Am gestrigen Freitag habe ich zum ersten Mal an einem writers workshop teilgenommen. Bisher war dieses Format an mir vorbeigegangen, aus der Ferne habe ich Begeisterungsstürme von Peter Baumgartner und Reinhard Bauer mitbekommen. Mit der Forschungsnotiz von Reinhard und Gabi ist es dann konkreter und greifbarer geworden. Also, gestern am Freitag saß ich mittendrin und zwar als Teilnehmer und shepherd.
Die Kernidee eines WW ist, dass man im Vorfeld Texte von Autoren sorgfältig liest und sich Anmerkungen macht. Am Workshoptag selber werden diese Texte besprochen und zwar (a) mit einer wertschätzenden-konstruktiven Grundhaltung und (b) ohne direkte Beteiligung des Autors. Der Autor darf etwas abgerückt vom Diskussionskreis mit abgewandtem Blick „lauschen“.
Die Veränderung des Settings um die Punkte a und b macht vieles anders. Wir sind es als „typisch Deutsche“ gewohnt, schnell über die positiven Seiten einer persönlichen Leistung hinwegzugehen, um „zur Sache zu kommen“, d.h. zu kritisieren. Uns scheint das wichtig zu sein, denn wie soll man besser werden, wenn man nicht direkt auf seine Fehler hingewiesen wird: direkt, hart … aber auch fair? Über die Bedingungen dieser (wissenschaftlichen) Fairness machen wir uns wenig Gedanken, anders eben in einem writers workshop.
Das fängt damit an, dass jeder im Raum die Texte, d.h. die GEDANKEN des Autors sorgfältig gelesen hat. Das ist die notwendige Bedingung für substanziellen Zu- oder Widerspruch. Jeder, der auf normalen Tagungen seine Folien vorstellt, bemerkt schnell: Die Zuhörer können eigentlich nur einen
oberflächlichen Blick auf die visuell aufgehübschten Folien werfen.
Von Fairness spreche ich auch, weil im Workshop die Texte der Autoren im Zentrum stehen und eben nicht lästiges Machtgetue der Besserwisser oder Verteidigungsrituale des Autors, also der ganze mikropolitische oder psychologische Overhead. Der abseits sitzende Autor ist vielmehr Zuhörer seines eigenen Films. Aus dieser sicheren Distanz fallen selbst schärfere Kritik, pardon, Verbesserungsvorschläge, noch auf fruchtbaren Boden.
Fazit: Ich habe den Eindruck, dass die Bedingungen in einem WW für den wissenschaftlichen Austausch günstig sind, hier geht es fair und respektvoll zu. Die eingestreuten Rituale (sich abwenden, klatschen etc.) wirken in der Situation nicht lächerlich, sondern deuten darauf hin, dass hier etwas sehr Wertvolles und letztlich Intimes ausgetaucht wird: Gedanken.
Am Schluss noch eine Anmerkung: Ich war in einer Doppelrolle anwesend, wie gesagt als Teilnehmer und shepherd, d.h. ich durfte im Vorfeld zum Workshop die Textentstehung von Marianne betreuen. Das hat großen Spaß gemacht, zumal jeder von so einem Gedankenaustausch profitiert. Im Diskussionskreis selber, also im Workshop, ist diese shepherd-Rolle aber eher hinderlich, warum? Weil man den Text „seines“ Autors verteidigen möchte, … wehe dem, der was Kritisches sagt. Aber genau diese Verteidigung ist nicht gewollt, da muss man entweder die Klappe halten oder gleich mit dem Autor ins Abseits gehen.