Geschichten erfinden

Gestern war ich zusammen mit Marco bei Hedi (Reinmann) und zwar in der Wolfratshauser Bücherei. Sie veranstaltet dort regelmäßig eine sog. Kindergeschichtenschmiede, in der Kinder „Geschichten erfinden“, diese dann aufmalen und ggf. Dritten erzählen. Das ist schon spannend genug. Gestern sind wir dort hingefahren, um "unsere" Geschichte vom Außerirdischen TechPi abzuspielen und die Kinder damit zu begeistern. Im Anschluss daran wurde nun nicht irgendeine, meist märchenhafte Geschichte von den Kindern erfunden, sondern ein neues Abendteuer von TechPi und MaliBu. Dieses mal ging es in den Wald, es ging um Zelten, um Feuermachen, um einen Kompass bauen, weil sich die beiden natürlich verlaufen haben und es ging um Fliegenpilze, die der neugierige TechPi sich in den Mund stopfen wollte. Die Geschichte geht gut aus, keine Frage, dafür sorgen die Kinder schon. Es hat alles (dank Hedi) erstaunlich gut geklappt – anders zwar als das freie Märchen, aber dafür recht nah an der Wirklichkeit und an den Themen der 3. Grundschulklasse (Sachkunde) hier in Bayern. Auf jeden Fall haben wir viel erfahren können wie das Zusammenspiel von Mediengeschichte und eigener (konstruierter) Geschichte im Klassenraum organisiert werden muss. In jedem Fall können wir die Erfahrungen gut in unser aktuelles Projekt Tech Pi 2.0 einbringen.

Olympia-Boykott oder nicht … oder ist das die falsche Frage?

„Der Sport ist nicht in der Lage, Probleme zu lösen, die weder die Vereinten Nationen noch einzelne Regierungen in jahrzehntelangen Anstrengungen bewältigen konnten“, teilte der DOSB mit. [ZEIT online]

Soweit das aktuelle Zitat von offizieller Seite. Ich weiß, das ganze Geflecht aus Politik-Wirtschaft-Sport ist zu verzwickt als dass man schnelle und eineindeutige Handlungsstrategien daraus ableiten könnte. Hinzu kommt, dass man recht mutlos über sich, die Olympische Bewegung oder allgemein den Sport urteilt: Er sei nicht in der Lage, politische Probleme zu lösen, sagt man.

Ich bin bisweilen gespalten: Auf der einen Seite möchte ich meinem politisch-humanistischen Reflex folgen und der chinesischen Regierung die rote Karte zeigen: wegen der Gewalt in Tibet, wegen der Menschenrechtsverletzungen, wegen der augenfälligen Instrumentalisierung der Spiele. Auf der anderen Seite denke ich, dass man die Situation nur verändern kann, wenn man den Dialog sucht und den Anderen, das Andere, mit ins Boot holt. Genau eine solche Position verfolgen offenbar die Deutsche Regierung und der DOSB und andere Hilfsorganisationen. An anderer Stelle habe ich gelesen: „Wir brauchen keine Anti-China, sondern China-Strategie.“ Soweit so gut.

Mir ist dieser erste Einstieg, hop oder top, aber zu wenig. Eine solche „Argumentation“ verdeckt die Binnenkomplexität, die eine große internationale Kulturbewegung zu managen hat und vor allem wird dadurch nicht sichtbar, welche Handlungsalternativen es für die Olympische Bewegung gibt. Aber, wer ist denn die Olympische Bewegung? Ja, das sind wir, die Zuschauer, das sind die SportlerInnen, die Betreuer und Trainer/Innen, das sind die Journalisten, also all diejenigen, die die Freiheit dazu haben, die Stimme zu erheben, weil sie weder durch Gewalt bedroht, durch Lüge verblendet oder wie die führenden IOC-Mitglieder an diplomatische Zurückhaltung gebunden sind. Es geht also um beides und das ist wahrscheinlich so schwer zu verstehen: Es geht um die Sicherung eines internationalen Sportfestes der Jugend und es geht gleichzeitig um eine der größten Protestbewegungen gegen chinesische Gewalt im eigene Land und in Tibet! Genau in dieser GLEICHZEITIGKEIT von Ereignissen auf unterschiedlichen Bühnen liegt die besondere, d.h. sportlich-kulturelle Macht der Olympischen Bewegung!

Man muss sich in der Tat immer bewusst machen, dass das IOC und die Olympische Bewegung immer schon auf dünnem Eis gestanden hat, soll heißen: Einerseits ist sie angewiesen auf den Zuspruch aus Politik und Wirtschaft (vgl. hierzu Coubertins Erinnerungen 1936). Andererseits darf man diese materielle Machtlosigkeit nicht zu einer generellen Machtlosigkeit verallgemeinern! Die Erfinder der neuzeitlichen Olympischen Spiele haben eine sehr machtvolle Idee in die Welt gesetzt. Gut 100 Jahre nach dieser Erfindung erzeugen die Olympischen Spiele eine weltweite Aufmerksamkeit, bei allen Bevölkerungsschichten und damit ein „Gefühl von globaler Gemeinsamkeit“. Das ist der zentrale Friedensbeitrag der Spiele, der unmittelbar aus der sportlich-kulturellen Inszenierung hervorgeht. Man kann sagen: „Das ist zu wenig!“ Ich würde aber sagen: „Das ist alles, was der Sport als SPORT-Bewegung geben kann, aber genau das ist seine Pflicht.“

Zusammen mit der oben erwähnten Gleichzeitigkeit (besonderes Fest + systematischer Protest) ergibt sich für mich eine China-Strategie, die sicherlich nicht einfach umzusetzen ist, die aber den Machthabern in China zeigt: „Wenn ihr mit im Boot der Zivilgesellschaft sein wollt, dann MÜSST ihr euch den Spiegel vorhalten lassen!“ Was definitiv nicht passieren darf – und die Gefahr ist groß, weil dieser Weg nur eine Handbreit daneben liegt – ist, die Spiele zu spielen und im „vorauseilenden Gehorsam“, aus „strategischen Gründen“ oder „wirtschaftlichen Interessen“ still zu halten, nichts zu sagen, mit den Machthabern zu sympathisieren … wie 1936. Genau dann nämlich würde man das Kostbarste der Olympischen Idee verspielen, die Hoffnung der Jugend, weil man die Botschaft vermitteln würde: Schaut weg!

Die Botschaft sollte lauten: „Schaut hin, sagt was ihr denkt, tauscht euch aus, vor allem mit der chinesischen Jugend … und konzentriert euch auf euren Wettkampf! Ja, von der Jugend der Welt, von der Olympischen allemal, wird viel verlangt. Aber das war ganz im Sinne Pierre de Coubertins, denn er hat explizit neben der kraftlosen Formel der „Toleranz“ den „gegenseitigen Respekt“ (Le respect mutuel) gesetzt. Und Respekt ist bei ihm mit mindestens drei Imperativen verbunden: das Fremde (gerade auch die Geschichte Chinas) kennenlernen, die Überzeugungen der anderen achten aber auch … das eigene Gewissen nicht ruhen lassen!

Literaturhinweise:

Coubertin, P. de: Die gegenseitige Achtung. Acadenia, 1988

Güldenpfennig, S.: Sport: Kunst oder Leben. Academia, 1996

Wir machen Elite, garantiert!

Als ich mich vor ca. 17 Jahre in Köln „anschickte“, zum Start meines Studiums eine Wohnung zu suchte, da war ich nicht erfolgreich: ca. 3 Wochen suchte ich in Zeitungen, zusammen mit Kollegen oder an Aushängen nach freien Wohnungen bzw. Zimmern. Ich erinnere mich wie ich genervt nach Hause ins Sauerland fuhr, mich an die Theke meines Vaters stelle (wir hatten ein Restaurant) und kurz mein Leid klagte. Vor der Theke stand ein Gast der mich fragt: „Wie, du hast kein Zimmer bekommen, möchtest du eines haben?“ Verwundert sagte ich: „Natürlich!“. Ca. 5 Minuten später hatte ich ein Zimmer in Köln, in einer Villa, zusammen mit drei anderen Studienanfängern. Ich stellte bald fest, dass ich dort in einer nichtschlagenden, farbentragenden Verbindung gelandet war, deshalb war alles so günstig, deshalb ging alles so schnell. Obwohl ich einem natürlich angeborenen Reflex folgen wollte – nämlich auf der Stelle kehrt zu machen – verbrachte ich fast ein ganzes Semester bei dieser Truppe um zu sehen, was sich hinter den Mauern der Verbindungselite verbarg. Im Kern habe ich Kamingespräche, an denen Kölner Professoren sprachen oder den Jour fix kennen gelernt, ebenso die Idee des Lebensbandes. Eines ist mir aber noch fest in Erinnerung. Auf die Frage warum die anderen denn in einer Verbindung seien, sagten viele recht unverblümt, weil sie so nach dem Studium recht einfach an einen guten Job kommen würden. Mir war das auf eine unerklärliche Weise peinlich … bald darauf folgte ich meinen anfänglichen Reflex … ich verließ die Verbindung.

Warum bringe ich dieses Erlebnis im Zusammenhang mit der Elitediskussion? Vor ein paar Tagen habe ich das Buch von Julia Friedrichs gelesen. Sie hat ein Jahr damit verbracht Eliten – meist in sog. Eliteinstitutionen – aufzusuchen um sie zu befragen, was das denn sei, „Elite“. Das Buch endet ernüchternd. Sie findet keine Elite, nicht in Salem, nicht an den Business Schools, nicht in Harvard. Sie kann diese Eliten deshalb nicht finden, weil sie selber, implizit, eine (andere) Vorstellung davon hat, was Eliten sind. Sie hat hohe Ansprüche, die eher politisch motiviert sind. Sie sucht also letztlich an falschen Orten, dort wo es draufsteht, z.B. Eliteschule, kann es nicht drin sein – Etikettenschwindel. Eben die von ihr aufgesuchten Eliten erinnern mich an mein Angangsbeispiel, an den Kernmechanismus „Zugang bekommen“ … und zwar nicht über Leistung sondern über „Kontakte“ und damit letztlich über Herkunft. Das ist kein notwendiger Mechanismus, aber doch ein sehr wahrscheinlicher. Was Julia Friedrichs letztlich enttäuscht, sind glaube ich zwei Dinge: erstens die Einsicht in diesen starken Mechanismus der „Exklusion“ – wer keine Eintrittskarte hat kommt nicht rein und die draussen sind, werden geringer geschätzt. Und zweitens die Einsicht, dass die aufgefundenen Eliten politisch wenig aktiv bis desinteressiert waren. Am Ende reicht es vielen (nicht allein z.B. dem Iraker im Buch) mit einem selbst erlegten Reh im Arm Schampus zu trinken, Papas Partei zu wählen und natürlich irgendwann richtiges Geld (definitiv nicht in der Politik) zu verdienen.

Spricht da Neid? Nein, ich hoffe nicht, jeder soll Schampus, Steigenberger, Mini, Kragen, Kroko, Versage, Rothschild tragen & trinken & feiern wo und wie er/sie will. Ich finde es nur unpassend, wenn sich eine Gruppe, die sich den ganzen Tag Gedanken zur eigenen Lebensweise + Abgrenzung zu anderen macht, „Elite“ nennt. Überhaupt finde ich, dass man jungen Menschen nicht mit diesen zentnerschweren Begriff kommen sollte, der "ver-führt": das sensible Gemüt wird erdrückt, das übermäßig Starke bläht sich künstlich auf. Warum nicht einfach nur „seine Sache gut“ machen. Das klingt wenig sexy, ist aber gar nicht so einfach, zumal dann nicht wenn die Konkurrenz groß ist. Ach!? Ja ich bin Pädagoge, da darf man das sagen. Wahrscheinlich sind es aber auch diese beiden Eliteformen, die man besser auseinander halten sollte: auf der einen Seite der soziologische Begriff, dem es um die Beschreibung von gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen und Reproduktionslogiken geht und auf der anderen Seite den normativ gemeinten Begriff der Elite, der Aussagen darüber macht, machen will, welche Einstellungen, Verhaltensweisen und Absichten gemeinwohlfördernd sind.

Nun weiß ich gar nicht wie ich enden soll. Vielleicht mit einer erfrischend Anekdote? Immer wieder muss ich schmunzeln über die Geschichte von Basti, der auf der BA-Abschlussfeier im gediegenen Steigenberger Hotel lauthals gesagt haben soll: „Ich tat es für Deutschland!“ Damit irritierte er seine Kommilitonen und die Professorenschaft nicht schlecht. Ja, sowas ist Selbst-Ironie, vielleicht ein ganz wichtiger Baustein in einem wie auch immer gearteten Elitekonzept.

Kopfkamera und Kunst

Vor einiger Zeit hatte ich Mailkontakt mit Johannes Vockeroth. Er experimentiert schon seit Jahren mit einer Art Kopfkamera. Das Thema find ich gerade aus Lernpersektive sehr spannend, weil die Perspektivität "erlebbar" und "reflektierbar" wird z.B. Einsatz in der Lehrerfortbildung (was sehen die Referendare denn wirklich, was sehen sie gerade nicht, bemerken sie das was sie sehen, wie unterscheiden sich die "objektiven" und erlebten Sichten von Referendaren und Dozenten)? Einsatzszenarien für Sport, Unternehmenskultur, interkulturelle Erziehung sind denkbar. Wer die Kamera mal sehen will und zwar im Kontext Kunst, der sei auf den folgenden Aufruf hingewiesen:

"Am heutigen Donnerstag Abend (28.02.2008) findet in der Pasinger Fabrik um 20:00 die Veranstaltung "KinoM BestOf KinoKabarett 2007" statt. Dort zeigen wir eine Auswahl der schönsten Kurzfilme, die letztes Jahr beim KinoKabarett in der Pasinger Fabrik entstanden sind. Unter Anderen "Cyborg Re-Calibration" mit der blickgesteuerten Kopfkamera sowie einigen Robotern der TU-München. KinoM ist eine der Jüngsten von weltweit knapp 50 Gruppen, die sich regelmäßig beim sog. KinoKabarett treffen, um gemeinsam meist innerhalb von 48h Kurzfilme zu produzieren. Wir freuen uns über jeden Besuch heute Abend. Mehr Infos zu Kino, KinoM, dem nächsten Kabarett im August, sowie die meisten Kurzfilme gibts unter http://www.KinoM.de"

didacta 2008

Gestern war ich zusammen mit Johannes Metscher und Marco Rosenberg auf der didacta in Stuttgart. Ich muss sagen, es hat mir sehr gefallen! Das war mal eine BILDUNGSmesse, zum Anfassen und zum Nachfragen, zum Ausprobieren aller möglichen Lernmaterialien von Musik (Trommeln, E-Schlagzeug), Sport (super cooles street surfing board), 1000 smartboards und was man damit machen kann, Holzspielzeug, Sitzgelegenheiten, Roboter und allerlei Elektrophysik, Mikroskope, Bücher etc. Da geht es zu! Morgens hatten wir einen Termin am BMBF Stand mit Herrn Heinen, um die aktuellen Entwicklungen im Tech Pi Projekt zu besprechen, danach noch ein interessantes Gespräch mit einem Kollegen vom Biber Projekt (Kindergarten), zwischen durch immer wieder jahrmarktartiges „Getöse“ von Kindern oder Gesangsgruppen. Überhaupt: viele Kinder, Jugendliche, Schüler …. und viele Lehrer. Also, in der Summe mal eine Erholung vom „e-Fokus“ in Richtung Lernen generell. Das macht den Blick frei … lernen geht auch ohne „e“. Obwohl … der Kindergarten tut es uns an, Bewegung + Sprache + Technologie? … ;-)

Wozu braucht man einen Multimedia Pool?

Mit Holger Krakowski verband mich die Oberstufe, das gemeinsame Sportstudium in Köln und einige Pendelfahrten ins Sauerland, wo wir beiden wohnten.  Auf der Suche nach Holger bin ich auf seine Projektrückschau gestoßen, die mich zum Schmunzeln gebracht hat: wer kommt auf die Idee, einen Whirlpool aus sportphysiologischer Perspektive zu untersuchen und darüber seine Dr.-Arbeit zu schreiben? Wer findet einen Pool-Hersteller, der das Ganze finanziert und an weiterführenden, vor allem nutzerzentrierten Innovationen interessiert ist? Ich sehe Holger's Augenzwinkern … Hier geht es zum Projektbericht

Pathologie der Reflexion

Ich erinnere mich an schöne Sommertage, an denen ich mit dem Fahrrad unterwegs bin. Wenn die Luft im Stehen flimmert, dann macht der kühle Wind während der Fahrt besonders Freude. Manchmal, aber nur manchmal, erwische ich mich bei der reinen Unvernunft, dann wenn ich die Augen schließe, den Kopf in den Nacken fallen lasse, die Hände vom Lenkrad nehme und sie in die Horizontale strecke, wenn ich die angenehme Kühle auf der Haut und den Wind in den Haaren spüre. Dann verschmelze ich für einen kurzen Augenblick mit der Situation, meine sonst so rege arbeitende Ich-Instanz macht die Augen zu, Beobachter und zu Beobachtendes fällt in Eins. Ich „erfahre“ mich. Erst im Nachgang stelle ich fest, wie dumm es war, einfach die Augen zu schließen, es hätte was passieren können, ein Hund , ein Auto, ein Stein. Doch dann werfe ich meiner Kontrollinstanz einen frechen Blick zu und sage: … es war schön und ich tue es wieder.

Warum schreibe ich sowas? Vor zwei Tagen hatte ich ein gutes Gespräch mit Alex Florian und Tobias Jenert über „den Hintergrund des Seienden“, also ein Gespräch quer Beet und gar nicht so schwer wie es klingt. U.a. haben wir über die Grenzen von Reflexionen im Hochschulkontext gesprochen. Gegenwärtig hat man ja den Eindruck, als ob die technologiegestützte Reflexion via Blog, Portfolio etc. die Erfindung des neuen Jahrtausends ist, mit dessen Hilfe „alles besser wird“. Mit Tobias war ich mir dann auch schnell einig, dass die permanente Anstiftung zur Reflexion bei Studierenden auch! kontraproduktiv sein kann, weil zu viele und andauernde Reflexionen lähmend wirken – in diesem Zusammenhang fiel das sicherlich nicht ganz passende Stichwort „Pathologie“, also für unsere Belange ein krankhaftes Bewusstsein, das gar nicht mehr in der Lage ist, „bei der Sache zu sein“ und sich „ganz auf die Sache“ einzulassen. Was heißt das? Es kommt vor, dass Studenten/Innen – gerade in den beschleunigten und verdichteten BA/MA Studiengängen berichten, dass sie allerlei Dinge machen, aber wenig erfahren haben. Trotz guter oder bester Noten, trotz einem Berg von Hausarbeiten und Referaten und universitären Projekten will sich eine tiefe Befriedigung, ein Gefühl von „gemachter Erfahrung“ und damit auch Gelassenheit nicht einstellen, warum nur? Ich weiß darauf auch keine schnelle Antwort, aber es hat, glaube ich, etwas mit dem zu tun, von dem ich eingangs berichtete: Haare im Wind und verschmelzen mit der Situation.

Mir schießt bei diesem Thema F. Nietzsche durch den Kopf, seine „Zukunft der Bildungsanstalten“ sind immer noch zeitgemäß, meine ich. Nietzsche beschreibt hier seine „Studentenzeit“: (…) Wir versetzen uns in mitten in den Zustand eines jungen Studenten hinein, das heißt in einen Zustand, der, in der rastlosen und heftigen Bewegung der Gegenwart, geradezu etwas Unglaubwürdiges ist, und den man erlebt haben muß, um ein solches unbekümmertes Sich-Wiegen, ein solches dem Augenblick abgerungenes gleichsam zeitloses Behagen überhaupt für möglich zu halten. In diesem Zustand verlebe ich, zugleich mit einem gleichaltrigen Freund, ein Jahr in der Universitätsstadt Bonn am Rhein: ein Jahr, welches durch die Abwesenheit aller Pläne und Zwecke, losgelöst von allen Zukunftsabsichten, für meine jetzige Empfindung fast etwas Traumartiges an sich trägt, während dasselbe zu beiden Seiten, vorher und nachher, durch Zeiträume des Wachseins eingerahmt ist. (…) [F. Nietzsche, dtv, 1988, 652f.] „Sich-Wiegen“, „zeitloses Behagen“, „Abwesenheit aller Pläne und Zwecke“ … das liest sich in der Tat wie aus einer anderen Zeit, vielleicht auch wie aus einer anderen Welt.

Nur, was hat das alles mit „Reflexion (2.0) an Hochschulen“ zu tun? Mit der Frage, ob wir heute technologiegetrieben zu viel und über wenig Ertragreiches reflektieren oder genauer, einen zu eingeschränkten Reflexionsbegriff haben, der die unterschiedlichen Qualitäten der Erfahrungen, die wir als Menschen! potentiell machen können, nicht berücksichtigt. Ich weiß auf diese Frage auch keine schnelle Antwort, mich interessiert erst einmal das Phänomen auch wenn es nur Einzelbeobachtungen sind. Was aber auffällt ist, dass junge Studenten/Innen heute mit überschwänglicher Euphorie mit der Idee der Selbststeuerung konfrontiert werden, alles unter dem gut begründeten Dach des Lebenslangen Lernens. Selbststeuerung greift im Kern auf die oben angesprochene Reflexion zurück, die wiederum (in der aktuellen Lesart) auf metakognitive Steuerungsprozesse fußt: Ziele setzen können, Lernprozesse alleine oder in der Gruppe beobachten und steuern, Lernziele bewerten und Schlussfolgerungen für das weitere Lernen ziehen können. Man merkt schnell: Die aktuelle Reflexionsdebatte mit dem metakognitiven Steuerungskonzept im Schlepptau läuft Gefahr einen Erfahrung-Begriff zu favorisieren, der wenig Raum für Vorsprachliches und Ästhetisches hat.

Vorsprachliches und Ästhetisches? Ja, sicher! Worin liegt dann aber der Wert, gar der „Bildungs“-Wert einer solchen Erfahrung, die nicht immer in Gänze der Reflexion zugänglich ist? Folgt man den phänomenologischen Analysen (z.B. Schmidt-Millard, 1995), so sind solche Erfahrungen nämlich „die eigentlichen Fundamente im Weltbezug und konstituieren ‚das leibliche Selbst‘.“

„Leibliches Selbst“: Ich bin noch nicht soweit, dass ich den Zusammenhang von Erfahrung, Reflexion und eben das genannte leibliche Selbst genau vor mir habe, aber ich bin zuversichtlich, dass die eingangs geschilderten „Sinneserfahrungen“ und die im Nachgang reflexiv-rekonstruierten ästhetischen Zuschreibungen etwas damit zu tun haben. Hier aber noch mal die Frage: was ist der Bildungswert? Der liegt wohl darin, dass ich sagen kann, ICH habe das ERLEBT, ich BIN das ERLEBTE, ich habe ES sozusagen „im Blut“. Damit wird eines klar(er): Wer das sagen kann, der hat ein Stück Gelassenheit gewonnen, einen STANDPUNKT. Ich meine, wer „feste Persönlichkeiten“ für ein einigermaßen hartes Arbeitsleben nach dem Studium heranbilden möchte, der kommt an diesen Standpunktfragen mit einem weiten Erfahrungsbegriff und entsprechenden Möglichkeiten in der Hochschule nicht vorbei. Dahinter steckt eine entsprechende Reflexionskultur, die bewusst auch außerreflexive Erfahrung zulässt und fördert, beispielsweise im Spiel oder der schöpferischen Arbeit. Dass das alles nicht so schwer ist wie es klingt, sollte weiter oben deutlich geworden sein: … „es war schön und ich tue es wieder“, darüber kann man ja mal ordentlich „reflektieren“.

Leartec 2008 – ich sehe „Bewegung“

Ich bin gerade auf der Learntec 08 und habe meinen Marsch durch die Shops hinter mir. Ich geben zu, ich bin übermäßig und vielleicht auch ungerechtfertigt skeptisch, wahrscheinlich wegen des Verkaufsmodus, der in der Luft liegt. Aber nun gut. Gegenüber 2007 ist mir noch kein Ausreißer aufgefallen, viele Plattformanbieter, rapid-learning, Simulationsangebote von der BW, Videoanwendungen jetzt auch auf dem Mobile, eine gut besuchte health care Ecke. Also, alles beim Alten? Nein!!! Es gibt was Neues, Nintendo ist da und ich habe zum ersten mal Wiisports gespielt. Das war klasse und ich war in der Tat verschwitzt. Verschwitzt??? Gar Muskelkater durch Medieneinsatz? Ja, die Bewegung ist eine neue Dimension hier in Karlsruhe, aber eben nur bei Nintendo. Ich habe die Betreuerdame am Ende gefragt, was ich nun denn gelernt habe. Sie hat den Scherz (l e a r n tec) gar nicht recht verstanden und versicherte mir: die Spielregeln. Also, bis jetzt war der Wii Bus (alleine das Format fällt auf, weg von den Ständen) der Höhepunkt.

Lehrertagung: Workshop in Dillingen

Am Fr/Sa waren wir in Dillingen auf der Lehrertagung „Netzwerkbildung und Wissensteilung – Schule als Learning Community“. Es waren aus meiner Sicht tolle und gut organisierte Tage, in denen eine Stimmung auf „mehr Community bitte“ aufkam. Für mich als Analogiefan war der Vortrag von Herrn Professor Doebli aus der Schweiz sicher das herausragende Ereignis – selten kommen Leichtigkeit, Witz und ordnende Botschaften so gut zum Ausdruck.

Da sich zu meinem Workshop (Schulsport 2.0) im Vorfeld wenig Begeisterung auftat ;-), wurde ich kurzerhand zu Herrn Rau eingeteilt. Man kennt Herr Rau von seinem Lehrerblog, mir spukt er mittlerweile als Marke im Kopf herum, ähnlich wie Puma oder Persil und nicht als normale Anrede für eine männliche Person, irre, alles „wegem! dem Internet“. Ich war angenehm überrascht, als ich ihn getroffen habe. Den Workshop selber (Wikis und Blogs) fand ich interessant, gerade wegen der Offenheit der Veranstaltung. So kamen wir auf recht viele Themen zu sprechen, angefangen von der Angstecke (Rechte, Gefahren etc.), über Unterrichtspotentiale und konkrete Umsetzungen bis zur Motivationsfrage, warum führe ich ein Blog. Mit meinem Minivortrag kam ich (für mich überraschend) gut „weg“. Der Zusammenhang von Sport/Bewegung und Reflexion bzw. auch Sprache liegt nicht auf der Hand. Recht wahrscheinlich werden wir nun auch im Kontext Schule einen Piloten anlaufen lassen können.

Fazit zur Veranstaltung: Mir ist vor allem wieder bewußt geworden, dass der ganze Web 2.0 Summs (damit meine ich im Kern technologiebasierte Veränderung der organsiationalen Lernarchitektur und des Lernprozesses) eines braucht: Zeit. Und genau diese finde ich in den gegenwärtigen Bildungsinstitutionen immer weniger. G8, Bologna sind nur Stichworte. Und an dieser Stelle empfand ich einen Vorschlag oder besser Erfahrungsbericht eines Lehrers sehr bemerkenswert. Er hat sich das Lehrplansoll in eine Projektstruktur umgeschrieben (8 Pakete) und hat in diese Projektstruktur die Bildungstechnologien eingebunden. Innerhalb dieser neuen Struktur konnten dann Prozesse wie "Schülerbegeisterung", "geringe Kontrollkosten", "Eigenmotivation", "Lehrer als Coach", "Produktorientierung", "lief alles wie von selbst" beobachtet werden. Ja, das "lief wie von selbst" hört sich gut an, was? Stimmt aber nur zum Teil, weil die Entwicklunsgkosten für die Konzepte groß sind, aber die Betriebskosten, eben die sind "fast gleich null". Deshalb: a) Mehr systematische Projektstrukturen im Unterricht (d.h. auch weniger Pflichtinhalte sondern Primat des Prozesses), b) Mehr Austausch von Unterrichtskonzepten auf genau dieser Projektbasis!, in diesem Sinne eine Wiederverwertbarkeit von Lern-Lernkonzepten. Ich meine, wenn man die Energiebillanz der Lehrer nicht im Blick hat – zentral im Blick hat – dann werden sich die neuen Technologien nie flächendeckend durchsetzen. Und wenn wir über den Einsatz der Technologien im Unterricht reden, dann könnte man das doch mal vor dem Hintergrund einer persönlichen "Energiebillanz" des Lehrers tun, d.h. Ressourceneinsatz (Zeit, Material, emotionale Energie etc.) und persönliche Gewinne (Zeit, Qualität, Selbst- und Fremd-Anerkennung, innere Gelassenheit) auseinanderhalten. Nur wer noch "Energiepunkte" frei hat und/oder sich auf baldige "Gewinne" freuen darf, wird sich auf die neuen Technologien nachhaltig einlassen.