Gestern Abend haben wir (Ökonomie und Bildung e.V.) unseren dritten und damit (vorerst) letzten Workshop zusammen mit der Hanns-Seidel-Stiftung durchgeführt. Unter der Leitfrage: „Ist die Ökonomisierung der Bildung ökonomisch?“ waren die Professoren Herrmann (TUM) und Mittelstrass (Universität Konstanz) eingeladen, also zwei über die Landesgrenzen hinweg bekannte Wissenschaftler, um über den speziellen Kontext „Universität“ zu diskutieren; Herr Dr. Spaenle (MdL), als geladener Vertreter der Politik, musste leider kurzfristig absagen. Die Zuhörerrunde war ebenfalls gut besetzt: Neben Staatsministier a.D. Goppel waren Vertreter aus Wissenschaft, Berufsverband (Recht, Psychologie) und Schule, Journalisten sowie Studenten und Studentenvertreter anwesend (insgesamt ca. 50 Personen). Beste Voraussetzung für einen spannenden Abend!
Nach Einleitung durch die Professoren Höfling und Böhle kam als erster Herr Prof. Herrmann, Präsident der TUM und Boardmember des neu gegründeten EIT, zu Wort: Er zeichnete die Idee und Realität „seiner“ TUM nach, wobei er insbesondere auf den Zusatz „unternehmerische“ Universität einging. Er plädierte für eine recht verstandende Ökonomisierung der Hochschule, weil eine verantwortungsvolle und auf Zukunft gerichtete Führung, ressourcen-, leistungs- und investitionenoientiert denken MÜSSE. Eine sich als Katalysator verstehende Universitätsleitung sei diesen Grundsätzen verpflichtet, will sie im Wettbewerb um die besten Köpfe der Welt die Nase vorn haben. Bei aller Liebe zur „Ökonomisierung“ – Herrmann spricht lieber in der Kategorie des unternehmerischen Denkens und Handelns – warnt er vor einer buchhalterischen Trivialökonomie: Vertrauen in die Leistungen der Mitglieder, 100% Freiheit in Forschung und Lehre, großzügige Intervalle zu einem gemäßigten Input-Output-Controlling, kurz: Man müsse wissen wie der Laden „tickt“, wissen wie Lehre und Forschung funkionieren, nur dann können man angemessen steuern oder in seinen Worten: katalysieren. Damit weist er indirekt darauf hinweißt, dass man Menschen nicht steuern kann wie chemische Experimente. Soweit zu Herrmann und seinen klaren Ausführungen zur unternehmerischen Universität.
Prof. Mittelstrass, der Vorsitzender der gleichnamigen Expertenkommission für das Wissenschaftsland Bayern 2020, erinnert in seinem Referat an die impliziten Voraussetzungen der wissenschaftlichen Arbeit: Freiheit, Wettbewerb, Transparenz und Strenge. Aufgehoben sieht er diese Konstitutionsmerkmale in einer äußeren wie inneren Autonomie, d.h. einem Schutz vor außeruniversitären Interessensübergriffen bei gleichzeitiger innerer Verpflichtung der Hochschulmitglieder zur redlichen wissenschaftlichen Arbeit. Er warnt eindringlich vor dem Verlust dieser Autonomien und markiert damit sein Verständnis einer nicht zu duldenen Ökonomisierung, z.B. hervorgerufen durch die Bologna-Reform mit ihren Gängelungen oder Hochschulräten mit Partikularinteressen. Er setzt letztlich auf Selbstregulation: „Wissenschaft muss mit Wissenschaft bekämpft (reguliert) werden“. Soweit eine knappe Skizze zu Mittelstrass.
Für mich war der gestrige Abend an vielen Stellen erhellend. Herrmann und Mittelstrass boten in ihren Referaten Reinformen, Sonderformen oder besser idealtypische Modelle an, wie man sich Universität denken (und in ihnen agieren) kann. Regulative Idee für Herrmann ist das Konzept des Unternehmertums, damit erzielt er Ordnung in den Binnenbereichen der Universität und nach außen zu Wirtschafts- und Politikpartnern sowie im schwierigen Grenzverkehr zwischen innen und außen. Wer kann bei Stichworten wie Leistung, Erfindungen, Zukunft und Nachhaltigkeit widersprechen? Das Ökonomische ist hier nicht Zweck, sondern bestenfalls Mittel für „innovative Lösungen“. Ansagen wie: „Die TUM hat nur drei akkreditierte Studiengänge, wir machen den Blödsinn nicht mit!“ zeigen die (potentielle) Macht von Universitätspräsidenten sich vom (quasi-ökonomischen) Mainstream zu distanzieren. Herrmanns Universitätsidee scheint von inneren und äußeren Widersprüchen frei zu sein, sicher auch deshalb, weil die unternehmerische Universität das Wohl der Organisation im Blick hat und das Wohl der Einzelperson nachrangig behandelt – die Verhältnisse sind geregelt. Aber zu welchem Preis? Vor den Türen Roms (der TUM) bleiben alle sitzen, die nicht leisten können oder … wollen.
Nun wäre es vollkommen falsch, die Position von Herrn Mittelstrass gegenüber dieser leistungs- und ergebnisliebenden Position abzugrenzen: Die regulative Idee von Mittelstrass ist die „Selbstbildung“ in der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Das hat nichts mit Selbstverliebtheit oder Träumerei zu tun, sondern fordert ebenfalls Leistung in Form von strenger Geistesarbeit ein. In der Folge wehrt er sich auch gegen irrige Vorstellungen, die Universität müsse der persönlichen Selbstverwirklichung, dem Eigenexperiment oder der Erziehung zur demokratischen Gesinnung dienen. Leistung ist bei Mittelstrass – im Gegensatz zu Herrmann – individuumzentriert, d.h. die Entwicklung der personalen Urteilskraft ist Zweck SEINER Universität.
Was hilft diese Analyse bei unserer Leitfrage, bei der Frage, wie die beiden Herren (als Modelle) mit der freiwilligen oder unfreiwilligen Ökonomisierung umgehen? Ich denke bei Herrmann wird deutlich, dass er die Ökonomisierung weniger als Schicksal, sondern als Gestaltungsfaktor empfindet und nutzt! Für Mittelstrass bleibt die Ökonomie letztlich ein gefährlicher Gegner, nicht der Buchhalter in der Verwaltung macht im Angst, sondern der auf Entpersonalisierung und bloße Verrechnung abstellende homo oeconomicus. Dieser wird zwar in ökonomieaffinen Begriffen wie „Evaluation“ oder „Qualitätssicherung“ lebendig, die Effekte die er mit sich bringt sind aber unökonomisch, weil sie die Grundlage der Universität (die angesprochenen Autonomien) zerstören.
Wie immer war die Diskussion an vielen Stellen schwindlig hoch, allein die Begriffe Autonomie, Kunde, Wettbewerb, Unternehmertum, Wissen und Wissenschaft führen nicht dazu, dass man die Sachen anfassen konnte (da war das Rollenspiel-Video-Intermezzo im Nachgang zu den Impulsreferaten wohltuend konkret :-). Die relativ vielen Rückmeldungen und Fragen der Zuschauer sowie freundliche und scharfe Antworten der Redner haben aber dazu beigetragen, dass einige Pflöcke in den Boden geschlagen werden konnten – die beiden Denkmodelle waren zwei davon.