WISSENSmanagement

Seit einiger Zeit hat das Thema Wissensmanagement wieder an Bedeutung für mich gewonnen. Mit „Wissen“ wird eine sehr alte und philosophisch durchwalzte Kategorie benutzt, die Körperliches, Geistiges, Seelisches (je nach Lesart natürlich auch Emotionales und Kognitives) und Soziales unterscheidet und personales Wissen gegen öffentliches Wissen (Information, Daten) abgrenzt. Mit diesem Inventar kommt man recht weit, für den Hausgebrauch reicht es allemal. Dass man all dies auch „managen“ kann, ist eher Ausdruck eines Wunsches, vielleicht auch Hybris. Doch in modernen Organisationen ist man fest entschlossen, Wissen zu sichern, es zu vermitteln, es zu kreieren, auf jeden Fall zu nutzen … es muss halt „fließen“, das Wissen, damit es alle Prozesse der Wertschöpfung im Unternehmen unterstützt. Das würde auch gut klappen, wenn nicht der Mensch auf unheimliche Art mit seinem Wissen verschmolzen wäre. Aber Management ist keine Therapie, da gibt’s also Spielräume, die es zu erkunden gilt.

Was 2025 im Wissensmanagement so geht (ich habe 2004 dazu promoviert, lange her), konnte ich auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Wissensmanagement e.V. in Berlin erfahren. Ich möchte zwei meiner Erfahrungen teilen:

Zum ersten hat mir der Impuls von Victoria Köstner sehr gefallen. Die erfahrene Trainerin stellte ihr Konzept vor, wie sie Wissenstransfer im Unternehmen durchführt bzw. moderiert. Zum Einstieg offenbarte sie im launigen Story-Telling-Ton, sie habe mit ihrer Bachelorarbeit festgestellt, dass die Bereitstellung von noch so ausgefeilten Informationen nicht zum Handeln der Mitarbeiterinnen führe. Ein weiteres Studium der Psychologie musste also her, um mehr zum impliziten Wissen zu erfahren. Genau das schlägt sich offenbar in ihren aktuellen Arbeiten nieder, denn Geschichtenerzählen ist ein zentraler (wenn auch nicht alleiniger Teil) des Umgangs mit „Erfahrungswissen“. Wie man Erfahrungswissen hebt und systematisch in die Organisation einbindet – auch mit einer zeitlichen Lücke zwischen Gebenden und Nehmenden – war Gegenstand ihres Impulses. Kritisch nachgefragt wurde, was man tun kann, wenn nicht zwei Personen zu moderieren sein, sondern 4000 Menschen in 100 Projekten gleichzeitig? Wo sind also die Konzepte, wenn der Moderationsaufwand „explodiert“?

Zum zweiten hatte ich in einer Pause Gelegenheit, mit Pavel Kraus zu sprechen. Seine Anmerkung im Workshop, dass man einen „völlig neuen Ansatz“ bräuchte, um Wissen zu erfassen, machte mich neugierig, da ich aus meiner Siemenszeit im CKM um 2000 die Textfixierung ebenfalls als hinderlich empfand. Im Gespräch machte er klar, dass viel zu viel dokumentiert würde, es vielmehr darauf ankomme, zunächst herauszubekommen, was überhaupt wichtig und relevant ist. Diese Relevanz gelte es dann unternehmensweit potenziell sichtbar und zugänglich zu machen, und zwar so, dass sich Menschen (!) treffen würden. Mir war diese architektonische Entscheidung sofort klar, weil wir sonst in Information ertrinken, was nicht nur nix nützt, sondern schadet!

Mir haben diese beiden Impulse jedenfalls sehr geholfen, an meinem aktuellen Konzept zum Wissenstransfer weiterzuarbeiten, bei dem es mir neben dem „harten“ Wissenstransfer für große Gruppen auch und gerade um eine intergenerationale Zusammenarbeit (#jointgeneration) geht, denn, wie ich oben festgestellt habe: Der Mensch ist auf unheimlich Weise mit seinem Wissen verschmolzen. Gott sei Dank!

„Leben ist Töten“ … Nahaufnahme eines Redners

Eher durch Zufall war ich im März auf der Internationalen Tagung der Erich Fromm Gesellschaft, die in Bad Marienberg den 125. Geburtstag des Namensgebers feierte. „Fromm“, die Älteren erinnern sich: Die „Kunst des Liebens“ sowie „Haben oder Sein“ waren Büchlein, die man in der Jugend pflichtgemäß las oder verschlang, je nach Einstellung.

Anlass und Grund dieser Reise war kein aufflammendes Fromm-Interesse, obwohl die Zeiten danach schreien, sondern ein Vortrag von Klaus Eidenschink, der dort als Redner aufgeführt war. Für alle die es nicht wissen: Eidenschink ist ein „Wanderer zwischen den Welten“, Coach und Coach-Ausbilder mit eigenem Institut in München, von Haus aus Theologe, seit Jahrzehnten aber in Systemtheorie und Psychologie (und weiteren Hilfswissenschaften) zuhause. Von ihm stammen Bücher wie „Die Kunst des Konflikts“ oder „Entscheidung ohne Grund“ oder das „Verunsicherungsbuch“, die alle mit Gewinn lesen können, die mit Menschen zusammenarbeiten und dafür Verantwortung tragen. Ich denke man kann ihn als Meta-Theoretiker des Coachings (er hat eine eigenen Metatheorie zusammengestellt) oder intellektuellen Provokateur bezeichnen, der gern mal den psychologischen Mainstream gegen den Strich liest, … und schaut was passiert.  

Nun also Eidenschink – erstmals live vor meinen Augen – morgens 09.00, erstes Referat, Titel „Die Anatomie konfliktdynamischer Destruktivität“. Im ersten Teil ging er auf das Thema Konflikt ein: Was ist das? Wie entsteht er? Aber auch eher beiläufig, … „warum ich nicht vom Frieden rede.“ Man merkte schnell, Systemtheorie, Luhmann, gar nicht mal im komplizierten Sprechen, sondern im klaren Denken, neutral beschreibend, kein Evangelium, sondern zweiwertigen Pole, um zu sehen, was der Fall ist, ehe man interveniert. Weil die ZuhörerInnen für gewöhnlich in ihren Denkbahnen verharren – kopfnickend, zustimmend – zwischendurch kleine Bomben wie: „Leben ist Töten“ oder „Konfliktfreie Kommunikation, da halte ich nix von“. Solche Sätze „sitzen“, wir sind auf der Erich Fromm-Tagung, das Publikum seit Jahrzehnten geschult in allen Friedenstechniken und Konfliktvermeidungshaltungen 😊. Bricht der Widerstand offen zutage, ist Eidenschink hellwach und schnell dabei, die Stelle zu kitten, nicht durch eine Beschwichtigung, sondern z.B. mit dem Hinweis, dass jede Entscheidung eben AUCH Möglichkeiten ausschließt oder im Bild: Wenn der Zen-Meister durch den Tempel geht, tötet er Milben. Jedwedes Handeln hat Folgen und Nebenfolgen und damit auch das – gerade das –, was mit guter, friedlicher Absicht geschieht. 

Was mir bei Eidenschink gefallen und warum sich die Anwesenheit gelohnt hat: Dieses eigentümliche Sprechen mit einer inneren Leinwand, die Augen nach oben gerichtet, entrückt, aber bei sich, mit beiden Händen nach etwas greifend und jonglierend. Eine Sprechsequenz geht in etwa so: (1) Luhmannischer Einstieg, für den Ungeübten immer etwas befremdlich, z.B. „doppelte Kontingenz“, schwer zugänglich, bestenfalls hat man eine Ahnung. (2) Dann das Entgegenkommen mit einer bekannten Redewendung, bei ihm im bayerischen Grundton, in der das Gemeinte intuitiv anschaulich wird. (3) Jetzt ganz beim Publikum, ergänzend und mit Humor vorgetragen noch eine Art schauspielerischer Szene, z.B. „Frau kläfft, weil Mann ins Wirtshaus geht“, an der dann wieder etwas Abstraktes wie „zirkuläre Kausalität“ erklärt wird, … das Lachen im Publikum geht dann fließend in ein Nachdenken über: Abstraktum, Redewendung, Spielszene vermischen sich zu einer sinnigen und sinnlichen Figur. Ende der Sequenz, Ende der Beobachtung.