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Gut beraten
Ich habe in den letzten Jahren viele Sportorganisationen darin beraten, wie sie Blended Learning „einführen“ und „verstetigen“. Man sensibilisiert für eine Vision, zumindest für die normative Frage, „Wo wollen wir hin“ (organisationale Ziele, Menschen- oder Trainerbild etc.), entwickelt gemeinsam ein didaktisches Konzept, entscheidet sich für eine Technologie und macht sich auf, Referenten und Teilnehmer durch reflektiertes Tun mit in die neue Welt zu holen. So oder so ähnlich geht das, wie aktuell z.B. im LSB Sachsen-Anhalt.
Schaut man aber genauer hin, dann sind die Abläufe gar nicht mehr so schön klar und linear: Vision, Konzept, Technologie, Implementation, Evaluation etc. Da ist es vielmehr so, dass in jeder Phase „irgendwie“ alle anderen Phasen drin stecken, nur nicht ganz so dominant und sichtbar. Im Prozess entsteht also den Eindruck, dass mit jedem Schritt die Folgeschritte angelegt, angedeutet, angestoßen sein müssen (vgl. DBR). Ich will hier bewusst nicht von „ganzheitlich“ sprechen – dieses abgenutzte und reichlich vielsagende Wort. Vielmehr: Da baut sich eine Musik auf; Thema, Rhythmus, Tempo, Lautstärke, etc. Ich bin anfänglich Dirigent, zeige mein Lied, dann geht der Stab weiter und ich höre eine neue Musik, die meiner „nur“ ähnlich ist.
Ich stecke mitten drin in der Lektüre von Otto Scharmers „U-Theorie“ (Video mit Bezug zu higher education) und deshalb bin ich besonders sensibilisiert für das, was passiert, wenn man sich aufmacht, Organisationen zu verändern. Genau genommen hilft man ihnen ja nur bei der Selbstveränderung; der Change Agent ist ein Geburtshelfer. Bei Scharmer wird man nun in eine ganz eigene Welt hineingeführt, er bezeichnet sein Vorgehen als „Sozialtechnologie“ und beruft sich u.a. auf die Arbeiten des Sozialpsychologen Kurt Levin und seine Feldtheorie.
Interessant ist, dass Scharmer die von Lewin eingebrachten Metaphern wie „Kraftfeld“, „verflüssigen“ oder „einfrieren“ qualitativ erweitert. Sein Ziel ist eine „Vergegenwärtigung einer möglichen Zukunft“ und genau dafür bedarf es einer Öffnung des Denkens, Fühlens und Wollens bei allen Beteiligten. Aber damit nicht genug. Ist eine mögliche Zukunft in der Gegenwart greifbar, dann muss man sie materialisieren; u.a. helfen hier Prototypen (Objekte, Vorgehensmodelle etc.) damit das Neue in die Welt kommt.
Ja, wie das „Neue in die Welt kommt“, genau dieser (blinde) Punkt bzw. Prozess interessiert besonders. Bei Scharmer liest sich das aber nicht abstrakt und blutleer, sondern man gewinnt durch vielfältige Beispiele, grafische Orientierung und „Ausfaltung des Punktes“ (vgl. David Bohm) Einsichten in einen ansonsten verdunkelten Prozess, den „kein Mensch je zuvor gesehen hat“. Für mich selber sind Scharmers Ausführungen an vielen Stellen wie ein Bewusstwerden meiner eigenen Beraterpraxis. Nur: Ich bin bisher noch nie so weit gegangen und habe das, was da (mit den anderen und mir) geschieht, unter der Perspektive der Geburt und als Sozialtechnologie interpretiert.
Wahrscheinlich liegt das auch daran, weil das Thema „e-Learning“ gemeinhin als etwas von außen Kommendes gedeutet wird, als ein „Objekt“, das man in die Organisation einpflanzen muss. Wäre es aber so, dass man sich bereits als Lerngemeinschaft verstehen würde, dann wären alle neuen Formen des Lernens bereits potentieller Teil der eigenen Identität. Die kreative Nutzung von e-Learning wäre dann nichts anderes als eine Aktualisierung des Potenziellen. Mit Scharmer gilt: Zukunft ist davon abhängig, wie und als was sich die Mitglieder selber wahrnehmen.
Gut beraten ist man also dann, wenn Dritte einem nichts Fremdes einpflanzen, sondern helfen, anders als gewohnt wahrzunehmen, gerade sich selbst und das eigene Sehen! Wenn man lernt, anders zu sehen, und seine Aufmerksamkeit anders als gewohnt zu steuern, dann gelingt eine starke, eigene Zukunft, eben das höchstmögliche Selbst. Falls der vielbenutzte Begriff der Nachhaltigkeit eine Bedeutung haben soll, dann geht das genau in diese Richtung.