Ich bin kein Repräsentant

Ich habe eine Reise nach Berlin hinter mir. Anlass war eine „Erkundungsaufstellung“ zu „Inner Work“, die von Prof. Georg Müller-Christ und Dr. Josef Merk angeboten wurde. Ich kenne Georg (nach einem gemeinsamen F&E-Projekt) und seine Aufstellungsarbeit nur aus der Ferne, also via seiner LinkedIn-Beiträge und aus einer Online-Session, in dem ich das Grundprinzip nachvollziehen konnte. Ich selbst bin also erfahrungsfrei; das sagt man, wenn man von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, aber genau in dieser Unbeschriebenheit eine Ressource für den Tag sieht.

In einem großartigen (aber unangestrengt lässigen) Loft am Berliner Ostbahnhof ging es mit ca. 20 Personen – wir waren 3 Männer – in den Tag, der durch wenige Slots grob gegliedert war. Gestartet wurde mit einem „Check-in“, bei dem jeder/jede – nach einem kurzen Austausch mit dem Sitznachbarn – die eigene Erwartung sagen konnte. Ich war kurz: Ich wollte eine Erfahrung machen, die mich aus der Bahn wirft, also Bahnbrechendes 😉.

Ich überspringe jetzt mal die einleitenden Impulse durch Josef und Georg und komme gleich zur ersten Erkundungsaufstellung, und die ging so: Vier Personen, die sich freiwillig meldeten, verließen den Raum, so dass sie nichts hören und sehen konnten. Währenddessen erklärte uns Georg inmitten einer großen Stuhlkreisfläche, dass es vier Rollen gibt (Angestellter weiblich, Angestellter männlich, Führungskraft weiblich, Führungskraft männlich), die mit den Buchstaben A-D symbolisiert und wiederum durch ein Schild visualisiert werden. Zudem war im Stuhlkreis ein Stuhl mit der Zahl „1“ und räumlich gegenüber einem Stuhl mit der Zahl „2“ eingeschoben; die Zahlen symbolisierten die leitenden Zwecke bzw. Handlungsmotivationen im Unternehmen, nämlich Fremdbestimmung und Selbstbestimmung. Schließlich wurden, ebenfalls symbolisch, vier Kontexte unterschieden, in denen die Akteure durch verschiedene „Reifegrade“ an Inner Work einen Unterschied machen sollten. Nun wurden die vier Personen von draußen in den Stuhlkreis geholt. Jeder der Vier konnte sich einen Buchstaben schnappen und gut sichtbar an den Oberkörper hängen. Vor mir im Stuhlkreis waren also vier Personen mit Buchstaben zu sehen und links und rechts stand je ein Stuhl mit der Zahl 1 und 2. Soweit zur Struktur.

Die Erkundungsleitung (EL) forderte die „Repräsentanten“ (R) auf (das waren die Personen mit den Buchstaben, weil sie verdeckt Rollen repräsentierten), sich im Raum zu positionieren, so dass es für sie „passend“ sei. Die „R“ positionierten sich. Die EL stellte daraufhin Fragen, die „R“ Aussagen zur Positionierung ablocken sollten. Dieser Prozess wurde mit Kontext zwei und Kontext drei wiederholt, was u.a. zu veränderten Positionierungen im Raum und Äußerungen der R führte. Bevor Kontext vier erkundet wurde, sollten alle R die Kreisfläche verlassen und dann mit „kollektiven Inner Work-Bewusstsein“ (was das genau war, blieb offen, aber wohl eine Art von gemeinsam gelebter Inner-Work-Praxis) erneut eine Position im Raum suchen und eine Aussage dazu machen.

Was wir da sehen konnten, war ein komplexes, zumindest aber vielschichtiges Zusammenspiel aus R (mit verdeckten Rollen), mit Stühlen als Bezugspunkten (verdeckte Handlungsmotivationen) und je verschiedenen Kontexten (offene, d.h. bekannte Bewusstseinsgrade zu Inner Work) – es war eine „Simulation im Raum“, was vor allem Gleichzeitigkeit und Situierung, aber eben auch „Sichtbarmachung von Verdecktem und Verborgenen“ bedeutet. 

Um sich das, was sich da „gezeigt hat“ (nicht gezeigt wurde!), zu deuten, gab es im Anschluss Kleingruppenarbeit, bei der man zunächst das Gesehene neutral beschreiben sollte: z.B., „dass die beiden Führungskräfte auffällig oft in der Nähe der Stühle gestanden oder gesessen sind oder dass der männliche Angestellte auffällig oft in der Zwischenposition von Stuhl 1 und 2 war.“ In einem zweiten Schritt sollte man diese Deutungen erweitern, indem man Sätze mit „könnte“ (Konjunktiv) formulierte, die darauf abstellten, „mögliche Optionen zu erkunden“. Da war also der Kern, worum es ging oder besser, was ich verstanden habe: Nicht sichtbare oder übersehene oder für unwahrscheinlich gehaltene oder gar emotional abstoßende Optionen von Rollen-Motivation-Kontext-Mustern entspannt in den Blick zu nehmen, als eine neue Möglichkeit von Wirklichkeit.

Ich will in diesem Beitrag jetzt nicht um den Nachmittag ergänzen, bei dem ich selbst „Repräsentant“ war, zwar in einer ganz anderen Übung, aber immerhin. Es wird sonst hier zu lang. Vielmehr komme ich jetzt zu dem, was ich aus dem Tag mitgenommen habe.

In der großen „Abschlussrunde“ – heute Check-out – war man sich einig: Fast alle fühlten sich reich beschenkt, mit Impulsen für die eigenen Arbeit, mit mehr Motivation und Klarheit, und verabschiedeten sich mit Dank an alle Anwesenden für Offenheit und Gespräche. Ich sagte „fast alle“. Ich war der Einzige, der andere Erfahrungen gemacht hatte, nichts Bahnbrechendes, wie anfangs erwartet, aber von so einem hohen Ross kann man auch nur runterfallen. Um es vorwegzunehmen: Der Tag war professionell organisiert, die Impulse originell und informiert, die Gespräche aufschlussreich. Es hat sich also gelohnt, zumal die Tagungskosten von unter 200 € eher im Bereich des Ehrenamtes liegen. Zu dieser Bilanz gehört aber auch, dass ich jetzt mehr Klarheit darüber habe, was ich nicht will: Inner Work mit Erkundungsaufstellung. Der Hauptgrund der Nichtpassung für mich ist, dass der Körperleib zu wenig zur Sprache kommt, seine Sprache, eine spezifische Wahrnehmung, die wir im Nachgang denkend erfassen können, wenn es gut läuft, wenn nicht, ist es auch gut, vielleicht sogar besser. Ich erkenne zwar das heuristische Potenzial der körperinduzierten Symbol- und Unterscheidungsarbeit via Repräsentanz und Metakognition zur Erweiterung des Möglichkeitsraums, denn das ist, was ich unter Erkundungsaufstellung verstehe, aber für meinen Kopf ist das zu viel Symbol, Stellvertretung und externer Verweis, zu viel Denken über Denken. Wahrscheinlich suche ich nicht nach einem Mehr an Erkenntnis, sondern nach anderen Formen der Resonanz, nicht nach wahrem oder nützlichem Wissen, sondern Formen des Gewahrwerdens, die mir (und anderen) neue Denkmöglichkeiten, Selbstzugänge und Handlungsweisen zeigen und erlebbar macht.