Mit dramatischen Worten leitete Rolf Schulmeister seine key-note auf der diesjährigen GMW Tagung ein: „Es ist nicht fünf Minuten vor Zwölf, sondern 24 Stunden danach“. An sich hätte er seinen Vortrag hier abbrechen können, denn wenn der Zug einmal abgefahren ist, dann hilft nichts mehr, oder? Aber es gibt wohl noch Hoffnung.
Schulmeister ging in seinem Vortrag weit zurück in die deutsche Geschichte der Bildungsinstitutionen, ins späte Mittelalter, als die ersten Universitäten gegründet wurden. Auf dieser Grundlage skizzierte er die Gründungen von Technischen- oder Polytechnischen Hochschulen im 18. und 19 Jh., die meist aus einfachen Bau- oder Ingenieursschulen hervorgegangen waren. Addiert man die Neugründungen im Bereich der Fach- und Privathochschulen gerade im 20. Jahrhundert hinzu, dann zeigt sich aus seiner Sicht eine Art „Invasion“ der beruflichen Bildung und zwar im Innenhof des akademischen Himmels. Was davon zuhalten ist, wird in Schulmeisters knappen Fazit deutlich: „Anti- Universitäten“, „Coffee-Management“, „amerikanische Verhältnisse“ … mit diesen Stichworten bewertet er die aktuellen Bildungsblüten. Man mag über Schulmeisters „Auszählwut“ an manchen Stellen schmunzeln (einige seufzen), aber der Analyseteil ist doch beeindruckend, gerade weil er einen Zeitraum von 800 Jahren umfasst und damit die Augen für „verborgene Entwicklungen“ oder „Wellen“ wie er selbst sagt, öffnet. Nun kann man über den Analyseteil erst mal in Ruhe nachdenken. Dabei sollte man sich aber fragen, ob die berufliche Bildung IMMER zu Formen der Verflachung führt oder ob darin nicht AUCH eine Chance liegt, über einen zeitgemäßen Bildungsbegriff nachzudenken, der das „erfahrungsgeleitete Handeln“ – also berufliche und körperliche Perspektiven – produktiv integriert (Böhle, Fritz: Kann die höhere Bildung von der beruflichen Bildung lernen? BWP, 2/2010).
Neben diesen key-note gab es eine Reihe weiterer interessanter Eindrücke und Impulse für mich, die natürlich immer selektiv sind, z.B. Peter Baumgartners Versuch, eine didaktische Taxonomie herzuleiten. Der Ordnungsvorschlag ist in der aktuellen Form noch abstrakt und ich sehe noch nicht das heuristische Potenzial, das Peter dem Zuhörer verspricht (= Periodensystem aus der Chemie). Peter untermauert seine auf Flechsig aufbauende Arbeit mit Arbeiten zur Ontologie (Hartmann, Polanyi) und flankiert diese mit Theorien zur Emergenztheorie. Ich tue mir noch schwer mit diesen Geschützen und ich bin mir unsicher, ob der Anspruch dieser Taxonomie an hochtheoretischer Fundierung einerseits und praktischem (heuristischem) Nutzen für das Design mediengestützten Lernens andererseits unter EINEN Hut zu kriegen ist. Die Frage ist: Muss man sich hier zwischen einer handlungspraktischen Designlogik (Reinmann) und einer systematischen Ordnung (Baumgartner) entscheiden? Anders herum war Peters Beitrag einer der wenigen (die ich ausmachen konnte), der sich explizit einer Theoriearbeit zugewandt hat, was ich für eine wissenschaftliche Tagung ganz passend finde ;-).
Neben den skizzierten Vorträgen hat mich auch das Format „Learning Cafe“ und hier insbesondere der Thementisch von Tom Sporer interessiert. Tom und Mitstreiter hatten einen Artikel geschrieben, in dem das Konzept des Dialogs (in Abgrenzung zum Diskurs) skizziert ist. Am Thementisch wurde darüber diskutiert, wie ein ideales Tagungsprogramm mit virtueller Phase und Präsenzblock aussieht. Ich habe die Unterhaltung zum Dialog aber später mit Tom führen können, wobei wir das Potenzial von Metaphern als Container (Isaack W.) in den Blick genommen haben, was Spaß gemacht hat.
Schließlich konnten Jojo und ich noch Dominik Petko sprechen, der ein Poster im Lichthof betreute. Der Austausch mit Dominik war aus zweifachen Grund wichtig: Erstens haben wir uns über die Videoannotierung bzw. visuelle Verlaufsmuster unterhalten und wie man diese didaktische Neuerung am besten in einem wissenschaftlichen Artikel beschreibt ;-), und zweitens konnten wir ihm unser edubreak Projekt auch mal live zeigen. Hier gibt es viele Bezüge zu den Video-Arbeiten von Dominik und vielleicht ergeben sich neue Kooperationschancen mit den Schweizern.
In der Summe haben mir die zwei Tage in Zürich sehr gut gefallen, wegen des schönen Ortes, der zum gemeinsamen Nachdenken einlädt, der interessanten Menschen und Projekte, die man angetroffen hat und auch deshalb, weil eine Abwechslung zur „gemeinen Arbeit“ einfach gut tut.