So, das hätten wir. 2005 im Rückspiegel und 2006 vor der Nase. Was ich mir abgewöhnt habe, sind Bewertungen oder Vorsätze. Eben fragte mich Hermann Rüppell aus Köln, wohin 2006 führen wird. Ich sagte: "Ich suche nicht (mehr), es kommt." (Freilich mit einem Schmunzeln geäußert). Nach einigem Hin und Her kamen wir darauf, dass es in etwa so ist (sein sollte), wie wenn man mit einem Fahrrad eine Sanddüne herunter fährt: dass man die Richtung zwar weiß und sich auch in die gewünschte Richtung bewegt, es aber tunlichst unterlassen sollte, aktiv zu steuern. Das ist dann die moderne, etwas plakative Variante der indischen Philosophie. Das Ganze hat mit Loslassen zu tun. Aber ich glaube, das ist nur die halbe Wahrheit. Es ist doch wie bei einem perfekten Tennis Longline-Ball: du läufst zum Ball, drehst deine Schulter weit herum, gehst tief unter den Ball, verlagerst dein Körpergewicht zum Ball, vergegenwärtigst geistig (vor dem Schlag) den gelungenen Schlag als Verschmelzung von Ball und Längslinie, triffst also die perfekte Vorbereitung, um dann … in den wenigen Sekundenbruchteilen des Ballkontakts alles loszulassen, du lässt es geschehen, kontrollierst nicht mehr, bist ein wenig wie ein Zuschauer deiner eigenen Leistung. Planung und Gewährenlassen sind also die beiden Seiten, die zusammengehören, und jede Seite hat ihren Sommer. Aber auch das ist wahrscheinlich nur eine Variante eines gerade zeitgemäßen "Fahrplans", dem man seine (Leistungs-)Wurzeln ansieht. Was mich an diesem Ansatz selber nervt, ist der Unglaube, das wenig ausgeprägte Spirituelle, die verkappte Vereinzelung im Leistungsgedanken. Vor diesem Hintergrund interessiert mich eine Geisteshaltung, die an Entwicklung glaubt – ohne den eigenen Zugriff -, die darauf hofft (hoffen darf), dass die (richtigen) Dinge zu einem selbst kommen, dass man im wahrsten Sinne aufgesucht wird. Ob das Ganze ohne Metaphysik funktioniert, weiß ich nicht. Aber es hat sicher mit einem eigenen Verständnis von "Realität" zu tun. Anregungen finde ich hier bei David Bohm, der immer wieder auf die Prozesshaftigkeit und Verbundenheit (er spricht von Ganzheit) von Wissen und Realität hinweist. Man bekommt eine Ahnung von dieser Verbundenheit, wenn man sich ein von ihm eingeführtes Bild anschaut: "Vielleicht ist das beste Bild der fließende Strom, dessen Substanz an einem Ort niemals dieselbe ist. Auf diesem Fluss kann man laufend veränderte Figurenspiele wie Strudel, Kräuselungen, Wellen, Spritzer, etc. sehen, die allesamt offensichtlich nicht unabhängig voneinander existieren. Sie sind vielmehr von der fließenden Bewegung abstrahiert, entstehen und vergehen im Gesamtprozess des Fließens. Das flüchtige Dasein, das diesen abstrahierten Formen eigen ist, lässt darauf schließen, dass sie in ihrem Verhalten nur eine relative Unabhängigkeit oder Autonomie besitzen und kein absolutes unabhängiges Dasein als grundlegende Substanz führen." (Bohm 1985, 77-78). Ich weiß, es ist ein Sprung von den Vorsätzen, der Sanddüne, dem Fahrrad, dem Longline-Ball, dem Unwohlsein gegenüber der Eigenleistung und dem Zugriffsdenken bis zu dem Punkt, ob das Ganze in einer fixierten Idee von Realität gefangen ist. Mit dem Hinweis auf Bohm ist für mich zumindest wieder die Hoffnung da, dass wir in einer verbundenen (ungetrennten) Realität leben, und wir nur durch unser Denken jene Brüche und Fragmente schaffen, die wir hinterher beklagen.
Was nehme ich unter der eingangs erwähnten Vorsatz-Perspektive mit? Ja, … dass ich darauf acht geben will, dass mein Denken Grenzen schafft, Ursachen und Folgen definiert und dass ich mir dieses (auch unproduktiven) Vorgangs bewusst bleiben soll. Dass ich darauf vertrauen kann, dass die Dinge nicht fern von mir sind, weil sie im Grunde noch nie von mir getrennt waren. Um die Ganzheit zu erfahren, sei aber Offenheit und Vertrauen wichtig, so Bohm. Mit diesen handfesten Vorsätzen und Leitsätzen :-) soll das neue Jahr beginnen.