Pre-empathische Zusammenarbeit … what the hell?

In der ersten Kalenderwoche des neuen Jahres war ich in Zürich. Anstoß war ein LinkedIn-Werbevideo von Beat Döbeli Honegger & Jöran Muuß-Merholz, in dem die beiden auf das Buch „Zusammenarbeit 4.0“ von Jöran mit Vorstellung eben in Zürich aufmerksam machten. Ich dachte: Warum nicht?

Den Vorabend verbrachte ich mit Beat und Ben Hüter. Wir sprachen über Bildungspolitik, über Nichtneutralität von Lernumgebungen und über Bildungsservices zwischen Hochschule und Privatwirtschaft. Wenn man älter wird – wir sind in den 50ern -, dann gewinnt der Begriff der Ambivalenz (noch mehr) an Bedeutung.

Der nächste Morgen war geprägt von einem Fachgespräch zwischen Ben und mir. Auf der Agenda stand VR (Multiplayer) mit KI für den Kontext Berufsbildung. Hier geht viel Neues. Mich treibt das Thema der didaktischen Rahmung um: Warum und wofür VR genau? Für welches Problem oder zu welchem Zweck? Und nach dem ‚Eintauchen‘ kommt was? Wie ergänzt man dieses technologiegestützte Eintauchen mit dem Eintauchen in eine real-analoge Situation, mit Haut und Haar? In welchem Verhältnis steht Eintauchen zur Reflexion? Noch ein paar Fragen offen 😊, aber es wird!

Auf Hinweis von Klaus Eidenschink habe ich Zürich auch zum Besuch der Kunst-Ausstellung von Marina Abramović genutzt. Mich interessieren ‚Gefühle‘ und ‚Wahrnehmung‘ unter menschlich-existenzialem Gesichtspunkt, u.a. im Kontext der KI-Entwicklungen (the human core). Nur kurz und exemplarisch: Die primär performative Videokunst ist verstörend, dass ist gewollt. Man sieht eine schreiende Frau im Selbstexperiment, über 9 Stunden, bis die Stimme versagt. Man sieht eine Frau mit Menschenskelett auf dem Bauch, skurrile Intimität zwischen Körpern. Ich hatte das Glück bei einer Live-Performance dabei zu sein: Nackte, schöne Frau „schwebt“ auf einem Fahrradsattel sitzend an der weißen Wand. Nach dem ich die schöne Form hinter mir lassen konnte, „sah“ ich den Schattenwurf und ich (!) „spürte“ körperlich – schwitzend und herzklopfend – die enorme Körperanspannung der Künstlerin da an der Wand über endlose 20 Minuten. Ich dachte kurz: Frauen können das, schwebend, meditativ und würdevoll. Wir doch Jämmerlichen …

Zürich endete aber mit etwas sehr Weltlichem: Am späten Nachmittag dann die Vorstellung des Buches „Zusammenarbeit 4.0“. Nach gastfreundlicher Begrüßung durch Gabriela Keller und kurzweiliger Einleitung von Beat in den Räumen der ergon AG erläuterte Jöran seinen Ansatz „Pre-empathische Zusammenarbeit“. Ich habe es mit einem „Kant-Merker“ verstanden:

„Handle so, dass du dem anderen (und dir) keine unnötige Arbeit machst – auch nicht in der Zukunft“:

richtiger Dateiname, den auch andere im System wiederfinden, Meeting-Einladungen nur mit Agenda (Wer, Was, Wo, Warum) zur Orientierung und auch erst dann auf Senden klicken, gemeinsame Online-Docs statt isolierender e-Mail oder Chat-Silos. So ging es weiter, von der Mikro- bis zur Makroebene. Ich fühlte mich an beste Ghostthinker-Zeiten erinnert, da wurde diese Kultur fast 20 Jahre „kultiviert“. Im Anschluss dann Gruppendiskussion in reiner Informatiker-Runde (alles Männer). Ich sagte:

„Das ist alles vernünftig, weil rational. Doch was ist mit Personen, denen das Ganze den Hals zuschnürt, die nicht vollständig ‚Rationalitätstauglichen‘.“

Vier Informatiker-Augen schauen mich ratlos an, Jöran kannte das Problem, spricht von Risikoabwägung und Maßnahmenanpassung, weitere Rationalisierung „next level“. Mir ging es bei meiner Frage um Grundsätzliches (nicht Pragmatisches), um die schleichende „Formalisierung des Menschen“. Abramovićs Kunst kann man vor diesem Hintergrund auch als Mahnung lesen.

Wir bringen uns in Organisationen immer mehr mit rationalen Gründen, freiwillig „in Form“. Darin sind Wildheit, Gefühle, Wahrnehmung – the human core – Störenfriede. Ich denke, wir müssen hier noch mal RICHTIG nachdenken. Mich hätte wahrscheinlich am Ende ein Titel „emphatische Zusammenarbeit“ mehr inspiriert, nicht um Gefühlen ein Primat einzuräumen, sondern um den Horizont offen zu halten, wie wir den „Resonanzzwang des Menschen“ (Eidenschink) mit legitimen und nicht-legitimen Formierungen zusammen kriegen. Das ist die Art von „Zusammenarbeit“, die wir in einem Mensch-KI-Maschinen-Zeitalter stemmen müssen.

Der Mensch hält unendlich viel aus – wie die Frau an der Wand – er zerbricht aber auch unendlich leicht … meist still und leise.

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