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Wie wollen wir leben, sagen wir 2030?

Vorgestern abend war ich auf Einladung von Andreas Hebbel-Seeger in der Macromedia Hochschule hier in Hamburg. Geboten wurde der Film „GOLD: Du kannst mehr als du denkst.“ Der Film kam schon 2013 in die Kinos und erzählt die Geschichten dreier behinderter Sportler. An sich geht es nur um eine Geschichte, nämlich die, wie Sport unser Leben verändert. Im Anschluss hatten wir die Möglichkeit, mit einem der drei Autoren zu sprechen, klasse!

Ich habe mich auf den Film sehr gefreut, wahrscheinlich, weil mir 2013 Thomas Beyer diesen sehr ans Herz gelegt (und ich es immer noch nicht getan hatte) hat und weil sich hier offenbar jemand vorgenommen hatte, die Kernidee des Sports, das „Über-sich-Hinauswachsen“ einzufangen. Seit der Lektüre von Sven Güldenpfennigs Büchern ist mir das bewusst(er) und ich freute mich darauf, diese Kernidee durch die Brille der Behinderung anzuschauen.

Ich kann also gar nicht sagen, was es war, das mich während und nach dem Film stutzen ließ. Hatte ich nicht gerade gesehen, wie drei Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen ihre körperlichen Handicaps scheinbar hinter sich ließen? Der blinde Läufer, der im Zieleinlauf seinen Guide hinter sich herzog (nicht umgekehrt!), die gelähmte Schwimmerin, die wie ein Pfeil durchs Wasser schoss, der Mann ohne Beine, der zur raschen Fortbewegung seinen highspeed-Roller oder seine Hände benutzte und dabei nie Zweifel an seiner Ganzheit ließ. Es war nur eine Kleinigkeit, die mich störte: Die Geschichten wurden vor dem Hintergrund eines Rehabilitationszwecks erzählt, d.h. Sport wurde hier für die (mentale) Genese in Anspruch genommen: Und genau dieses Moment widersprach dem Kernkonstrukt der Selbstzweckhaftigkeit, einem Definitionsmerkmal meines (bisherigen) Sports.

Aber darum ging es im Nachgang des Films, im Gespräch mit Autor/Produzent Andreas F. Schneider, nicht mehr. Vielmehr redeten wir über das, was der Sport generell für Gesellschaft und humane Existenz beitragen könne. Sein Film wolle ja genau dieses Potenzial zum Ausdruck bringen: Finde das „Gold“ in dir, das dich alle Grenzen überwinden lässt. Sport in diesem Sinne ist Bewusstseinsarbeit im Medium der körperlichen  Bewegung.

Dann ging es ganz schnell um ein Thema, das alle Hamburger (nicht nur die) umtreibt: Das Referendum am Sonntag, das Ja oder Nein zu Olympischen Spielen in Deutschland. Andreas F. Schneider zeigte nun auf einen Punkt, der mir neu war: Im Zuge eines Zuschlags ginge es eben nicht nur darum, „Stadien und Brücken“ für den Sport zu bauen, sondern im Rahmen eines Projekts zur Stadtentwicklung zu zeigen, wie „wir in Zukunft zusammenleben wollen“: Junge und Alte (10% unser Gesellschaft wird 2050 über 80 Jahre alt sein), unterschiedliche Nationen und Sprachen, Behinderte und Nicht-Behinderte. Unterm Strich ginge es darum, durch das Hamburger Brennglas der ganzen Welt zu zeigen, wie man Inklusion zu Ende denken kann. Die Olympischen Spiele sind in diesem Zusammenhang Bedingung der Möglichkeit (1 Milliarde Euro Investition) und der Sport eine Metapher für eine Kultur der „Berührung“.   

Bum! Andreas hatte mein kleines Kartenhaus gesprengt. Zwar wusste ich bereits von der Dekadenstrategie 2020, aber mir war dieser große Bogen von Sport-Berührung-Inklusion mit der Leitfrage: Wie wollen wir leben? bei all dem kleinteiligen Alltagsgeschäft abhanden gekommen. Danke dir Andreas!

Und Sonntag? Dann denken wir darüber nach, wie wir leben wollen. 

Von Veröffentlicht am: 28. November 2015Kategorien: AllgemeinKommentare deaktiviert für Wie wollen wir leben, sagen wir 2030?