigkeit, aber eine beruhigende Einsicht. Allzu oft – und nun schlage ich die Brücke – lassen wir uns bei der mutigen Entwicklung neuer Lernszenarien von Rückschlägen irritieren, allzu schnell sind wir mit Urteilen bei der Hand wie: „Na siehst du, es klappt doch nicht!“. Bei Lerninnovationen ist es eben auch so, dass zig Variablen auf die neue Situation eingeregelt werden müssen, dass jeder Teilnehmer sich neu auf eine Lernsituation einregeln muss … mit Kopf, Hand und Herz. Und das ist nicht nur risikoreich sondern auch hochkomplex, weil im Prinzip nicht steuerbar. Wer den Weg trotzdem gehen möchte – nicht um des Neuen willen, sondern weil das Neue eventuell mehr Spaß macht und inhaltlich reicher ist, der braucht neben Geduld und eine lange Puste, Gespür für das, was man als „gelingendes Lernen“ bezeichnen kann und eben auch einen Hauch von der klinsmannischen Radikalität, Dinge zu verändern, die bisher zu den „heilige Kühen“ gehört haben. Für die Schule heißt dass zum Beispiel, den 45-min Takt in Frage zu stellen und längere Lernphasen einzurichten, für die Hochschule heißt dass zum Beispiel, Studenten mit unterschiedlichen Rollen und Aufgaben zu konfrontieren (Tutor, Manager, Forscher), die in die genuine Wissensproduktion einzubinden. Und für den industriellen Betreib könnte man die Frage stellen, ob die Anwesenheit der Mitarbeiter vor Ort immer das Mittel der Wahl ist, die Produktivität (gerade nachhaltig) zu steigern.
Ja, Jürgen Klinsmann verdient Lob für den mutigen Weg den er und sein Team gegangen ist und ich bin sehr froh, dass er mit seiner Strategie den 3. Platz gewonnen hat – ansonsten hatte es geheißen: „Wir haben es gleich gesagt, der Klinsi …“. Also, Hut ab Jürgen, auch wenn du verloren hättest :-), … die Zukunft gehört den Mutigen!
Eventpatriotismus
Gestern habe ich im Fernsehen einen mir sympathischen Begriff aufgeschnappt: „Eventpatriotismus“ – und zwar im Zusammenhang mit dem Fahnenkult rund um die Fussball-WM. Sympathisch ist mir diese Wortkreation deshalb, weil damit zum Ausdruck kommt, dass sich Menschen zeitlich begrenzt und sehr gegenstandsabhängig für etwas begeistern können. Und um diese gemeinsame Begeisterung Ausdruck zu verleihen, bedient man sich der niederschwelligen Formel „Wir Deutschen“, inklusiv der nationalen Symbolik wie Fahnen und Wappen. Sympathisch ist mir das auch deshalb, weil man damit der hitzigen Patriotismusdiskussion etwas den Wind aus den Segeln nimmt, d.h. Triebfeder dieses Kults ist nicht eine diffuse, zu stärkende Volksseele oder ein (staats-)politisches Kalkül. Das Ereignis WM stimuliert bei den Menschen einfach das Bedürfnis „mitzumachen“ und die Spielregeln des Mitmachens heißen: sich einer (irgendeiner!) Mannschaft zuzuordnen und dies nach außen sichtbar zu machen. Man sagt dann, „die Deutschen“, dass sind diejenigen, die ein äußeres Merkmal vereint, z.B. jene mit den schwarz-rot-goldenen Pullis. Vielleicht kann man an diesem Eventpatriotismus studieren, wie groß das Bedürfnis der Menschen (der Deutschen insbesondere?) ist – zumindest auf Zeit – sich einer größeren Gruppe zugehörig zu fühlen, dies lautstark zum Ausdruck zu bringen, mit geistbenebelndem Alkohol, im Schulterschluss, genderneutral und das noch mit Verdopplungseffekt des Mediums Fernseher (=> schau mal das sind wir!). Einmal „Ganzes-Sein“ dürfen …, im Kölner Karneval, in den religiösen Gemeinschaften und eben auch im Sport finden wir solche Erfahrungen. Das ist natürlich eine sehr psychologisch-funktionale Deutung des Geschehens. Pierre de Coubertin, der (Be)-Gründer der neuzeitlichen Olympischen Spiele hat immer wieder betont, dass der Sport die nationale Fixierung überwinden müsse, um einer inter-(nationale) Perspektive Platz zu machen. Ich denke, dass neben dem angesprochenen „flow of community“ eine solche politische Deutung sinnvoll und auch realitätsangemessen ist, eine, die die deutsche Identität wenn auch klischeehaft herauskehrt, die aber um Gottes willen daraus kein Recht ableitet, andere Nationen abzuwerten oder zu diskriminieren wie es im Patriotismus um 1900, z.B. an deutschen Schulen, gang und gebe war. Vielleicht kommen wir ja über diesen Zwischenschritt zu einer neuen transnationalen Identität, die Europa heißt. Aber eines ist auch sicher: für den Sportwettbewerb wie wir ihn kennen, ist das System Europa (noch) zu groß, wer soll denn da neben Europa noch mitspielen? Und wenn es doch „die Euros“ heißen soll, OK, aber dann müssten wir ein neues Spiel erfinden, mit Mannschaften wie Europa, Afrika, Asien etc. Vielleicht ist das der nächste Schritt in Richtung eines „Weltpatriotismus“, um selbst mal eine Wortkreation mit heuristischen Potential anzubieten.