Blog / Schavans Doktorarbeit: unsportliches oder nichtsportliches Verhalten?
Schavans Doktorarbeit: unsportliches oder nichtsportliches Verhalten?
Über die Doktorarbeit von Frau Schavan ist schon Vieles gesagt worden. Im Dickicht der Ansichten und Einsichten kommt es mir manchmal so vor, als ob man nicht so recht weiß, wo die Grenze zwischen Erlaubten und Unerlaubten liegt: sind es 5% oder 50% der Fehlzitate, ist es die hinter den Auslassungen vermutete Absicht oder nur eine Nachlässigkeit oder, oder? All das kommt mir reichlich willkürlich vor denn mir fehlt ein theoretisches Unterscheidungskriterium, wann man von unwissenschaftlichem sowie außerwissenschaftlichem Verhalten sprechen kann. Dazu eine hoffentlich hilfreiche Analogie.
Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Fußballspieler (oder eine Fußballspielerin). Nach ca. 20 Jahren würde man sie fragen, ob Sie im Endspiel der Fußballweltmeisterschaft Spieler x gefoult haben. Selbstverständlich würden Sie antworten: Wenn gegen mich keine rote oder gelbe Karte gezogen wurde, dann habe ich nicht gefoult, zumindest wurde ich vom Schiedsrichter nicht erwischt. Stellen Sie sich nun vor, Sie hätten das damalige Spiel in der Verlängerung nur gewonnen, weil sie gedopt waren. Heute, 2013, nimmt man Ihre damalige Dopingprobe her und analysiert sie mit aktuellen Analysemethoden. Man entdeckt verbotene Substanzen, nimmt ihnen den Weltmeistertitel und Sponsoren belasten sie mit Regresszahlungen.
Sven Güldenpfennig, (vgl. auch meinen älteren Blogbeitrag) der sich Zeit seines Lebens mit der Idee des Sports, mit seinem "Eigensinn", beschäftigt hat, führt zur Unterscheidung dieser Fälle die Begriffe unsportliches und außersportliches Verhalten ein. Unsportlich ist ein Spieler dann, wenn er gegen die Spielregeln verstößt, diese aber anerkennt! Ein solches Verhalten wird vom Schiedsrichter geahndet, so dass die Balance im Spiel erhalten bleibt. Wenn nun jemand dopt ist klar, dass er die konstituierenden Regeln des Sports nicht anerkennt, somit führt sein Verhalten auch nicht zu einer Verletzung der Spielregeln, da der Spieler sich mit seinem Verhalten in einem außersportlichen Bereich befindet. Er treibt folglich gar keinen Sport (Bruch mit der Idee), auch wenn er mitten unter den Sportlern auf dem Spielfeld agiert. Oder nochmal anders gewendet: Lance Armstrong hat nie Rad-SPORT betrieben.
Überträgt man nun dieses Konzept der Sportidee auf die Ebene der Wissenschaft, dann müssten bei schlampigen Zitierungen zuallererst die Gutachter gefragt werden. Wenn die Arbeit abgeschlossen und der Doktortitel vergeben ist, müssten man bei Schummelleistungen die Gutachter belangen, weil sie ihrer Aufgabe als FACHgutachter nicht gerecht geworden sind. In jedem Fall bleibt ein solches Verhalten aber „nur" unwissenschaftlich, wenn trotz Zitierfehler (analog Fouls) festgestellt werden kann, dass die Arbeit vom Autor eigenhändig verfasst wurde – der Doktortitel bliebe erhalten. Stellt man hingegen fest, dass die Doktorarbeit unter Fremdleistung erstellt wurde (z.B. Schnäppchen aus Bulgarien) tritt der wissenschaftliche Dopingfall ein: Der Autor befindet sich in einem außerwissenschaftlichen Bereich, der Doktortitel wird aberkannt, Regresszahlungen wegen Täuschung wären fällig.
Nun wird man einwenden, dass es doch gerade um eine Binnendifferenzierung des unwissenschaftlichen Verhaltens gehe, eben die Frage, wie viel denn geschummelt werden darf: 5% oder 50%, Absicht oder Nachlässigkeit. Hier wird man sich immer schwer tun, eine Grenze zu begründen, warum genau hier und nicht doch noch etwas mehr oder weniger? Was man aber von heute an machen müsste (oder auch rückwirkend), ist die Veröffentlichung der Gutachten zu einer Doktorarbeit (online abrufbar). Das wäre was, denn dann würden die Fachgutachter die Arbeit sehr, sehr genau lesen und sie nur dann akzeptieren, wenn ihnen wirklich nichts aufgefallen ist. Gutachter stehen bei einem Vergehen mit in der Kreide.