Thomas Beyer ist tot – Erinnerungen
Thomas war hier in Hamburg jahrzehntelang Leiter des Sportamt der Universität und damit verantwortlich für den Hochschulsport; er war Geschäftsführer in der Universiade-Bewerbungs-GmbH, federführend aktiv bei der Dekadenstrategie Sport für die Stadtentwicklung und Berater bei den TopSport-Vereinen und vieles mehr. Er war, wenn man so will, einer der grauen Eminenzen (des Sports) hier an der Elbe.
Ich kannte Thomas Beyer seit ca. 2010, wir hatten wenige Begegnungen, aber die hatten es in sich. Drei Ereignisse sind mir in Erinnerung:
- Botanischer Garten, München: Es war ein heißer Sommertag, als Thomas und ich uns trafen, um über ein Projekt zu diskutieren, das kaum größer hätte sein können. Es ging um ein Ausbildungskonzept für die Förderung von chinesischen SportvereinsmanagerIn nach deutschem Vorbild, wir nannten das kurz „social entrepreneurship“. Hintergrund war die Annahme des chinesischen Ministeriums, dass in naher Zukunft enorme Sozialkosten entstehen würden, weil die chinesische Jugend an Übergewicht leide, im Übrigen wie in vielen westlichen Ländern. Was da hilft? Die Gründung von Sportvereinen! Um die darin tätigen VereinsmanagerInnen auszubilden, hatten wir uns ein Blended Learning-Konzept mit Social Video Learning ausgedacht, hatten Skripts geschrieben und in den Folgewochen Videos im Hamburger Sportverein mit chinesischen Darstellern gedreht. Wir waren also auf dem Sprung ins Reich der Mitte. Aber nach dem gefühlt 100sten Besuch beim Ministerium in Peking, der Universität in Shanghai und Hamburg (hier), gab es dann doch kein GO, die Sache verlief im Sand. Aber: Von der „großen Idee“ zehrten wir lange.
- Gartenfest, Hamburg: Mich erreichte seit 2012 jährlich eine eigenwillige Einladung zum Gartenfest in Hamburg, Winterhude. Eigenwillig deshalb, weil sie wohl über die letzten 30 Jahre ausgesprochen wurde, inhaltlich immer gleich, nur die Jahreszahl änderte sich. Diese Gartenfeste versammeln eine bunte Mischung aus der Hamburger Sportwelt, kombiniert mit Kind und Kegel und Tante Erna von nebenan. Es gab mitgebrachte Salate, Kuchen – nur das Feinste – mit lecker Bier und Kaffee. Ich habe nie so recht verstanden, warum man sich das jedes Jahr „antut“, aber den Gastgebern war es heilig und so bin auch gerne gekommen. Am Gartenfest 2016 – ich war gerade mit Familie frisch von Bayern nach Hamburg gezogen – saß ich vier echten Hamburgern gegenüber, die mich neugierig fragten, wo ich denn hingezogenen sei: Eidelstedt, ein Steinwurf von der Grenze zu Schleswig-Holstein. Die vier Hamburger schwiegen, keine Regung. Themenwechsel.
- Restaurantgespräch, Hamburg: Noch letztes Jahr haben wir uns zu einem „Was geht ab“-Gespräch getroffen, es ging darum, zu hören, an welchen Rädern der jeweils andere dreht, etwas für große Jungs oder für welche, die das ernsthaft glauben. Thomas suchte hierfür die Location aus, es gab Wild und Dinge, deren Name ich nicht verstand. Thematisch ging es wieder mal um China, jetzt nur Fußball, um eine „Akademie“ und was man alles in Hamburg tun könnte, müsste, sollte.
Thomas war nicht immer leicht. Seine Zuneigung musste man „ertragen“ können, dann wurde man reich beschenkt, mit großen, verwegenen Ideen, die in keine Hose passen. Mit Thomas verliere ich einen Menschen, der ansteckende Visionen mit Sorge für den Sport verband und der bereit war, dafür zu kämpfen, koste es, was es wolle! In diesem Geist war er ein Vorbild.
Neues vom Piratensender
Vor knapp vier Jahren hatte Gabi (Reinmann) ein Publikationsformat mit Namen „Impact Free“ eingeführt und mit „Journal für freie Bildungswissenschaftler“ näher gekennzeichnet. Es ist unschwer zu erkennen, dass Name und Programm dafür erfunden wurden, um wissenschaftliche Gedanken OHNE Gedankenfesseln (Impactprüfung, Schreibweise etc.) schnell und niederschwellig der interessierten Öffentlichkeit zur kritischen Diskussion zur Verfügung zu stellen.
Gerade ist der 25ste Impact Free-Artikel publiziert worden. Der Titel (mit Download) lautet: „GESTALTUNGSFELDER UND -ANNAHMEN FÜR FORSCHENDES LERNEN IN EINEM DESIGNBASED RESEARCH-PROJEKT ZU STUDENT CROWD RESEARCH“ und hier haben Gabi Reinmann, Alexa Brase, Vanessa Jänsch, Nele Groß und ich mit- und zusammengedacht. Es ist die erste Publikation aus unserem BMBF-Projekt SCoRE, das den Gesamtzusammenhang aus der Perspektive des Forschenden Lernens aufschlüsselt und dabei vor allem die Herausforderungen der Crowd und des Videoeinsatzes thematisiert.
Obwohl Ghostthinker laut Antrag den technischen Part zur Entwicklung der Online-Umgebung zur verantworten hat (hier hat Johannes Metscher die Leitung), sehe ich meine Aufgabe mit Ghostthinkerhut an den didaktischen Schnittstellen des Projekts, weswegen ich aktuell im Team von Gabi Reinmann (Uni Hamburg) zum Forschenden Lernen oder auch im Team von Andreas Hebbel Seeger (Macromedia Hochschule Hamburg) zu den Videotechnologien „mit rumspringe“.
Sei‘s drum, Hauptsache wir bekommen was hin und können nach insgesamt 36 monatiger Laufstrecke wirklich, echte Innovationen vorweisen, und zwar theoretische, technologische wie praktische. Die Latte liegt hoch, mal sehen, ob wir auch alle gemeinsam über die Latte springen.
„Social Video Learning“ im wissenschaftlichen Fokus
„Lass uns doch mal einen Workshop bei der Campus Innovation einreichen“, so Andreas Hebbel Seeger vor ein paar Monaten zu mir in gewohnt heißer Hamburger Umgebung. Ja, und da war er nun, dieser kleine Workshop: Gut 100 Interessierte versammelten sich im Ballsaal des Curio-Hauses, um an unserem eLearning Track „Social Video Learning“ teilzunehmen. Neben uns beiden konnten wir Ruth Arimond aus Luxemburg und Jeanine Reutemann aus Zürich für ein Referat gewinnen.
- Nach einleitenden Worten von Andreas lag es bei mir, eine Art „Einführung“ in das Thema zu geben [Videovortrag hier]. Ich hatte diesen Auftrag so ausgelegt, dass ich mich etwas systematischer als sonst der Frage zugewendet habe, was Social Video Learning jenseits des technischen Prinzips ausmacht, warum es also in so unterschiedlichen Kontexten wie der Ausbildung von Trainern und Lehrerinnen, Musikerinnen, Führungskräften und Mathematikerinnen funktioniert. Da kann man sich doch fragen: Warum? Die Antworten hatte ich in fünf theoretischen Ankern versucht, wobei ich mich vor allem aus dem kommunikationstheoretischen Inventar (Videomanipulation, Zeichenmix, Elaboration, reflexive Beobachterebenen und Common Ground) habe anregen lassen. Es ist ein theoretischer Anfang und Jeanine signalisierte mir viel „Diskussionsbedarf“, über den ich mich freue.
- Ruth vom IFEN (Institut de Formation de l’Éducation Nationale) skizzierte in ihrem Beitrag Ausschnitte aus ihrer Doktorarbeit, die eine qualitative Studie zur Förderung von Wahrnehmungs-, Reflexions- und Handlungskompetenz umfasst [Videovortrag hier]. Ausgangspunkt ist ihr spezieller Kontext der luxemburgischen Lehrer- und Lehrerinnenausbildung, bei der im Rahmen eines Blended Learning-Settings neben Social Video Learning auch e-Portfolios eingesetzt werden. Das Ergebnis ihrer Fallanalysen ist vielversprechend: Wenn mit fokussierten (d.h. kriteriumsorientierten) Aufgaben u.a. unter Einsatz von Social Video Learning gearbeitet wird, dann ist eine Steigerung der o.g. Kompetenzen festzustellen! Das macht Laune: zum einem wegen des positiven Ergebnisses im Rahmen einer methodisch kontrollierten Interventionsstudie und zum anderen wegen Ruths Doktorarbeit, die nun in die Endphase geht. Wir drücken die Daumen!
- Jeanine, Unternehmerin (www.redmorpheus.com) und Wissenschaftlerin (ETH Zürich), ging in ihrem Beitrag eher grundsätzlich auf das Thema der Bildevidenz von Video (VR 360) im Rahmen der wissenschaftlichen Dokumentation und Publikation ein [Videovortrag hier]. Was sie sagt, ist für viele Ohren neu, ungewohnt, teils unbequem, weil sie neben dem wissenschaftlichen Textparadigma selbstbewusst und mit guten Gründen mehr Aufmerksamkeit für das Bild- und Videoparadigma gerade bei der Wissensgenerierung einfordert. Sie sagt: „Text kann viel, aber Video kann auch sehr viel“. Und damit meint sie nicht Video zur „Aufhübschung“ von wissenschaftlichen Ergebnissen, sondern Video als Mittel der Erkenntnisgewinnung, also als methodischen Kern aller Wissenschaften, die „was zu zeigen haben“. In ihrer 2019 publizierten Doktorarbeit – in der ich gerade nach Schenkung eifrig lese – stolpere ich z.B. über Cetina Knorrs „Viskurse der Physik“, also einen Hinweis, wie das Visuelle die Erkenntnis- und Konsensbildung fördert. Großartig, gerade für eine im Aufbau befindliche Theorie des Social Video Learning.
- Andreas war es vorbehalten, viele zuvor genannte Aspekte in seinem Vortrag aufzugreifen und anhand unseres BMBF-Projekts SCoRE mit Fokus auf dem forschenden Lernen (siehe hierzu den Vortrag von Gabi und Georg, beides Projektpartner) zu vertiefen [Videovortrag hier]. Gerade dieses Projekt hat es ja aus vielerlei Gründen in sich, weil wir dort (a) das forschende Lernen unter (b) den Bedingungen der Vielen, der Crowd, mit (c) innovativen Videotechnologien im Kontext (d) von Nachhaltigkeit (VAN) untersuchen. Informativ fand ich u.a. die Unterscheidungen von normaler Videoarbeit mit dem Handy (fixed frame) und 360-Grad Video, weil hier die besonderen Lernchancen des 360-Grad-Raums deutlich werden. Man muss sich vorstellen: Wenn man Studierende für das forschende Lernen zur Nachhaltigkeit motivieren will (was eine Herausforderung ist), dann kann es zielführend sein, sie mit einem 360-Grad Video und Headset z.B. „an den Meeresgrund tauchen zu lassen, um dort den Plastikmüll zu sehen“. Explorierendes Sehen und körperlich-emotionales Eintauchen in eine fragwürdige Situation sind hier also der Auftakt für eine Primärreflexion, auf die dann die Ausarbeitung einer Forschungsfrage, das Finden eines Untersuchungsansatzes (ggf. durch Dritte = Crowdmitglieder) folgen sollen.
Wir waren uns einig: Die vier Vorträge haben gut zusammengepasst und wurden durch die Klammer Social Video Learning gut verbunden, denn: Video kann personale Sichten auf Welt „einfangen“ (fixed frame oder 360 Grad); durch Kommentare bzw. Annotationen (= Sichten auf Weltsichten) kann man ein vertieftes, reflexives Verständnis aufbauen, individuell und in der Gruppe; und durch Videokollagen kann man wissenschaftliche Kernaussagen kommunikativ besser sichtbar machen. Vor uns liegen noch viele Fragen: Wie wird diese videobasierte Perspektivenarbeit (mit welchem Erkenntnisparadigma) zur Erkenntnis? Welche Art von Kollaboration können und wollen wir mit Video, Videokommentaren, Videokommentar-Kollagen unterstützen? Wie bekommen wir hin, das Studierende eine Vorstellung vom forschenden Lernen gewinnen, obwohl sie in der Crowd nur einen kleinen Teil eines Forschungszyklus selbständig durchlaufen haben?
All diese Fragen (und unsere vorläufigen Antworten, einer wachsenden Gruppe aus Forschern, Unternehmerinnen, Designern und Anwenderinnen) laufen auf eine spezifische Zukunftskompetenz (future skill) hinaus, wenn man diesen Trendbegriff aufgreifen will, nämlich auf ein „forschendes Sehen“, eine spezifische Form der videogestützten Weltwahrnehmung, und eine designbasierte Verarbeitung und Re-Visualisierung, bei der Kommunikation und Kollaboration der Vielen eine zentrale Rolle spielen. Klingt alles noch sperrig, ich weiß, aber das Neue ist eine Geburt.
Woher nimmt der Berater seinen Rat?
Einmal in der Woche, meistens sonntags, telefoniere ich mit meiner Mutter, 83 Jahre. Sie ließt fast jeden Artikel in der ZEIT, schaut alle Nachrichten im Fernsehern, interessiert sich für fast alles (Kopf, Herz und Seele) und klagt fast nie. Ich freue mich also ehrlich auf diese knappe Stunde, in der wir uns „Neuigkeiten“ (große und kleine) erzählen.
Immer wieder kommt es vor, und das schon seit Jahren, dass sie fragt: „Was machst du eigentlich genau? Die Betonung liegt auf diesem kleinen Wort „genau“, denn sie weiß natürlich bei ihrem wachen Verstand, was wir im Allgemeinen machen. In der Regel, und so war es bis heute, erläutere ich ihr dann so gut es geht, was ich mache: „Ich helfe Sportorganisationen dabei, wie sie ihre Trainerausbildung mit digitalen Medien qualitativ verbessern können.“ Aber das kommt nicht an, sie versteht es nicht richtig, weder „Trainerausbildung“, noch „digitale Medien“ noch „qualitativ verbessern“. Sie weiß zwar, was die einzelnen Wörter bedeuten, aber sie kann sich eben nicht vorstellen, was sich hinter der Tätigkeit des Beraters verbirgt.
Sie fragt weiter: „Woher weißt du (!) etwas, was diese Menschen, die in den Organisationen leben (!), nicht wissen?“
Es ist also gar nicht die Oberfläche, die sie nicht versteht, sondern die Verständnisschwierigkeiten liegen tiefer, eben in der Frage, woher ich als Unbeteiligter prinzipiell das Wissen hernehme. Ja, da stehe ich nun mit dieser Frage und ich denke nach. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten:
- Ich weiß mehr (qualitativ und quantitativ), weil ich in der Sache einen Erfahrungsvorsprung habe. So wie ein Tennislehrer dem Novizen einen Aufschlag erklärt, erkläre ich dem Kunden, wie man Blended Learning umsetzt. Ich weiß es halt, weil ich es schon 100mal umgesetzt habe.
- Ich bringe den Kunden mit (methodische) Fragen dazu, eigenes, vorhandenes, Wissen auf den Tisch zu bringen, was ohne mich nicht passiert wäre – eine Art Hebammentechnik. Das kann man auch ganz systematisch zu einer wissenschaftliche Methode machen: Was für Ziele haben wir? Was für Konzepte gibt es? Wie wollen wir diese für uns modifizieren? Wie wollen wir das umsetzen? Wie wollen wir den Erfolg messen? Wie können wir den Prozess besser machen?
- Ich weiß es nicht! Dann bringe ich mich zusammen mit dem Kunden in eine Position, in der wir das Neue gemeinsam erfinden. Im engen Dialog und in einer entspannten, vertrauensvollen Atmosphäre führt dann eine Idee zur anderen. Entweder entwickelt sich das schrittweise oder erdrutschartig (reframe). Am Ende sieht man mit anderen Augen.
Während ich also im ersten Fall (Alt)Wissen vermittle, im zweiten Fall neues Wissen methodisch entdecke, zeichnet sich der dritte Fall durch eine sehr ungewisse (Neu)Erfindung aus und ich habe den Eindruck, dass dabei unbedingt der Körper beteiligt sein muss, es geht also nicht rein online. Erkenntnismäßig interessant ist genau dieser dritte Fall, weil man fragen kann, wo das Wissen denn herkommt (ohne Wissensquelle und ohne Methode)?
Beim nächsten Telefonat mit meiner Mutter und der erneuten Frage nach dem „genau“ werde ich ganz anders antworten, ich werde sagen: „Mutter, du hast 40 Jahre im eigenen Restaurant gearbeitet und du hast mit nicht wenig Aufwand die Gäste glücklich gemacht. Wenn ich vor 30 Jahren dein Berater gewesen wäre, dann hätte ich dir geraten, die Speisekarte zu verkleinern (Produktpalette konzentrieren), eine Kegelbahn zu bauen (um Kunden auch im Winter zu binden) oder etwas ganz anderes zu machen, z.B. anstatt eines Restaurants ein Pflegeheim zu betreiben (um langfristig zu überleben).“
Sie würde dann sagen: „Das wusste ich damals bereits alles, du würdest von mir keine „Mark“ bekommen!“
Und dann würde sie mich anlächeln und sagen: „Ich habe dich schon verstanden.“ ?
Man(n) hat‘s nicht leicht.
Hamburger Kämpfer
Mindestens einmal in der Woche treffe ich auf meinen Freund A.. Wir spielen Squash. Wie jeder weiß, lädt diese Sportart alle Kämpfer zum Kampf ein, die nicht mit ausgefeilter Technik und Taktik punkten können. Solche Kämpfer sind wir. Es wird um jeden – wirklich jeden – Ball solange gekämpft, bis der Körper die Befehle des Kopfes verweigert. Jenseits der 50 spricht der Körper mit einem, anders, über anderes.
Das Ende vom Lied sieht dann immer gleich aus: Ist der letzte Punkt nach 45 oder 90 Minuten (je nach Folgebuchung) gespielt, lassen wir uns auf den Boden fallen und strecken alle Viere von uns. Schweigen. Dann folgen Beschwörungsformeln „noch nie so fertig gewesen zu sein“. Männer brauchen das, offenbar.
Unsere Treffen wären aber unvollständig beschrieben, wenn ich nicht doch noch einen Satz zur Sauna – heiße Phase, Teil zwei – sagen würde. Eine abschließende Geschichte zeigt die Qualität: Nach einem Saunagang sitzen wir mit knappen Leibchen bekleidet auf zwei Stühlen unter freiem Himmel uns direkt gegenüber, so dass wir uns anschauen. Wir mussten spontan an eine Uniprüfung denken und so inszenierten wir ad hoc eine Art Streitgespräch zu einem wissenschaftlichen Thema. „Herr Professor, hier kann ich Ihnen nicht zustimmen, denn die Theorie sagt doch nichts darüber aus …“ Um uns herum versammeln sich Zuhörer, alle nackig mit Leibchen und beäugen uns, neugierig und schweigend. Das Ganze hat nicht länger als 20 Sekunden gedauert, also nix.
Aber in diesem Nix liegt alles.
„crowd didactic“ … Didaktik der Vielen
Es gibt Menschen, die sagen, man brauche keine Didaktik mehr (hier). Wahrscheinlich haben sie schlechte Erfahrung mit Didaktikern gemacht, oder sie rücken die Didaktik in einen Bereich, von dem sie sich distanzieren und emanzipieren wollen. Aber solange ‘Didaktik’ die Theorie und Praxis des Lehrens und Lernens (und damit des Unterrichts) ist und wir diese Theorie und Praxis als Design begreifen (vgl. Goodyear), solange taugt und trägt der Begriff auch oder gerade im digitalen Zeitalter!
Nun wurde zur Didaktik schon viel geschrieben: Normatives seit Comenius, Unterrichtstheoretisches seit Herbart, Psychologisches seit Aebli, bis zu (immer noch) modernen Überlegungen zur didaktischen Analyse seit Klafki. Mediendidaktiker weisen seit der Jahrtausendwende auf Multimedia und Hypermedia hin und mit dem ‘flüssigen’ Internet auch auf Potentiale von Kooperation, Kollaboration und Netzwerkarbeit. Der Einzug der digitalen Medien und des Internets hat ohne Zweifel die didaktische Fantasie beflügelt, man schaue sich hierfür nur die Tagungs-Dokumentationen der Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft seit den 2000er Jahren an.
Die moderne Didaktik hat sich vor diesem Hintergrund immer weiter ausdifferenziert und ist damit leistungsfähiger geworden. Kritisch muss man aber feststellen, dass sich die theoretischen Überlegungen sowie didaktischen Szenarien letztlich am Kernkonstrukt vom Unterricht im engeren Sinne orientieren und damit nicht über eine „Didaktik für Wenige“ hinauskommen; und da ist es egal, ob wir eine Klasse mit 25 Schülern oder eine (flipped) Vorlesung mit 250 Studenten in den Blick nehmen.
U.a. setzt das BMBF-Projekt SCoRe genau hier an: Mit SCoRe betreten wir, d.h. mehrere Unis/Hochschulen sowie Ghostthinker als EdTec-Unternehmen, Neuland, denn es geht darum, das „Forschende Lernen“ ganz bewusst unter den “Bedingungen der Vielen” neu zu denken und das ist gerade für den Hochschulraum einzigartig (vgl. crowd research, Standford). Das wir das noch mit aktuellen Videotechnologien (u.a. 360-Grad-Video; Social Video Learning) tun wollen, die ein “forschendes Sehen” unterstützen und an einem Gegenstand, bei dem es um Nachhaltigkeit geht (vgl. Virtuelle Akademie der Nachhaltigkeit), macht das Ganze speziell.
Wie das didaktisch und medientechnisch genau gehen soll, wissen wir ehrlich gesagt noch nicht ganz genau, … wir formen gerade mit einem DBR-Ansatz eine erste Gestalt! Aber genau deshalb ist SCoRe ja auch ein echtes entwicklungsorientiertes Forschungsprojekt, über das ich mich ungemein freue, zumal im Team wirklich sehr gute Wissenschaftler aus den Bereichen Designforschung, forschendes Lernen, Nachhaltigkeitsforschung und Videotechnologie am Start sind, die zusammen mit den „guten Geistern“ von Ghostthinker die Lücke des Nichtwissens kreativ füllen werden. Ich werde berichten …