Was war am Anfang?

In meinem Studium hatte ich zu jedem Semesterstart ein Ritual: ich blockte in meinem Wochenplan die Zeit von 15-16 Uhr mit einem roten Band. Zu dieser Zeit kam "Raumschiff Enterprise" und das war für mich wie eine Art Pflichkolloquium.

Gestern Abend saß ich wieder mittendrin: Simon und ich haben uns den neuen Star Trek-Film angeschaut und … es war wunderbar! Ca 100 Vierzigjährige hatten sich versammelt, um zu sehen, wie alles begann. Ich will hier gar nicht näher auf den Film eingehen, auf die spannende Story, die gut gespielten Rollen, die sensiblen Andeutungen der Charaktere, die in späteren Folgen klar hervortreten … man muss ja von hinten denken.

Auf der Rückfahrt versuchte ich die verschiedenen Enterprise-Phasen zu rekonstruieren, wer war Vater vom Sohn, wie hängen die Stories über die Zeit (und mit Zeitsprüngen) zusammen, was ist die Philosophie der Föderation. Für Nicht-Fans ist dies wenig nachvollziehbar, handelt es sich dabei doch "nur" um einen Science Fiction. Für mich sind diese Fime "Modelle", sie zeigen etwas auf spannende und anschauliche Art, z.B. wie Menschen leben oder leben sollten, wie sie mit Konflikten umgehen und wie man sich (inter)kulturelle Ordnungen vorstellen kann und … was natürlich alles technisch noch vorstellbar ist ;-). Man darf sich hier von manchmal platt eingebauten amerikanischen Klischees nicht beirren lassen, sondern zum guten Teil die Filme nur als Anregung zum eigenen Weiterdenken nutzen.

Kaum zu Hause angekommen, dachte ich mir, warum wir in der Schule solche Story-Strategien nicht verwenden, also das Zusammenfügen von Teilgeschichten zu größeren und zusammenhängenden Geschichten. Wer kann mir die Geschichte der Mathematik, der Chemie/Physik oder der Sprachen erzählen? Wie hängen diese Geschichten zusammen? Leider habe ich in der Schule solche Geschichten nicht gelernt, nur Fragmente davon. Und wenn ich aufgefordert werde, mal etwas z.B. zur Geschichte der Physik zu erzählen, dann sind das nur ein paar Mini-Puzzlestücke. Mir geht es also gar nicht um die Geschichte auf der Mikroebene des Unterrichts, sondern um eine Art Lehrplangeschichte (vgl. SAC), die ähnlich wie die Star Trek- oder auch Harry Potter-Geschichte sich zu einem großen, zusammenhängenden, sinnlich fassbaren "Gewebe" ausbreitet. 

Ganz praktisch stelle ich mir eine Schulklasse vor, die von der 5ten Klasse bis zum Abitur ein großes Gemälde anfertigt, in dem die unterschiedlichen Substories integriert sind: als Symbole oder Formeln, als Zeichnungen, als Kurzcomics, als Podcasts oder Fotosammlung oder Videoelement. Wichtig ist dabei der Hintergrund, der diese Einzelerlebnisse in eine größere Ordnung einbettet, z.B. in die Ordnung der Naturgeschichte oder Sozialgeschichte. Dieses "Gemälde" wäre eine individualisierte  Geschichte, gemeinschaftlich erzählt, eine Re-Konstruktion dessen was "ist" und eine kreative Interpretation mit Gegenwarts/Zukunfsbedeutung. Vielleicht kommt man so zu  "kollektiven" e-portfolios, die eine GROßE Geschichte erzählen, wo man sich neugierig fragt: Was war am Anfang? Wie ist es gekommen? Welche Rolle spielen wir in dieser Geschichte?