Wer heutzutage einen Artikel in einer wissenschaftlichen Zeitschrift schreiben möchte, der/die muss sich an eine „genderneutrale Sprache“ halten, d.h. artig von „Leser und Leserinnen“ oder „LeserInnen“ sprechen. Wer meint, das könne man durch Varianten wie z.B. „Studierende“ umgehen, der hat sich getäuscht: auch hier muss man zwischen „der/die Studierende“ unterscheiden. So ist das hierzulande im Allgemeinen und bei den Nachbarn in Österreich und in der Schweiz insbesondere, da achten Argusaugen drauf.
Ich muss gestehen, dass mir diese „Leseflussstörer/innen“ noch nie gefallen haben, eben aus dem Grund, dass da irgendetwas unrund läuft, wenn ich den Satz lese. Nun sagen die GralshüterInnen der genderneutralen Sprache, dass es ungemein wichtig sei, so zu verfahren, denn: Sprache sei ganz dicht mit Handeln gekoppelt; eine genderneutrale Sprache würde daher Stigmatisierungen, Asymmetrien oder andere Ungerechtigkeiten im genderbezogenen Handeln vermeiden helfen.
Aber in welcher „Umwelt“ gilt dieser Satz? Er gilt auf jeden Fall für Gesellschaften, in denen z.B. Frauen nichts zu sagen haben, sie auf der Bildfläche von Ehe, Politik, Bildung und Wirtschaft nicht oder nur im geringem Umfang auftauchen bzw. geduldet werden. DORT provoziert das kleine „innen“ oder eine Drin das Denken, erweitert (unter günstigen Umständen) den Spielraum für Frauen, da entsteht eine neue Wirklichkeit, die man unter „aufgeklärtem“ Gesichtspunkt als besser bezeichnet.
Nun ist der Ort des Geschehens aber nicht Saudi Arabien, sondern Deutschland, dort wo wir seit Jahren einen weiblichen Bundeskanzler haben, dort wo es weibliche Piloten gibt, die sogar Kampfjets fliegen, dort wo wir anfangen (offenbar ist das schwerer) darüber nachdenken, Wickelräume für Männer einzurichten. Brauchen wir in einem solchen und in dieser Hinsicht offenbar reiferen Land das putzige (als Frau ginge ich auf die Barrikaden) Drin oder andere genderneutralisierende Sprachhinweise? Kann es vielleicht sein, dass DIESE Maßnahme in DIESEM Land sogar kontraproduktiv ist?
Was wäre, wenn wir die wertvolle Energie für eine genderneutrale Sprache in Maßnahmen lenken, die sich um echte, ja echte Sprachgewalt kümmern: Dort auf den Schulhöfen und in den S-Bahnen tun sich Jungen und Mädchen mittels Sprache subtil und nackt Gewalt an und zwar in einer Art und Weise, die ich hier nicht wiederholen will. Ist das nicht der Ort, an dem wir jungen Menschen helfen müssen, sprachgewaltig und sprachmächtig zu werden, im besten Sinne des Wortes, mit qualitativ neuen Ideen von Aushandeln und Durchsetzen, jenseits von (Männer)Gewalt und (Männer)Macht?