„Eierlegende Wollmilchsau“ – Anmerkungen zu Peter Baumgartners neuem Buch

Wer das neue Buch von Peter Baumgarten in den Händen hält weiß: Didaktische Vielfalt ist kein leichtes Thema: 26 Dimensionen mit 130 didaktischen Prinzipien, 133 didaktische Modelle mit fast 300 didaktischen Aspekten bündeln sich in einer dicken, 1,1 Kilogramm schweren „Schwarte". Allein der Leitbegriff Taxonomie hört sich nicht nach Vermit-tlungshilfe an. Überhaupt scheint es Baumgartner nicht um Vermittlungshilfen im engeren Sinne wie bei Hilbert Meyer zu gehen, … wer hier schreibt, hat etwas anderes im Sinn!

Ich muss gestehen, dass ich länger mit diesem zentralen Sinn, den „Schlüssel" zum Verständnis des Ganzen gerungen habe: Das liegt daran, weil Peter den Leser fast ohne Pause mit auf eine steile Bergtour nimmt, in dichter Folge werden abstrakte Begriffe und Konzepte eingeführt: Taxonomie, Rekon-struktionsebenen, Beschreibungsstufen, modelltheoretische Anmerkungen, Mustersprache, dimensionale Analyse etc. Ohne Vorwarnung oder Training kommt man garantiert aus der Puste. Gut, man sieht, wie da ein „didaktischer Orientierungsrahmen" anwächst, wie sich die didaktischen Ereignisse von der Mikroebene der unterrichtlichen Interaktion bis zur Makroebene der Studienprogramme oder internationalen Bildungssysteme ordnen lassen. Wie sich in dieser Ordnung didaktische Prinzipen wiederfinden, die sich zu Modellen und „Modellfamilien" verdichten. Zwischen drin immer wieder interessante Vertiefungen oder Exkurse, z.B. zum Designbegriff oder zur wissenschafts-theoretischen Fundierung (z.B. Habermas, aber auch Hartmann, Polanyi und Schütz). 

Aber nach all den interessanten Sachen und sicherlich für die didaktische Forschung innovativen Einsichten habe ich mich dennoch (!) gefragt: Worum geht es ihm? Wo liegt der versprochene „praktische Nutzen", der auf den ersten Seiten in Aussicht gestellt wird? Ich meine, dieser aufschließende Sinn findet sich im letzten Kapitel, bei seinen Explorationen, dort erfährt man, warum Peter seinem Buch den Untertitel „didaktische Vielfalt" gegeben hat.

Und das funktioniert so: Der Clou seines langen Weges besteht darin, dass er mit seinem didaktischen Orientierungsmodell, den o.g. Dimensionen, Prinzipien und Modellen, eine Heuristik entworfen hat, eine Art „morphologischer Kasten", mit der sich Unterrichtswirklichkeit nicht nur analytisch beschreiben lässt, sondern mit der man die Begrenztheit seiner persönlichen didaktischen Modellierung erkennen, kreativ aufbrechen und qualitativ erweitern kann. Dieser generische Anspruch ist – glaube ich – der Kern des Buches, darin liegt sein praktischer Beitrag für den Praktiker, darin liegt sein theoretischer Beitrag für die Didaktik als Wissenschaft.

Insofern – und damit greife ich nur eine Wendung von Flechsig auf (siehe Nachwort) – ist Peters didaktischer Orientierungsrahmen, in den man „alle" (S. 22) Unterrichtsmethoden einordnen kann und mit dem sich „unendliche viele" didaktische Szenarien entwickeln lassen, eine Art „eierlegende Wollmilchsau" (Flechsig, 1996). Ja, man kann das jetzt als Hybris belächeln, aber ich glaube, Peter ist genau mit diesem sportlichen Anspruch gestartet (er würde es so wohl nicht sagen), d.h. er wollte Grenzen überwinden und das ist auch gut so, denn nur wenn man nach „anspruchsvollen Zielen schießt" (S. 329) kommen Sprünge und keine Hüpfer heraus, die uns neue Marschrouten eröffnen.

Wild Duck oder besser: Exzellenz für alle!

Kurz vor Weihnachten bin ich im Internet über Gunter Dueck „gestolpert", soll heißen: ich kannte den guten Mann vorher nicht und beim Surfen bin ich dann beim re-publica Vortrag gelandet. Anfänglich fand ich den slapstickreifen Vortragsstil amüsant, viele „ähhhs", „ich will doch nur sagen" oder „verstehen Sie mich richtig". Aber das ist nur die Oberfläche! Inhaltlich bietet Dueck provozierende Kernthesen: (a) Die Dienstleistungsgesellschaft wird sterben und (b) ohne wirkliche Professionalität können wir einpacken. Nach dem Videovortrag habe ich mir zwei Bücher von ihm bestellt und zwischen den Jahren gelesen: In „Aufbruch" und „Empirische Philosophie" wird u.a. erläutert, wie sich Duecks das mit dem Niedergang der Dienstleistungsgesellschaft genau vorstellt. Zentral ist die Beobachtung, dass fast alle Arbeitstätigkeiten, ausgehend von der Landwirtschaft über die Industrie bis eben auch Dienstleistungen, vermessen werden können. Der Computer (das Intenet) schafft dann das, was in der Landwirtschaft einst der Traktor geschafft hat: Standardisierung und (finanzielle) Optimierung nehmen ihren Lauf. Am Ende dieser Entwicklung finden sich – so Duecks – zwei Klassen von Menschen wieder: Billigarbeitskräfte, die für 8,- Euro Lohn die Stunde (bestenfalls) einfache Tätigkeiten verrichten, und die Premiumklasse, die sich mit nicht-standardisierbaren Problemen für hohe Honorare verdingen. Man folgt Duecks an dieser Stelle nur unwillig, einerseits weil man in die aufblühende Dienstleistungsgesellschaft große Hoffnung steckt, andererseits, weil man das Endszenario vom Dump & Premium moralisch nicht akzeptieren kann. Aber seine Argumentation erscheint mir zwingend und durch viele Beispiele geerdet.

Einen „Ausweg" aus dieser schwierigen Situation (Existenz!) sieht er in einer radikalen Steigerung der Bildungsaktivitäten. Schulen seien aber – was ein Wunder – auf diese Herausforderungen nicht vorbereitet, dort würde man sich noch um den eindimensionalen Menschen bemühen, d.h. dort geht es primär um die Befüllung der mentalen Festplatte mit Fakten. Genau diese Faktenkompetenz sei aber nicht das, was in einer Gesellschaft der Professionellen (Wissensgesellschaft) gebraucht würde! Unter Professionalität versteht er das Zusammenspiel sehr unterschiedlicher Kompetenzen, wobei er nicht das Begriffsgerüst der wissenschaftlichen Diskussion aufnimmt, sondern unterschiedliche Ansätze wie Kreativität, Teamkompetenz, Willensbildung, Begeistung, Empathie, emotionale Kompetenz etc. „mischt", so wie es eben in der (Wirtschafts)Praxis gebraucht werde und wie es praktisch handhabbar sei. Obwohl ihm die Unterschiede der Menschen, deren Charakter und mentalen Vorlieben, sehr bewusst sind (in seinem Buch Empirische Philosophie unterscheidet er 16 Typen mit Untergruppen) pendelt sich das Bildungssoll doch irgendwo bei einem „entrepreneur" ein, der Probleme kreativ lösen, Teams empathisch leiten und Produkte/ Dienste mit guter „Perfomance"verkaufen kann. Vor dem Hintergrund dieser anspruchsvollen Zielfunktion misstraut er allen klassischen Bildungsinstitutionen. Vielmehr sieht er neue Bildungsmöglichkeiten „im Netz", die viel mit Video zu tun haben, dem neuen Leitmedium der jungen Menschen.

Was soll man nun davon halten, vom ehemaligen Chief of Technology (bei IBM) und Matheprof., von seinen Thesen zur Dienstleistungsgesellschaft, den Forderungen nach einer radikal anderen Bildung, dem „Aufbruch"? Die Analyse zur Dienstleistungsgesellschaft ist echt lesenswert, mir waren die Abhängigkeiten, (Optimierungs-)Mechanismen und Folgen vorher nicht so klar. Der Aufruf zu einer anderen Bildung (multiple Kompetenzen) ist von der Stoßrichtung nicht neu, neu ist die skizzierte Bedrohungslage und die geforderte Radikalität nach dem Motto: Wenn wir das nicht schaffen, gibt es sehr viele Verlierer. So bleibt Duecks Ansatz für mich unterm Strich "düster" (hmm, passt auch nicht so recht): einerseits weil er die Entwicklung in dunklen Farben zeichnen (ok, das ist die nüchterne Analyse), andererseits weil seine Vision von der neuen Bildung, der „Exzellenz für alle!", neben den Forderungen nach multiplen Kompetenzen (s.o.) und Netzinfrastruktur in der UMSETZUNGSperspektive dünn bleibt. Es fehlen Strategien für die JETZIGE Schule, die JETZIGE Universität oder aber Transformationsstrategien. Transformation? Machmal – so Duecks – ist es besser, wenn man ganze Teile eines Systems zerstört; dann, so sein mathematisches Kalkül, wird sich das System effizienter neu „einpassen".

Hmmm, ich verlasse Duecks Analysen und Visionen mit gemischten Gefühlen. Seine Bücher (es gibt noch mehr, eher philosophisch z.B. seine Trilogie) waren mir über Weihnachten und Neujahr ein ständiger Begleiter, auch ein paar Mails mit dem Autor selbst waren dabei. Aber trotz Düstergefühle: Ich nehme Vieles mit von diesem „Wild Duck", z.B. den Mut, das Nichtmessbare (vgl. unsere Vereinstagung, 2007) ins Zentrum aller Bildungsbemühungen zu stellen. Ein guter Start in das Jahr 2012.  

DOSB will Bildungsprozesse mit digitalen Medien fördern

Der organisierte und gemeinwohl-orientierte Sport ist mir wichtig, da mit und im Sport Bildungsprozesse stattfinden, die im "Kopfunterricht" nicht zu bewerkstelligen sind. Der Sport bietet eine eigene "Einflug-schneise" (so Martin Schönwandt) für Bildungsprozesse. Zusammen mit unserem Engagement der letzten fünf Jahre im Tischtennis (TTVN, WTTV, DTTB) zur Förderung der Trainerausbildung mit „2.0-Charakter", ergibt das einen schönen Hintergrund für ein aktuelles Projekt, was wir im Dezember 2011 (vorerst) abschließen konnten.

Die Ghotthinker haben den Deutschen Olympischen Sportbund e.V., immerhin die größte Personenvereinigung Deutschlands, dabei unterstützt, einen Verbundantrag aus der bmbf-Förderlinien auf den Weg zu bringen, bei dem es um Bildungsprozesse durch digitale Medien im organisierten Sport geht. Beteiligt sind sechs Institutionen, die je verschiedene Teilziele anstreben: So will sich z.B. der Deutsche Turner-Bund e.V. um die Entwicklung von innovativen Verfahren der Content-Produktion kümmern – eine Sache, die auch in Web 2.0-gestützten Lehrgangsformaten von hohem Interesse ist. Der Deutsche Tischtennis Bund e.V. möchte seine Erfahrungen der letzten Jahre im Bereich Blended Learning ausbauen und konzentriert  sich auf eher unspektakuläre aber bedeutsame Verbesserungen der Didaktik auf der Mikroebene, z.B. auf das Aufgabendesign im Verhältnis zu unterschiedlichen Lernwerkzeugen aus dem Umfeld des Web 2.0. Der Landessportbund NRW e.V. fragt in seinem Teilprojekt danach, welche Erfolgsdimensionen es bei Implementationsprozessen gibt, wenn man E-Learning „ganzheitlich" in Sportorgansiationen einführen und nachhaltig betreiben will. Hier gaben die Arbeiten von Euler und Seufert (Schweiz) wichtige Impulse zu einem integrativen Implemenations(vor)verständnis. Das Institut für angewandte Trainingswissenschaft e.V. in Leipzig will mit seiner großen Nähe zum Spitzensport und zur Gruppe der Berufstrainer/innen eine Professional Community aufbauen, um den Erfahrungsaustausch zwischen den Trainer/innen und den Betreuungsteams zu verbessern. Dabei spielt das Thema der Austauschsicherheit eine zentrale Rolle, denn Spitzensport bedeutet Wissenswettbewerb. Der DOSB selber möchte sich dem Aufbau eines Bildungsportals widmen, indem einerseits zentrale Informationen zu den Lehrgangslizenzen gemanagt werden, die wiederum der Qualitätssicherung der Lehre dienen; andererseits soll das Bildungsportal der zentrale und integrale Marktplatz aller Wissensressourcen und 2.0-Services sein, die aus den Teilprojekten entstehen. Der Professur für Lehren und Lernen mit Medien (UniBwM) kommt bei einer erfolgreichen Förderung die Aufgabe zu, Prozesse und Produkte zu evaluieren und das DOSB-Team bei Fragen rund um das Thema Lehren und Lernen mit digitalen Medien zu beraten, was einer wissenschaftlichen Begleitung gleichkommt.

Wie erwähnt, konnten die Ghostthinker in diesem Antragsverfahren unterstützend bei den inhaltlichen Planungen mitwirken und den Projektpartnern bei der Verschriftlichung der Anträge helfen. Mir selber hat dieser Coaching-Prozess mit vielen Online-Meetings sowie mit unterschiedlichen Partnern große Freude gemacht. Ein Dank geht an dieser Stelle an Wiebke Fabinski (DOSB), mit der ich in den letzten Monaten gut zusammengearbeitet habe. Kurzum: Vielleicht kann ich Beratung und Coaching 2012 weiter ausbauen. Gewollt war das schon immer.

Bieri zu Weihnachten

Ich war gestern nicht Weihnachtsgeschenke kaufen (wie geplant), sondern habe das neue Buch von Peter Bieri gelesen, heimlich, … ich habe es Gabi aus der Tasche stibitzt, die es von ihrem Mitarbeiter/innen zu Weihnachten geschenkt bekommen hat.

Das Buch trägt den schlichten und unzeitgemäßen Titel: Wie wollen wir leben? Darin enthalten sind drei Vorlesungen, in denen danach gefragt wird, WAS ein selbstbestimmtes Leben sein kann, WARUM Selbsterkenntnis wichtig ist und WIE kulturelle Identität entsteht. Das sind große Fragen, die man aus der Philosophie kennt, Bieri ist Philosoph. Aber die Art und Weise, WIE Bieri die Fragen entfaltet, sie "frag/würdig" werden lässt, wie er tastend (nicht belehrend) Antworten anbietet, zeigt, dass es ihm um eines geht: Bildung … und Bildung bei Bieri heißt: aufwachen, zu sich kommen, seine eigene „Stimme" finden. Stimme, eine schöne Metapher, weil das was mit Selbstausdruck zu tun hat, mit Resonanz, die entsteht, wenn ich mich zur Welt in ein BESTIMMTES Verhältnis bringe.

Das Buch liest sich mit Gewinn, wenn man die (intimen) Fragen für sich zulässt, die Bieri dem Leser stellt. Im Zentrum der ersten Vorlesung steht beispielsweise das Selbstbild. Warum ist einem z.B. Anerkennung so wichtig, warum beantworte ich einen Brief (eines Freundes) nicht, warum schäme ich mich für etwas. Bieri fragt an dieser Stelle eindringlich und hartnäckig, weil die Klärung dieser Fragen dazu führt, dass ich die Facetten meines Denkens, Fühlens und Wollens besser verstehe, dafür Gründe finde! Überhaupt scheint mir, dass es Bieri darum geht, Gründe zu finden, um aus der Ohnmacht (von innerer und äußerer Tyrannei) in den Zustand der Selbstständigkeit und zunehmender Selbstbestimmung zu gelangen. 

All das, was Bieri schreibt, ist nicht neu! Man kennt es aus dem Pool der Bildungsliteratur: Selbstbildung und auch die Rolle der Sprache bei Humboldt, Selbstbestimmung und Aufklärung bei Kant und vielen anderen. Aber die Frage, wie wir unser Leben leben wollen, ist und bleibt (überlebens)wichtig und wie so oft muss es erst persönlich oder global „knallen", ehe wir wieder auf schlichte Fragen hören.

Auf Unrecht aufmerksam machen

Vielleicht erwischt man sich hin und wieder bei dem Gedanken (gerade um Weihnachten), etwas mehr tun zu müssen gegen die großen Ungerechtig-keiten dieser Welt: Wasserarmut, Umweltverschmutzung, etc. Ich werde das Gefühl nicht los, dass da etwas grundlegend falsch läuft; gut Informierte können sogar Gründe nennen und Zusammenhänge erklären. Nur, reicht das?

Yes-Man gehen einen anderen oder zumindest ergänzenden Weg, der die Grenze des Rechtlichen und Ethischen oft überschreitet. Aber von welchem Recht und welcher Ethik sprechen wir? Andy Bichlbaum und Mike Bonanno geben sich als Vertreter offizieller Organisationen und lassen sich zu Tagungsreferaten oder Presseerklärungen einladen. Das sieht z.B. so aus: Als Pressesprecher eines großen Chemiekonzerns getarnt (siehe Bild), werden über 12 Millarden Dollar Entschädigung für die Opfer eines Chemieunfall in Indien versprochen, einem Unfall, der von eben diesem Konzern vor 20 Jahren verschuldet wurde. Obwohl der Fake ca. 2 Stunden nach Aussendung des Interviews im BBC-Sender (300 Millionen Zuschauer) aufgeklärt wird, ist den beiden eines gewiss: globale Aufmerksamkeit! Nun beseitigt man Unrecht nicht durch Aufmerksamkeit, aber das Unrecht scheut das Licht … Imgageschaden nennt man das heute und der hat sein direktes Korrelat im Börsenkurs des Unternehmens.  

Wer Lust hat, sollte sich die gute Stunde Zeit nehmen und sich den Film (hier auf arte) anschauen … im Übrigen ein toller Film für Schulen (Ethik, Religion, Wirtschaft, Sozialkunde etc.); die Schüler werden heftig diskutieren, … über Recht und Ethik … und was man tun kann, "um Weihnachten rum" und darüber hinaus.

Zurück zur Leichtathletik?

Nach meinem Sportstudium in den 90ern habe ich mich ca. drei Jahre damit beschäftigt, den Nachlass von August Kirsch aufzubereiten (unter Leitung von Prof. Quanz). August Kirsch war ein engagierter Sportfunktionär (und Hochschullehrer), der in den Nachkriegsjahren eine führende Rolle in der nationalen und internationalen Leichtathletik sowie im Nationalen Olympischen Komitee inne hatte. Die Arbeit hat mir damals große Freude gemacht, denn an dem, was jemand hinterlassen hat, kann man viel über Struktur und Aufbau seines Tätigkeitsfeldes lernen.

Am letzten Freitag nun war ich wieder "in" der Leichtathletik und zwar in Duisburg beim Leichtathletik Verband Nordrhein. Im Vorfeld hatte ich mit Herrn Birger Hense einen intensiven Austausch, wie man die edubreak-Didaktik und Technologie in der Trainerausbildung der Leichtathletik nutzen könnte. In einer kleinen aber guten ausgewählten Runde  konnte ich unseren Lösungsansatz vorstellen und in Kombination zu eher allgemeinen Antworten aus der DOSB-Studie ergab sich damit ein recht konkretes Bild, wie man Blended Learning in der Trainerausbildung betreibt. Ich war deshalb zufrieden, weil die Teilnehmer, die bisher mit dem „e" nichts oder wenig am Hut hatten, vor allem die didaktische Fundierung der Web 2.0-Technologie lobten, was mit ihren Vorstellungen einer modernen Lehrarbeit gut zusammenpasste. Nun geht das Ganze in die Mühlen der Verbandsgremien und wir werden 2012 sehen, ob wir einen Auftrag zur Einführung von Blended Learning auf der Grundlage von edubreak bekommen. Ich bin optimistisch.

34 Monate später

Am Mittwoch war ich auf der Dresdener TTD-Tagung, einem internationalen Treffen der Anbieter und Wissenschaftler rund um das Thema „Technologie + Fahrerschulung“, ca. 100 Teilnehmer waren vor Ort, gesprochen wurde deutsch/englisch mit luxoriösem Übersetzungsdienst. Referiert habe ich über Blended Learning 2.0 in der europäischen Fahrlehrerausbildung und Perspektiven in Richtung Weiterbildung mit Videoannotation. Leider konnte Tamara Ranner nicht dabei sein, die das Projekt ja wissenschaftlich „in den Händen hält“. Interessant war die Tagung für mich weil:

  • Ich genau im Januar 2009 auf der II. Dresdener TTD-Tagung von Anne Canel (EU-Kommissarin) den „Floh“ ins Ohr gesetzt bekommen habe, doch ein EU-Projekt zum Thema zu beantragen. 34 Monate später stand ich oben auf der Bühne und berichtete aus der Rückschau darüber, wie aus einem Floh ein (kleiner) Elefant wurde.
  • Ich mal wieder erleben konnte, dass zwischen einer wissenschaftlichen Evaluationstudie (Britta Lang, TRL, Transport Research Laboratory, GB) mit hoher methodischer Kontrolle auf der einen Seite und den berechtigten Interessen der „Praktiker“ nach Nutzwert auf der anderen Seite das Meer liegt. Nett ist es dann immer, wenn zur Versöhnung gesagt wird: „Wir müssen einfach noch enger zusammenarbeiten!“. Eine methodische Diskussion in Richtung Entwicklungsforschung gibt es hier nicht, da ist die Verkehrspsychologie zu sehr im methodischen Mainstream der Community verankert.

Querdenker nicht willkommen

"Eine neue Studie gibt Einblicke in die Innovationskultur von 200 Unternehmen mit einem erschreckendem Fazit. Wenn es darum geht, Innovation voranzutreiben, treten deutsche Unternehmen auf die Bremse. 70 Prozent aller Unternehmen kündigen Innovation zwar in ihren Hochglanzbroschüren an – konsequent umsetzen tun sie es aber nicht: Ideen werden totdiskutiert anstatt gefördert. Kreatives Denken ist unerwünscht, die Einhaltung von Regeln wird belohnt. Und statt Visionen mutig voranzutreiben, dominiert das Vollkasko-Denken: Fehler vermeiden um jeden Preis." (Quelle via Grabmeier)

Na ja, wundern tut mich diese Aussage nicht, wer will schon einen QUERdenker in den eigenen Reihen haben, der liegt begrifflich nahe am QuerTREIBER, oder? Wahrscheinlich bemühen wir auch seit Jahren mit dem "Querdenker" die falsche Metapher um Menschen zu bezeichnen, die Innovationen im Unternehmen vorantreiben, d.h. Inventionen durch Kommunikation und Teamgestaltung begünstigen, Hindernisse gleich welche Art mutig aus dem Weg räumen, nicht müde werden, eine flüchtige Idee schrittweise dingfest zu machen und institutionell zu verankern. Wie bezeichnet man diese Menschen?

Abstimmungsprozesse und die Rolle des Körpers

Für einen Sportwissenschaftler ist die Beschäftigung mit dem Körper etwas völlig normales, klar, man kann keinen Doppelpass ohne ihn ausführen, er ist grundlegend für medizinische Untersuchungen und für Sport-pädagogen ist Körperbildung ein wichtiger Begriff. Warum beschäftigen sich aber Soziologen mit dem Körper?

Im neuen Buch von Fritz Böhle und Margit Weihrich geht es darum, welche Rolle die „Körperlichkeit und Leiblichkeit in sozialen Abstimmungsprozessen spielen“ und wie man die körperlich-leibliche Dimensionen für eine Theorie sozialen Handelns nutzen kann. (vgl. S. 7.) Ich habe das Buch nun zur Hälfte gelesen, wie gewohnt ausgehend vom Literaturverzeichnis, von der Einleitung zum Abschlusskapitel und noch ein paar Beiträge mittendrin. Ich kann nur sagen: sehr interessant was da steht und für jeden zu empfehlen, der Interesse an Themen hat wie: „kollektive Intentionalität“, „soziale Praxen“, „Situierung“ oder „empraktische Kommunikation“.

Besonders Interessant fand ich den Beitrag von Frau Figueroa-Dreher zu Abstimmungsprozessen im Free-Jazz! Man fragt sich: Wer stimmt hier was und wie ab? Es gibt ja per Definition im Free Jazz keinen Plan, kein vorab definiertes Thema! Free steht irgendwie im Widerspruch zu Plan, oder? Die Autorin sagt hierzu: „Für Free-Jazz Musiker bedeutet es zunächst einmal, sich mit den eigenen Klängen auf die Klänge der anderen zu beziehen“ (S. 202) … dabei spielen Wiederholung (Repitition) und Nachahmung (Imitation) eine wesentliche Rolle in der gegenseitigen „Bezugnahme“ und Musterbildung. Die Spieler stimmen sich also nicht ab zu einem vorab definierten Masterplan, einem Orchesterleiter, der den Takt bzw. eine Ordnung vorgibt, sondern die Abstimmung ist relativ zu jedem Einzelspieler, es geht um den Prozess des Ordnens, wobei das flüchtige Produkt (Musik) ästhetischen Ansprüchen der Spieler selber genügen muss. Fehler oder Mißveständnisse im Abstimmungsprozess müssen dabei keineswegs „ästhetisch wertlos“ sein, … auch ein interessanter Aspekt.

Recht nah an unseren Arbeiten sind die Artikel von der Sozialwissenschaftlerin Stefanie Porschen sowie den Sportpädagogen Alkemeyer/Brümmer/Pille (Pille, cooler Name). Beide Artikel beschäftigen sich mit körperlichen Abstimmungs-prozessen im Bereich der Industrie (Fahrzeugbau, Indistrievorarbeiter etc.), beziehen theoretische Perspektiven z.B. von Bourdieu ein und arbeiten beide mit Videoanalysen, in denen Abstimmung bzw. Koordination durch empraktische Kommunikation und/oder Körpersprache analysiert wird. Praktisch sieht dies z.B. so aus, dass der Vorarbeiter komplimentär zu seinen (unvollständig) verbalen Äußerungen, auf die relevanten Dinge/Objekte zeigt, seinen Körper zur Anschaung des Gemeinten „ins Spiel bringt“ und auch Sprachbilder verwendet. Mit unvollständigen Sätzen ist gemeint: „Wenn hier zum Beispiel kommt diese Federbandschelle hier … kannst du so auch arbeiten oder nicht?… weil du Winkel hast und das ist ja auch.“ (S. 244). Das Gemeinte versteht man wohl erst, wenn man diese Halbsätze in Kombination mit dem Körpereinsatz wahrnimmt. „Wahrnehmung“, überhaupt ein leitender Begriff im Buch, denn den Autoren geht es dabei nicht nur um „Rezeption“, sondern darum, körperliche Wahrnehmung als erkenntnisleitendes Verfahren oder gar als Forschungsmethode (Pieper/ Clenin) zu begreifen.

Fazit: Wer sich neben der diskursiven Koordinierung auch für empraktische Kommunikation interessiert, bei der der Körper eine zentrale Rolle spielt, für den ist das Buch was! Für Medienpädagogen und -Didakiker ist sicherlich herausfordernd, wie ein solcher Körperbezug und die damit verbundenen Koordinationspotenziale mit den digitalen Medien verbunden werden können.

Systemische Produktinnovation, … wie kommt man auf sowas?

Seit ca. fünf Jahren beschäftigen wir uns bei Ghostthinker und an der Universität mit den technischen wie didaktischen Potenzialen der Videoannotation, also der webgestützten, zeitmarkengenauen Anreicherung von Videomaterial mit Informationen. Eine zentrale Säule dieses Ansatzes sind unsere Arbeiten im Bildungsbereich: Sporttrainerausbildung, Fahrlehrerausbildung, aktuell auch Musikausbildung und allgemeine Berufsbildung. Nun haben wir den Bereich Wissens- und Innovationsmanagement "in Angriff" genommen (auch da geht es ums Lernen) und uns auf ein spezielles Ziel konzentriert: die Kollaboration in Projektteams. Ausgehend von einer aktuellen BMBF-Ausschreibung haben wir uns von der Begrifflichkeit der „Systemischen Produktinovation“ anregen lassen und eine Forschungsnotiz verfasst (download hier), die sowohl eine erste theoretische Einordnung, als auch eine praktische Perspektive zur Umsetzung aufzeigt. Ich bin sehr gespannt auf dieses Projekt und auf die Erfahrungen, die wir in diesem neuen Bereich sammln werden.