Bologna und die Philosophie des Geldes

An einer der letzten Wochenenden war ich mit Gabi in Wien. Das Center of Teaching and Learning hatte zur Friday Lecture geladen und Gabi konnte dort ein Referat zum Thema Bologna und Studienreform halten (In die Freiheit entlassen?). Da ich diese Referate inhaltlich immer schon im Vorfeld kenne ;-), kann ich mich auf Rückmeldungen der Teilnehmer und weiterführende Gedanken konzenrieren.

Anstoß für einen eben dieser weiterführenden Gedanken gab das Koreferat von Herrn Hrachovec, der die Hauptverantwortung für das Bologna-Maleur bei der Politik sieht. Er sagte, da wurde "etwas" eingerissen, was Jahrhunderte aufgebaut wurde. Gabi pflichtete trotz ihres didaktischen Vorschlags bei: "Man kann politische Probleme nicht didaktisch lösen!"

Im Anschluss an die Veranstaltung, draussen auf der Bank in der heissen Wiener Luft kam mir ein Buch von Georg Simmel in den Sinn: "Philosophie des Geldes". Simmel geht es in diesem Aufsatz nicht um eine Finanztheorie i.e.S. (siehe hierzu den Beitrag von Backhaus), sondern darum, welche Probleme sich ergeben wenn von einer Tauschform zu einer anderen übergegangen wird (=Nivillierungsprozess).

Wikipedia schreibt hierzu: "Bei Simmel basiert der Wert eines Produktes anfänglich auf der subjektiven Wertschätzung. Mit steigender Komplexität der Gesellschaft wird dann der Tausch zur sozialen Gegebenheit. Um diesen Tausch zu vereinfachen, ist das Geld notwendig. Im Geld spiegelt sich der Wert der Dinge wider. In ihm treffen die Welt der Werte und die konkreten Dinge aufeinander: „Geld ist die Spinne, die das gesellschaftliche Netz webt.“ Es ist ebenso Symbol wie Ursache der Vergleichgültigung und Veräußerlichung. Indem jetzt alles mit jedem getauscht werden kann, weil es ein identischen Wertmaß erhält, findet gleichzeitig eine Angleichung (Nivellierung) statt, die keine qualitativen Unterschiede mehr kennt. Der Sieg des Geldes ist einer der Qualität, des Mittels über den Zweck. Es ist nur das wertvoll, was einen Geldwert besitzt. Somit findet eine Verkehrung statt. Am Ende diktiert das Geld unsere Bedürfnisse, es kontrolliert uns, anstatt zu entlasten und zu vereinfachen. Indem das Geld mit seiner Farblosigkeit und Indifferenz sich zum Generalnenner aller aufwirft, höhlt es den Kern der Dinge, ihre Unvergleichbarkeit aus.

Was hat das nun mit Bologna und seinen Folgen zu tun? Mir kam diese Simmel-Verbindung an der Stelle in den Sinn, wo von "ungeraden ECTS-Punkten" gesprochen wurde, also 1,5 ECTS… was steht dem gegenüber, was ist der Tauschwert? In dieser Logik: Input-Output-Verschiebungen von Kursangeboten zwischen den Fakultäten, feilschen um den Punktewert einer Veranstaltung etc. Die Bologna-Krankheit entsteht genau an dieser Stelle, durch die Schaffung einer formalen Währung (ETCS ist geldanalog), d.h. einer Formalisierung der Tauschprozesse. Formalisierung heisst Entkopplung von situativen Kontroll- und Regulativfunktionen. Am Ende fragt keiner mehr nach dem Unsinn von 1,5 ETCS, die Hochschulstrukturen werden so gestaltet (angepasst!), dass sie tauschkonform werden, das ist die eigentliche Tragödie.

Vielleicht lohnt sich hier eine systematischer Blick auf Simmels Philosophie des Geldes und ein Vergleich mit den Strukturen von Bologna, umzu verstehen, was uns mit Bologna abhanden gekommen ist, dieses „etwas“ vom dem eingangs gesprochen wurde. Vielleicht verstehen wir dann besser was wir tun können, um mit den Konsequenzen dieser neuen "Flexibilisierung" besser umzugehen.

Zweck der Veranstaltung: Catering

Am Mittwoch war ich mit Tamara Ranner in Bonn auf einer EU-Tagung (Monitoring zu unserem Projekt Driver Instructor Education 2.0). Wir beide haben viel gelernt, denn zum ersten Mal wurden systematisch die für die EU-Koordination relevanten Punkte angesprochen (Zwischen- und Endbericht/Finanzbericht). Wir haben uns an manchen Stellen gefragt, warum diese Veranstaltung nicht schon zum Beginn des Projekts angeboten worden ist, denn so hätten wir uns einige Irrläufe ersparen können. Wir nutzen diese Zäsur um die schon weit vorangeschrittenen Prozesse in unserem Projekt zu ordnen (Orientierung an den WP des Antrags) und uns nicht nur für einen möglichen Monitoring-Besuch, sondern grundsätzlich für den Abschlussbericht vorzubereiten. Ach ja, warum "Catering"? Eine der Verantwortlichen der Nationalen Agentur hat uns eindringlich gebeten, bei Belegen den Zweck der Veranstaltung zu notieren. Zu einer der bekanntesten Fehlern bei diesen Belegen für den EU-Finanzbericht gehört der lustige Titel: "Zweck der Veranstaltung: Catering". Sicherlich nur ein Freudscher Versprecher ;-).

Didaktiker haben keine Sprache

… so oder so ähnlich habe ich das vorgestern im Doktoranden-Kolloquium gesagt. Aber der Reihe nach. Im Kolloquium gab es zwei Redner: Silvia Sippel hat erste Grundlinien ihrer Arbeit vorgestellt, bei der es um den Zusammenhang von (didaktischen) Mustern und Assessement geht, gehen soll. Während sie zum Thema Assessement an Hochschulen aus dem Vollen schöpfen kann (siehe ihre Masterarbeit), ist der Link zu den Mustern noch relativ offen, was aber gar nicht schlimm ist. Sicher werden sich über die anstehende (online) Befragung spezifische Fragen an die ohnehin noch junge Musterforschung ergeben.

Im Folgenden hat Christian Kohls über SEIN Thema gesprochen: Muster! Zum Teil deckte sich das mit dem, was er bei e-teaching.org schon gesagt hatte. So stand seine Wanderanalogie über weite Strecken im Zentrum, weil sich an ihr das Konzept der Wirkkräfte besonders gut darstellen lässt. Mit seiner Erklärung haben wir gut verstehen können, dass es auf Seiten des Wanderers und der Landschaft sowohl negative als auch positive!! Wirkkräfte gibt. Im Kontext ergeben sich somit in Abhängigkeit vom Start- und Zielpunkt sehr unterschiedliche Lösungsoptionen.

Aber natürlich hatte Christian noch mehr im Gepäck: Angestachelt durch Gabis Esoterik-Vorwurf ;-) hat er das Konzept der Ganzheitlichkeit verteidigt. Für Christian ist Ganzheit/ Ganzheitlichkeit ein GestaltungsRAUM (Form), ein Modell, aber kein Prototyp! An dieser Stelle wurde es sehr interessant, denn hier ging es darum, wie Muster zu Mustern werden: durch Abstraktion? Nein, nicht allein, denn in der Abstraktion löst sich die Form auf, die Idee (= das Wesen) der Sache geht verloren. Leider war es zu diesem Zeitpunkt schon 17 Uhr, das offizielle Ende der Veranstaltung.

Ich weiß nicht, wie es den anderen gegangen ist, aber hier an dieser Stelle springt der Frosch ins Wasser (würde Ulrich Fahrner sagen). Ich meine, zu der Strategie der Abstraktion (impliziert die Dimension Granularität?) müsste noch ein zweites, komplementäres Prinzip hinzukommen: die Analogie, das analoge Prinzip? Christian und ich hatten früher schon einmal überlegt, ob Pattern Analogien sind. Christian argumentierte damals, dass es zwei Seiten derselben Medaille sind. Wenn das stimmt, dann müsste man fragen, ob diese beiden Seiten nicht unterschiedliche Beiträge/Qualitäten "zum Ganzen" einbringen können. Bei der Analogie unterscheidet man ja zwischen (a) Oberflächenähnlichkeit (was ist sichtbar gleich/ähnlich), (b) Funktionsähnlichkeit (Struktur/ Prinzip) und (c) dem analogen Zweck (Holyoak/ Thagard: Multiconstrainttheory). Vielleicht ist der Musterbildungsprozess sowohl durch ein Abstrahieren (Suche nach allgemeinen, dekontextualisierten Merkmalen) als auch durch ein Analogisieren (Suche nach spezifischen, re-kontextualisierten Merkmalen) gekennzeichnet! In dieser Form hätte man die beiden Anforderungen realisiert, dass nämlich didaktische Muster sowohl gestaltbar als auch gestalthaftig/ -gebend sind!

Gut, … und was war nun mit der Sprachlosigkeit der Didaktiker? Wir kamen immer wieder an den Punkt, dass die Übertragung von Gestaltprinzipien in den Kontext der Pädagogik, des Unterrichts schwierig ist. Was die gemeinsame Gestalt innerhalb einer Punktewolke ist, „sehen“ wir unmittelbar, die Wolke. Wie erkennt man aber eine gute Gestalt von Unterricht? Wie beschreibt man die Gestalt? In diesem Zusammenhang erwähnte Christian, dass es innerhalb der Informatik eine Mustersprache gibt, mit der sich Experten gut unterhalten können. Meine These war, dass es sowas in der Didaktik, genauer zum Unterricht, nicht gebe. Natürlich gibt es Methodenkataloge, Unterrichtsbeispiele, didaktische Taxonomien und auch erste Projekte zu didaktischen Mustern (meist im Bereich e-Learning). Wenn ich mich aber an mein Pädagogikstudium erinnere, dann wurde einer Unterrichtssprache (und jetzt kommt es) mit dem Fokus auf Kontext-, Problem- Lösungssequenzen wenig bis kein Raum gegeben. Stattdessen standen didaktische Modelle (Berliner/ Hamburger Didaktik), Bildungsphilosophie (Humboldt & Co.) und Fachdidaktik auf dem Plan, also eine Sprache ÜBER Unterricht. Mir ist dieser Unterschied wichtig: wir können einigermaßen gut über Unterricht und seine philosophisch-didaktischen Unter- oder Überbau sprechen, aber eine Sprache des Unterrichts, mit der Didaktiker (und die, die es werden wollen!!!) ihre Ideen, Konzepte, Lösungen austauschen können, geht uns ab. Sehe ich da was falsch? 

Erzählen mit Kindern und dem Sauerländer

Hedi Reinmann organisiert nun schon zum dritten Mal ein Kindererzählfest in der Stadtbücherei Wolfratshausen. Am 22. Juli treffen sich große und kleine Geschichtenfreunde im hoffentlich sonnigen Garten der Stadtbücherei, um selber Geschichten vorzutragen oder "dem Klute", so der Name des sauerländer Geschichtenerzählers, zu horchen. Ich freue mich wieder sehr auf den Tag: auf die Kinder, die meist sehr aufgeregt (und Stolz) ihre Geschichten vortragen und auf Klutes Jungen, ein Original. Hedi hat hier viel (mit Unterstützung der Bücherei) auf die Beine gestellt, denn man muss bedenken, vor ein paar Jahren war hier noch nichts zu sehen von einer Geschichtenwerkstatt oder einem Sommerfest. Und wie immer gilt: es ist schwieriger aus nix einen Punkt zu machen, als aus einem Punkt einen bunten Ballon. Im Übrigen hat uns dieses Jahr Christoph Kückner beim Plakat geholfen, ich meine es hat sich gelohnt! Wer mag und im Raum München wohnt, der ist herzlich zum Fest eingeladen :-). 

On-the-Job Coaching: Ambulante Pflege

Das Deutsche Rote Kreuz hat zum Jahresbeginn das Modellprojekt „Förderung der Managementkompetenz im Dienste der ambulanten Pflege“ gestartet (Projekt-koordination- und Leitung, Mario Heller). Zur Unterstützung und Verbesserung des Kompetenzerwerbs wird kein Lehrgang sondern das Lernen in und aus der Praxis ins Zentrum gestellt. D.h., die Teilnehmer werden im Rahmen eines acht monatigen Praxisprojekts durch begleitende Managementstrainings und übergreifende Führungskräfte-coachings dabei unterstützt, Kompetenzen on-the-job aufzubauen. Ghostthinker ist an diesem dreijährigen Projekt durch die Bereitstellung (ggf. didaktische Beratung) eines e-Portfolios-Systems (edubreakCOACHING) beteiligt.

Für mich ist das Projekt aus didaktischer Sicht deshalb sehr spannend, weil dahinter ein innovatives Modell (on-the-job-coaching) steht, was sich ggf. auch für andere Kontexte nutzen lässt. So kann ich mir gut vorstellen, dass sowohl in der sportbezogenen Managementausbildung als auch in der Fahrlehrer-weiterbildung sog. on-the-job-Formate (die man entwickeln müsste) hinsichtlich der Akzeptanz aber auch hinsichtlich des Wissenstransfers attraktiver sind als formale "Lehrgänge". Dies dürfte vor allem bei fortgeschrittener Expertise der Fall sein. Erst einmal aber gilt alle Aufmerksamkeit dem Projekt mit dem DRK. 

Teil und Ganzes

"Jede Arbeit beginnt. Und das wäre kein Problem, würde nicht der Beginn immer nur als Beginn von etwas einen Sinn machen. So setzt der Beginn immer schon das Ganze voraus. Also läßt sich nur mit dem Ganzen anfangen. Am Ganzen läßt sich zeigen, wo sein  Beginn ist. Wenn das Ganze bekannt ist, liegt sein Beginn in seiner Logik. Nur: Wie das Ganze bekannt machen, womit anfangen? Ausweglos! Vielleicht anders: Der Beginn ist das Ganze. Nur in nebulöser Form. Beim Durchschreiten vom Beginn an lichtet sich der Nebel. Der Beginn, der das Ganze ist, findet sich auf dem Weg durch die Arbeit. Das Ganze liegt im Beginn, implizit. Am Ende hat sich dieses Implizite offenbart." (Aus: Eine subjektwissenschaftliche Betrachtung der Softwareentwicklung)

Der „innerer Dialog“ im Sport

Gestern waren wir zusammen mit Marianne Kamper in Lübeck – eine sehr schöne Stadt! Der Deutsche Olympische Sportbund hatte zu einer Tagung aller Lehrreferenten der Spitzenverbände des Sports geladen. Zusammen mit René Stork vom DTTB habe ich Rede und Antwort zu unserem Projekt  Trainersausbildung 2.0 gestanden, dass wir im Rahmen eines Marktplatzes erstmals einem größeren Interessentenkreis vorstellen konnten.

Tatsächlich haben sich einige Verbandsvertreter unser edubreak-Konzept genauer angesehen und Interesse an einer Verwendung gezeigt, toll :-). Eine gute Unterhaltung hatte ich mit einer Vertreterin aus dem Bereich Schießen (Schützen): bei dieser Sportart geht es ja weniger um äußere Bewegungskorrekturen, was sich mittels Videokamera beobachten und kommentieren ließe. Vielmehr steht der „innere Dialog“ zwischen dem Athleten und der Zielscheibe im Zentrum. Mich interessieren diese Art Gespräche deshalb, weil damit ein neuer „didaktischer Fall“ (didaktische Intereraktion) beschrieben werden kann. Es geht dabei nicht nur um Schießen (Was ist das Besondere an diesem Fall?), sondern um die Frage, wie man einen inneren Dialog generell zwischen einem Akteuer und einer Sache, einem Modell oder fiktiven Dritten für die Ausbildung fruchtbar macht (Fall von was? Welche didaktischen Kategorien beinhaltet der Fall). Donald Schön hatte diesen Punkt in seinem Konversationskonzept diskutiert. Aber, wie bettet man den inneren Dialog in ein e-Learning Szenario ein, wie kann man es mit dem edubreak-Konzept verbinden? Was wird überhaupt bei diesem inneren Dialog reflektiert? Welchen Anteil hat das Sinnliche, der Körper bei dieser Reflektion? Wie passen Körper(wissen) und Reflektion zusammen? Welche Rolle spielt das Vorsprachliche? Das sind Fragen von früher (Pathologie der Reflexion), die nun aber in einem neuen und konkreten Licht erscheinen. Ich werde dem nachgehen.

Videoinstruktion zum Praxisstart

Punktlich zum Praxisstart in unserm EU-Projekt haben wir das einführende Instruktionsvideo fertig stellen können. Zusammen mit Schorsch Meier, Torsten Uhlig und Silvia Sippel vor der Kamera und Johannes Metscher als Schnitt- und Tonmeister (mit Unterstützung von Silvia) + Silvia/Frank als Kamerafrau/mann haben wir ein brauchbares Ergebnis hinbekommen (Dank der Szenenvorarbeit von Tamara Specht). Nachdem wir am 09. April ein Onlinetreffen mit allen EU Partnern via gotomeeting gemacht haben sind nun alle Partner "soweit" eingeführt: erste Videos wurden bereits hochgeladen und kommentiert. Nun gilt es die letzten technischen Hürden bei den Partnern vor Ort auszuräumen, damit wir uns ganz der Didaktik der Fahrlehrerausbildung widmen können. Und hierbei haben wir schon festgestellt: die Qualität der Videoreflexion ist maßgeblich von der Qualität des Videomaterials abhängig. Kurz: Reflexion lohnt nur dann, wenn etwas passiert ist. Logo, oder?

Virtueller Umzug und die „neue“ Uni

Seit 2001 bin ich Mitglied des Medienpädagogik Teams in Augsburg. Ich gehöre der ersten Generation an, also jener Gruppe (Adler, Häuptle, Warsitz etc.), die zur Jahrtausendwende mit Gabi die ersten Schritte in Richtung E-Learning und Wissensmanagement gehen konnten. In den letzten vier Jahren war ich der Uni Augsburg intensiv durch Forschungskooperationen und eher lose durch (unbezahlte) Lehraufträge verbunden. In jedem Falle war es eine gute Zeit, in der ich meinem Ziel des campusnahen Unternehmers recht nahe gekommen bin. Wie fruchtbar ein solches Modell sein kann, zeigt sich meines Erachtens gut im aktuellen EU-Projekt (Driver Instructor Education 2.0), bei dem Ghostthinker Antragsteller/Projektträger und die Uni wissenschaftilcher Partner ist. Leider ist es mir in diesen Jahren nicht gelungen, die Vision des campusnahen
Unternehmertums auch zu institutionalisieren. Was immer noch fehlt, ist ein Life-Cycle: Unternehmerisches Denken im Studium, finanzieller und ideeller Gründungssupport nach dem Examen und institutionalisierte Selbständigkeit in Campusnähe mit wechselseitiger Nutzung der Ressourcen Universität/ Wirtschaftsbetrieb. Nun gut.

Ab April 2010 werde ich meine Forschungsarbeiten an der Universität der Bundeswehr München verlegen und damit Augsburg als „virtuellen Standort“ verlassen. Den Wechsel nach München begrüße ich sehr, nicht nur, weil nach fast 10 Jahren ein neuer Anstrich notwendig wird, sondern auch, weil München eine vergleichbare Aufbausituation wie Augsburg 2001 bietet, d.h. eher familiär, intensiv und mit neuen Akzenten. Kontakte werde ich neben dem Lehrstuhl z.B. auch beim Center for Technology and Innovation Management suchen (An-Institut), in dem Ausgründungen mit Forschungsbezug laut website willkommen sind.

Dass diese eher kleine Campusuni den Namen „Bundeswehr“ im Titel trägt, stört mich solange nicht, wie Forschung und Lehre frei sind. Und das ist per Gesetz geregelt. Exotenthemen wie TechPi, Erzählkunst oder Musik werden bei uns also auch weiterhin gepflegt werden. Ich komme aber nicht umhin zuzugeben, dass ich in den letzten Monaten über den Zusammenhang von Universität und gesellschaftlicher Verantwortung intensiver nachgedacht habe; an einer „normalen“ Universität schläft man hier schnell den Schlaf des Gerechten. Was ist also die Legitimation für eine Universität der Bundeswehr? Wie Gabi es vorsichtig ausdrückt, indem man sich an der wissenschaftlichen Bildung von Offizieren für die zivile Laufbahn beteiligt? Wie Helmut Schmidt es vor Jahren gefordert hat, indem auch und gerade Offiziere eine wissenschaftliche Bildung benötigen? Beide Antworten glauben an das Potenzial „der Wissenschaft“ – für zukünftige Arbeitsfähigkeit einerseits und aufgeklärte Entscheidungen andererseits. Das glaube ich mangels Alternativen auch. Darüber hinaus bin ich der Überzeugung, dass wir „das Militärische“ im 21. Jahrhundert nicht auf Pfeil und Bogen verengen dürfen. Vielmehr werden sich die Aufgaben in den Bereich der humanen Sicherheit international ausdehen, d.h. mindestens Katastrophenschutz und Friedenssicherung integrieren. Das sind schwergewichtige Herausforderungen, auf die die aktuelle Politik nur stammlige Antworten gibt, … geben kann. Doch die Antworten wird uns keiner abnehmen; man kann sie verdrängen, relativieren oder gar nicht erst stellen. Mit dem Umzug nach München kommen sie in mein Bewusstsein und über diesen politischen Akzent bin ich mit 40plus ganz froh.

Emergenz ist, wenn mehr raus kommt als man reingesteckt hat

Ich bin der Einladung von Peter Baumgartner zur Forschungswerkstatt „Emergenz“ nach Wien gefolgt. Von Wolfratshausen zum Westbahnhof sind das gut 10 Stunden Hin und Rückfahrt mit der Bahn – es hat sich gelohnt!

Ich habe in der Vorstellungsrunde gesagt, dass ich von Emergenz so wenig Ahnung habe, wie von Plasmaphysik, also keine. Das stimmt nur halb: Ahnung habe ich tatsächlich keine, aber interessieren tut es mich und aus jedem Interesse entwickelt sich mit der Zeit eine Art von Halbwissen, das man mehr oder weniger geschickt in seinen Alltag einbringt. Die Forschungswerkstatt hat in dieses Halbdunkel wenn nicht die Erleuchtung, aber doch deutlich mehr Licht gebracht. Wesentlich dazu beigetragen hat der special guest, Herr Prof. Götschl von der TU Graz. Weißes Haar, tiefe, sonorere Stimme, leichtfüßiges Bewegen über die Fächergrenzen hinweg, ihm hört man gerne zu … und das muss man auch! Während der Forschungswerkstatt hat er sicherlich über 100 Beispielen erzählt, um Abstraktes am Konkreten zu erläutern. Dieses „Pendeln“ zwischen Konkreten und Abstrakten hilft bekanntlich sehr, Sachverhalte zu verstehen und das Gehirn bei Laune zu halten.

Was ich inhaltlich gelernt habe, lässt sich schwer in Sätze fassen. Es geht um eine Verschiebung im Denken: wenn sich statische Betrachtungen (und Urteile!) zugunsten eines Prozessdenkens verschieben, wenn Ursache-Wirkungs-Ketten zirkulären Betrachtungen weichen, wenn die Suche nach Stabilität durch die Suche nach „sensitiven Bedingungen“ abgelöst wird. Was da raus kommt ist idealerweise ein Gespür für Veränderungen, Spontanes, Unvorhersehbares. Das ist nur für Menschen attraktiv, die das Neue freudig begrüßen. Neu ist das, was es so vorher nicht gab. Im Bereich der Bildung nennen wir das „Neugier auf sich selbst“ im Bereich der Gesellschaft nenne wir das Innovation. Beides brauchen wir.

Mich hat das Menschenbild hinter der Emergenztheorie angesprochen. Primat des persönlichen Wachstum, eingebunden in eine soziale Gemeinschaft – das klingt gut. Während der Forschungswerkstatt wurde ich jedoch einen Zweifel nicht los: Was nutzt es, wenn wir uns (wieder mit einem neuen, vielversprechenden Ansatz) aufmachen, um die Bildungspraxis zu verändern. Auch emergenztheoretisch "fundierte" Pilotprojekte in Schule, Hochschule und Weiterbildung werden erlahmen (These). Warum? Weil Organisationen Emergenz (wenn sie nicht müssen) meiden, Emergenz ist destabilisierend und das kostet (zunächst). Herr Prof. Götschl wollte diesen Satz beim Abendessen nicht so stehen lassen, … gut. Aber warum gibt es dann so wenig wirklich Neues in Bildungsorganisationen? (Man betrachte die letzten 100 Jahre) Hier ein Laptop, da eine interaktive Tafel oder eine Reform. Wenn die Wissenschaftler weg sind, dann wird in der Regel wieder Unterricht wie eh und je gemacht. Herr Götschl würde sagen, das System stabilsiert sich auf einem niederkomplexen Niveau. Ich habe bei dieser Kritik nicht die Lehrer im Visier, sondern (ganz emergenztheoretisch) das System, die Struktur.

Nun will ich nicht pessimistisch enden, dafür gibt es keinen Grund, zumal die Emergenztheorie Hilfestellung bietet: Erstens gibt es zur Emergenz gar keine Alternative, wer (als Person oder Organisation) nicht kreativ evolutioniert, der stirbt, zweitens führt Emergenz zu mehr Möglichkeiten, z.B. in Form von Kompetenzen, das schafft Sicherheit und (Selbst)Vertrauen und drittens fühlt sich Emergenz einfach gut an, weil wir mit uns in Übereinstimmung sind. Aus dem Abschlusgespräch habe ich im Ohr, was Prof. Götschl auch angesichts verkrusteter Bildungspraxis gesagt hat: Einfach Machen! Die Wahrscheinlichkeit der (systemischen) Veränderung steigt mit einem guten und gelungenen Beispiel enorm an! Denn Nachfolger gibt es nur, wenn einer den ersten Schritt macht. … Ja, da er wohl Recht und dem folgt man auch ohne emergenztheoretische Schulung.