Gestern war ich seit langer Zeit mal wieder Teilnehmer in Gabis Doktoranden-Kolloquium. Thematisch ging es um die „Entwicklungsorientierte Bildungsforschung", so wie Gabi Reinmann und Werner Sesink es in bewusster Ergänzung zur empirischen Bildungsforschung nennen. Nach Besprechung von drei aktuellen Texten der Entwicklungsforschung (Einsiedler, Euler, Reinmann) kam mir die Aufgabe zu, die Entwicklungsarbeiten zu edubreak (Videoannotation in unterschiedlichen Kontexten) in einem Impulsreferat vorzustellen. Ich hatte mich dazu entschieden, die edubreak-Ereignisse chronologisch zu ordnen und möglichst nah am Phänomen darzustellen. In der Konsequenz habe ich daher ganz offen davon gesprochen, dass z.B. die Idee zur Einführung der Videoannotation im Sport zum ersten Mal bei einem Bier mit Kollegen Markus Söhngen vom TTVN formuliert wurde. Im Fortgang ging es um konzeptionelle Aufbauarbeit, um erste technische Prototypen, die wieder verworfen und durch neue ersetzt wurden, um erste Praxisanwendungen mit „leichtgewichtigen" Evaluationen (s.u.), um x-fache Redesigns von Didaktik und Technologie, um Erweiterungen organisationaler Elemente, um die Ausweitung in neue Kontexte mit neuen Anforderungen, theoretischen Vorschlägen und entsprechenden technischen und didaktischen Anpassungen, um Ordnungsversuche dessen, welche Kategorien beim Einsatz von Video + Annotation relevant sind und wie die unterschiedlichen Entwicklungs- bzw. besser Evolutionspfade untereinander „kommunizieren" und einen reichen „Genpol" an didaktischem, technischem und organisationalem Know How (Erkenntnis?) zum Thema bilden.
Es ist immer schwer abzuschätzen, ob eine solche „rohe" Entwicklungsgeschichte die Erwartungen der Zuhörer trifft, … aber darum geht es ja auch gar nicht. Am Ende habe ich die Frage gestellt, ob DAS Entwicklungsforschung sei, ob die Teilnehmer also in dieser edubreak-Geschichte diejenigen Kriterien wiedererkennen, die ihnen in den theoretischen Texten zur Entwicklungsforschung geläufig sind. Grob gesprochen waren die Rückmeldungen zweigeteilt: Die eine Seite erkannte durchaus einige Kriterien wieder: Problemorientierung, Zusammenarbeit mit Praxispartnern, mehrere Iterationen, begleitende „Forschung" (da komme ich noch drauf), Präsentation in der Fach-Community, letztlich Lösung eines Bildungsproblems. Die andere Seite erkannte diese Kriterien unscharf in der unsystematischen (da phänomenorientierten) Darstellung, tat sich zudem mit dem Merkmal „Forschung" schwer, womit wir beim Punkt sind :-).
Was ist also die „Forschung" innerhalb der Entwicklungsarbeit? Etwas Eigenes, Getrenntes? Also erst entwickeln und dann z.B. richtig (!) evaluieren? Explizierung aller Entscheidungen innerhalb der oft impliziten, rekursiven (chaotischen) Entwicklungsarbeit? Theoretische Fundierung und „saubere" Ableitung der Annahmen, Fragestellungen und Ziele? Hier springt der Frosch ins Wasser, würde Ulrich Fahrner sagen.
Mir selber geht und ging es gestern deswegen gar nicht um die Frage, wie man die Arbeiten um edubreak so darstellen kann, dass es in der Community als Entwicklungsforschung akzeptiert wird, also besser strukturieren, besser explizieren, ordentlicher evaluieren (Entschuldigung, da war meine Schlussfrage sicher irreführend). Sondern: Es ging mir darum gemeinsam zu explorieren, ob in den skizzierten Prozessen TYPISCHE Momente/Phasen zu identifizieren sind, die wir begründet als Entwicklungs-Forschung bezeichnen wollen! Dabei ist die Erarbeitung von Qualitäts- oder Gütekriterien für diesen Forschungstyp Neuland. Leicht erwischt man sich dabei, dass man analogisierend und hilfesuchend Gütekriterien aus der qualitativen Sozialforschung in diesen Bereich verlängert, deshalb die Forderung nach „richtiger" Evaluation, Explizierung der Entscheidungen etc.
Meine Grundthese (darin fließen Argumente der gemeinsamen Sitzung ein, vgl. Gabis Eintrag) ist, das wir im Rahmen einer entwicklungsorientierten Bildungsforschung mehr oder weniger AUCH chaotische, implizite und damit wenig bis gar nicht explizierbare Entscheidungen als typischen Forschungsakt akzeptieren bzw. einfordern müssen. Das stößt sich freilich mit dem Axiom einer letztlich mathematischen Wissenschaftsauffassung, die keine „dunklen Flecken" akzeptiert. Wenn uns aber Bildungsinnovationen (Sonderfall der sozialen Innovation) wichtiger sind als methodische Ideologien (also Vereinseitigungen), dann gilt es doch, die Methode sowie die Standards (der Entwicklungsforschung) den notwendigen Veränderungsprozessen anzupassen und nicht umgekehrt sich in die Irre führenden methodischen Imperativen unterzujochen.
Ja, mal wieder große Kaliber mit ansteckender Revolutionsrethorik. Wer sich hier anschließt, sollte mindestens einen langen Atem mitbringen, denn weder sind große Forschungsgelder, zeitnahe Akzeptanz in der wissenschaftlichen Community noch ein kalkulierbarer und „glatter" Forschungsalltag zu erwarten. Puhh, nix für Nachwuchswissenschaftler, … oder gerade doch?