Deskilling durch KI: Nach dem rasanten Rauf geht es runter

Über den KI-Einsatz (Chat-GPT) in Bildungsorganisationen (Schule, Hochschule, Berufsbildung) wird aktuell viel spekuliert und das ist gut so! Wie anders sollte man sich dem Thema auch nähern als durch Erproben, Reflexion und mehr oder weniger spekulative Gedankenexperimente (Was-wäre-wenn?). Für Empirie und gesicherte Erkenntnis rollt der Zug zu schnell; die normative Frage, was wir denn von der Bildung im KI-Zeitalter wollen, wird auffallend dünn beantwortet.

Ich selbst habe gegenüber der KI ein ambivalentes Verhältnis. Das sagt man genau dann, wenn man auf der einen Seite seine Neugier nicht zügeln kann und bereitwillig mit den neuen Möglichkeiten experimentiert, auf der anderen Seite aber genau in dieser Tat die Bedingung sieht, die hochskaliert auf Millionen von Nutzerinnen weltweit in ein soziales Dilemma führen könnte.

In meinen ersten Beratungssituationen zum Thema, also zur Frage „was man von KI im Kontext von Bildung halten soll?“ nutzen Kunden immer gerne die Werkzeugmetapher. Sie sagen: „KI ist wie ein Werkzeug, ähnlich dem Taschenrechner. Da gab es auch große Befürchtungen, dass die Nutzung zu einer mathematischen Verdummung führe.“

Ich will da mal ansetzen: Ist KI ein (isoliertes) Werkzeug oder eine (globale) Social-Plattform oder eine (unhintergehbare) Kulturtechnik oder noch was anderes? Ich glaube nicht an die Werkzeugmetapher. Wir nutzen sie nur gerne, weil wir das Neue immer mit den Alten erklären und sie uns emotional beruhigt. Alles beim Alten. KI ist aber mehr: Die lokale Wirkung ist atemberaubend, ich will mehr, will mich entlasten, hier ein Konzeptvorschlag, da ein schwieriger Brief. Der Reiz, mich unterstützen zu lassen, wächst mit jedem guten „Dialog“, den ich abgeschlossen habe. Ein still wachsendes Vertrauen in meinen neuen Dialogpartner entsteht in ähnlicher Weise wie das blindes Vertrauen in das Navigationsgerät, das mich seit Jahren an jeden Ort der Welt führt. Was ist da los?

Meine These ist steil, aber ich spreche sie mal aus 😊. In den nächsten fünf Jahren werden wir einen atemberaubenden Anstieg in der Produktivität von Lehrpersonen erleben, allesamt ExpertenInnen ihres Faches mit hoher Urteilskompetenz. Sie haben das Vermögen zum gezielten Prompting, sie werden die Ergebnisse kritisch beurteilen können, sie werden die Streu vom Weizen trennen. Läuft! In den weiteren fünf Jahren (ich denke in 5-Jahresschritten, ehe die nächste Mikrogeneration nachwächst) kommt es zu einer Abflachung der Produktivitätskurve: Diese Generation hat schon KI intensiv beim Aufbau der eigenen Expertise genutzt und dabei versäumt, sich selbst tief in Sprache einzuüben; KI wirkt als Organersatz. In den Folgejahren – und wir reden hier von den KI-Möglichkeiten in 15 Jahren, das sind Lichtjahre – wachsen Generationen auf und nach, denen es wahrscheinlich so geht wie den beiden jungen Fischen im Wasser: Ein alter Fisch kommt vorbei geschwommen und fragt: „Na Jungs, wie ist heute das Wasser?“ Die jungen Fisch: „Wovon sprichtg er?“ … Junge Menschen der Zukunft werden die KI nicht mehr sehen (können), sie sind „embedded“, eingetaucht, verschmolzen mit einer KI-gestützten und -generierten „Realität“ (was das wohl sein wird), von dem sich unser heutige „Naturzustand“ qualitativ unterscheidet. Und für diese Zeit könnte es einen Absturz der Produktivität geben, obwohl die Nutzung von KI für Lehrzwecke zum Standard gehört. Warum? Weil mit jeder KI-Antwort das Sprachvermögen geschwächt wird, so dass man sich, um ein gewisses Niveau zu halten, immer mehr KI Unterstützung holen muss. Systematische Entlastung führt zur Erosion meines Sprachvermögens.   

So könnte es kommen.

Es sei denn, wir entscheiden uns – uns zwar jeder Lehrende – dafür, Sprache und Denken (zwei Seiten einer Medaille) weiterhin auf einem hohen Niveau zu trainieren, ganz bewusst ohne KI-Unterstützung oder in einer Form, die das Denken und die Sprache auf einem neuen Niveau und in einer hohen Qualität anstachelt! Dafür brauchen wir eine tragfähige Idee und geeignete Trainings- und Übeorte und vielleicht auch einen Bereich in unserem persönlichen Portfolio, den wir „Eigenleistung“ nennen und auf den wir auf magische Weise stolz sind.