Dieser Post wird keine Likes erzeugen … aber anfangen muss man doch!
Ende 2023 habe ich in einer kleinen Runde erstmals von „PeaceClubs“ gesprochen. Der Idee nach ging es um Orte für junge Menschen (auch die Alten können jung sein und die Jungen unglaublich alt), die sich z.B. im Rahmen des Freiwilligen Sozialen Jahres, mit der Idee des Friedens, seiner Voraussetzungen und seiner praktischen Durchsetzung befassen sollen: in einem Dorf, einer Stadt, in einem Bundesland, landesweit und vielleicht auch in und über die EU-Grenzen hinaus. Damit das nicht in einer Art „Friedenszirkel“ mit beschwörenden Räucherstäbchen ausartet, sollten diese Clubs (a) nicht nach dem heiligen und ewigen Frieden, sondern nach Möglichkeiten der Konfliktreduktion (Realziel) suchen, (b) dabei u.a. die anspruchsvolle Herausforderung rund um „soziale Dilemmata“ in den Blick nehmen und (c) nicht nur debattieren, sondern auch praktische (Zwischen-)Lösungen in Form von „Werken“ fabrizieren. Diese Werke sollten so niederschwellig und einladend sein, dass fast jeder Mensch sagen könnte: „Da kann ich im Prinzip – wenn ich meinen Hintern hochkrieg – mitmachen!“ Zwar sind damit die Großdebatten (wir brauche eine „neue Gesellschaft“ oder gar einen „neuen Menschen“) nicht ausgeschlossen; doch zumindest ein klitzekleines Problem dieser Welt sollte besser werden, wohlwissend, dass andere Probleme janusköpfig damit wieder entstehen. Alles, einfach alles hat seinen Preis! Soweit mal, … die Idee liegt seitdem auf meinem Schreibtisch und reift wie ein Schweizer Käse.
Das mit dem „Frieden“ fiel schon 2023 für mich nicht vom Himmel.
Ich bin aufgewachsen in einer Gastronomie-Familie – mit einer Gaststätte, die 1933 gegründet wurde. Im „Deutschen Haus“ kamen in der 1990ern u.a. Kriegsveteranen zusammen (damals alle um die 70 Jahre alt), die sonntags nach der heiligen Messe am Stammtisch Erinnerungen austauschten. Es gehört zu meinen persönlichen Theken-Erfahrungen, dass Anwesende regelmäßig bittere Tränen weinten. Sie berichteten dann u.a. vom Russlandfeldzug, vom großen Leid und wie sie ihre Freunde im Schnee zurücklassen mussten. Diese emotionalen Ausbrüche kamen also 50 (!) Jahre später noch wie aus dem Nichts herausgeschossen, was viel über seelische Wunden und Spätfolgen von Kriegen verrät. Solche Szenen endeten dann mit der Mahnung: „Nie wieder Krieg, unter keinen Umständen, hört ihr!“. Alle am Tisch schwiegen daraufhin und mir kroch dieses „stille Schweigen“ als junger Mann tief in die Knochen.
Neben diesen Kriegsgeschichten gibt jetzt noch eine Reihe weiterer „Erfahrungen“, die in diese Richtung gehen: Der ohrenbetäubende Knall einer Handgranate, die ich als junger Funker bei der Bundeswehr werfen musste; die olympische Friedensbotschaft zum „gegenseitigen Respekt“ eines Pierre de Coubertin, die ich als Mitarbeiter an der Sporthochschule Köln erstmals mitbekam; die systemtheoretisch inspirierten Schriften von Sven Güldenpfennig, mit der Friedensmahnung, dass man im Sport „nur“, aber immerhin (!), lernt, trotz stärkster körperlich-emotionaler Grenzerfahrungen (z.B. Boxen, voll auf die Fresse) regeltreu zu bleiben; oder schließlich der gesellschaftliche „Friedensdienst“ zur Stärkung des Ehrenamtes im Sport durch Digitalisierung, den ich als Berater über fast zwei Jahrzehnte begleiten durfte.
Und? Was soll das jetzt, dieser lange Anlauf?
In einer Zeit, in der die Nachrichten von kriegerischen Übergriffen, Bombardements, Drohneneinsätzen, getöteten Männern, Frauen und Kindern nicht abreißen, Kinder diesseits und jenseits der Grenze, die Unschuldigsten auf beiden Seiten also, in der man sich im Zeichen der Zeitenwende darauf eingeschworen hat, Waffenlieferungen „immer mehr“ und Sanktionen „immer stärker“ seien die Mittel der Wahl, um Frieden zu sichern – eine Zeit, in der man als einfacher Mensch immer schwerer ein Argument findet, zu dem nicht auch ein gleich schweres Gegenargument passt, in der das Nachdenken und öffentliche Sprechen über Frieden als naiv disqualifiziert werden – wie sicherlich auch hier; eben in dieser Zeit ist es wichtig, über Frieden in wirklich all seinen Dimensionen (!) nachzudenken und nachzuforschen, darüber zu sprechen, um mögliche Schweigespiralen zu durchbrechen und idealerweise auch etwas Konkretes zu tun, auch dann, wenn dieses Tun zunächst keinen sichtbaren „Impact“ hat.
Ich ende heute mit einem konkreten Vorschlag, sich zumindest das einmal anzusehen: Das SPD-Manifest mit einer Friedenstaube im Logo ist KEIN Aufruf zu einem „reinen“ Pazifismus, wie ihn im Übrigen Albert Einstein vertreten hat. Auf den zwei Seiten geht es um eine Friedensordnung auf dem europäischen Kontinent, mit all jenen, die hier leben und zusammenleben müssen. Es geht in diesem Manifest um die Stärkung unserer Verteidigungsfähigkeit ohne fixe 5% Bindung und es geht um radikale Dialogbereitschaft, auch dann, wenn damit Nachteile verbunden sind.
Ich habe das Manifest unterschrieben, auch wenn man den Menschen, die das tun, „Realitätsverweigerung“ (Pistorius) vorwirft. Apropos Realität: Ich weiß, dass die klügsten WissenschaftlerInnen der Welt darüber streiten, wie man Realität überhaupt feststellt und noch mehr darüber uneins sind, was man tun muss, um bestimmte Ziele zu erreichen. Ich bin also in guter Gesellschaft, ich bin unsicher und gerade deshalb muss man anfangen.
Friedensarbeit hat eine lange Inkubationszeit.