Wer das neue Buch von Peter Baumgarten in den Händen hält weiß: Didaktische Vielfalt ist kein leichtes Thema: 26 Dimensionen mit 130 didaktischen Prinzipien, 133 didaktische Modelle mit fast 300 didaktischen Aspekten bündeln sich in einer dicken, 1,1 Kilogramm schweren „Schwarte". Allein der Leitbegriff Taxonomie hört sich nicht nach Vermit-tlungshilfe an. Überhaupt scheint es Baumgartner nicht um Vermittlungshilfen im engeren Sinne wie bei Hilbert Meyer zu gehen, … wer hier schreibt, hat etwas anderes im Sinn!
Ich muss gestehen, dass ich länger mit diesem zentralen Sinn, den „Schlüssel" zum Verständnis des Ganzen gerungen habe: Das liegt daran, weil Peter den Leser fast ohne Pause mit auf eine steile Bergtour nimmt, in dichter Folge werden abstrakte Begriffe und Konzepte eingeführt: Taxonomie, Rekon-struktionsebenen, Beschreibungsstufen, modelltheoretische Anmerkungen, Mustersprache, dimensionale Analyse etc. Ohne Vorwarnung oder Training kommt man garantiert aus der Puste. Gut, man sieht, wie da ein „didaktischer Orientierungsrahmen" anwächst, wie sich die didaktischen Ereignisse von der Mikroebene der unterrichtlichen Interaktion bis zur Makroebene der Studienprogramme oder internationalen Bildungssysteme ordnen lassen. Wie sich in dieser Ordnung didaktische Prinzipen wiederfinden, die sich zu Modellen und „Modellfamilien" verdichten. Zwischen drin immer wieder interessante Vertiefungen oder Exkurse, z.B. zum Designbegriff oder zur wissenschafts-theoretischen Fundierung (z.B. Habermas, aber auch Hartmann, Polanyi und Schütz).
Aber nach all den interessanten Sachen und sicherlich für die didaktische Forschung innovativen Einsichten habe ich mich dennoch (!) gefragt: Worum geht es ihm? Wo liegt der versprochene „praktische Nutzen", der auf den ersten Seiten in Aussicht gestellt wird? Ich meine, dieser aufschließende Sinn findet sich im letzten Kapitel, bei seinen Explorationen, dort erfährt man, warum Peter seinem Buch den Untertitel „didaktische Vielfalt" gegeben hat.
Und das funktioniert so: Der Clou seines langen Weges besteht darin, dass er mit seinem didaktischen Orientierungsmodell, den o.g. Dimensionen, Prinzipien und Modellen, eine Heuristik entworfen hat, eine Art „morphologischer Kasten", mit der sich Unterrichtswirklichkeit nicht nur analytisch beschreiben lässt, sondern mit der man die Begrenztheit seiner persönlichen didaktischen Modellierung erkennen, kreativ aufbrechen und qualitativ erweitern kann. Dieser generische Anspruch ist – glaube ich – der Kern des Buches, darin liegt sein praktischer Beitrag für den Praktiker, darin liegt sein theoretischer Beitrag für die Didaktik als Wissenschaft.
Insofern – und damit greife ich nur eine Wendung von Flechsig auf (siehe Nachwort) – ist Peters didaktischer Orientierungsrahmen, in den man „alle" (S. 22) Unterrichtsmethoden einordnen kann und mit dem sich „unendliche viele" didaktische Szenarien entwickeln lassen, eine Art „eierlegende Wollmilchsau" (Flechsig, 1996). Ja, man kann das jetzt als Hybris belächeln, aber ich glaube, Peter ist genau mit diesem sportlichen Anspruch gestartet (er würde es so wohl nicht sagen), d.h. er wollte Grenzen überwinden und das ist auch gut so, denn nur wenn man nach „anspruchsvollen Zielen schießt" (S. 329) kommen Sprünge und keine Hüpfer heraus, die uns neue Marschrouten eröffnen.