Vortragsanfragen haben den Vorzug, dass man sich intensiver als sonst mit einem Thema beschäftigt, lose Gedanken verdichtet und so aufbereitet, dass Dritte etwas damit anfangen können. Sicher ist jedenfalls: Man weiß hinterher mehr als vorher.
Anfang des Monats war ich auf der Jahrestagung der Sportpädagogen in Münster. Das Thema „Wissenstransfer“ hatte mich angesprochen oder besser provoziert: Hochschulen generell und die Sportpädagogik im Besonderen sind aufgerufen, ihr akademisch produziertes Wissen der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen bzw. dieses Wissen sinn- und nutzstiftend in der Gesellschaft zu verankern. Mein Vorschlag, die Wissensproduktion nicht als einen der Forschung nachgelagerten Akt zu betrachten, sondern als einen forschungsimmanenten (Design-)Prozess (Stichwort Design-Based Research), wurde überraschend wohlwollend aufgenommen. Ja, so müsste Sportpädagogik eigentlich forschen, wenn sie innovative Bildungsszenarien entwickeln will. Als dann einer der Keynote-Sprecher darüber aufklärte, dass man „diese Art von Forschung (bei ihm hieß sie „Symbiotische Transferstrategien“) nicht dem eigenen Nachwuchs empfehlen könne“, weil damit trotz Innovation die wissenschaftliche Reputation gefährdet sei, wurde mir klar: Das als richtig erkannte braucht einen belastbaren Erkenntnisrahmen und mutige Männer/Frauen, die diese Forschungspraxis dann auch durchsetzen! Insgeheim dachte ich mir: Was für eine Führungselite ziehen wir uns da heran, denen wir schon bei der Geburt sagen: Gehe den opportunen Weg! Ich verließ Münster also mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
In der dritten Juniwoche war ich auf dem Digital Change Summit an der Hochschule Mittweida. Herrn Prof. Dr. André Schneider ging es bei der Tagung darum, unterschiedliche Perspektiven auf Transformation zusammenzurufen und in den Austausch zu kommen. Ich steuerte einen Beitrag zu Social Video bei, indem ich erstmals von einem „kollaborativen Erfahrungs- und Beobachtungsraum“ sprach und damit u.a. Elemente des Forschenden Sehens aus unserem SCoRe-Projekt in die Diskussion einbrachte. Was ich wiederholt feststelle: Der anschauliche Einstieg über die Fußballtrainerausbildung mit Social Video im Blended Learning-Format gelingt immer, die Zuhörerinnen können sich ein Bild machen und folgen dann auch artig, wenn es steiler wird und ich von „Epistemischen Forderungen“ beim Forschenden Sehen spreche. Im Nachgang ergaben sich jedenfalls interessante Gespräche zum einen mit Prof. Dr. Thoralf Gebel aus dem Innovationsmanagement und zum anderen mit Prof. Dr. Werner Sauter, dem Social Video gut gefiel.
Ich sagte weiter oben, dass man nachher mehr wisse als vorher. Was weiß ich nun mehr? Zum Ersten bin ich immer wieder irritiert (das ist zurückhaltend), wie wenig kreativ wir mit der neuen Präsenz umgehen, d.h., irgendwie ist alles wie früher und wir tun so, als hätte es die Corona-Tagungserfahrung nicht gegeben. Wie wäre es, wenn wir mehr Barcamps machen, mindestens, oder gar wissenschaftliche Spaziergänge, nennen wir sie WorkWalks, bei denen wir „Meilensteine“ abarbeiten, jeden Kilometer ein Halt mit einer Station als Input und anschließender kollaborativer Reflexion beim Gehen. Es ist so viel Neues denkbar, wünschbar, machbar. Aber doch nicht wieder einfach nur in die Seminarräume zurück, ohne eine Idee davon, warum ich 600 km fahren soll. Zum Zweiten habe ich Hoffnung, dass DBR in der Sportpädagogik eine Chance hat. Hier tut sich was und wenn als politisches Sprungbrett der Wissenstransfer herhalten muss, dann ist es auch gut. Zum Dritten hat mir die Diskussion zum Erfahrungs- und Beobachtungsraum gezeigt, dass Social Video genau in diesen Begriffsdimensionen seine Potenziale ausspielt, um ein besseres Verstehen des Sachverhalts und eine bessere Verständigung untereinander zu erzielen. Jetzt müssen wir das nur noch alles handsamer formulieren und gute Beispiele entwickeln, gerne aus dem Umfeld der beruflichen Bildung!
Und ja, was ich noch „erfahren und beobachtet“ habe – ganz ohne Social Video – ist: Der Osten ist schön!