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Interdisziplinarität funktioniert
Gestern war ich auf einer Tagung des Deutschen Hochschulverbandes (dhv) in Bonn. Gabi konnte dort einen schönen Vortrag zur Frage des „Digitalen Denkens" aus bildungswissenschaftlicher Sicht halten und ich nutze solche Gelegenheiten als Mitreisender immer zur „Beobachtung der Energieströme" im Raum, wie es einst Herr Hofer-Alfeis nannte. Neben vielen interessanten Aspekten wurde eben auch die Frage behandelt, WIE, also mit welchen Mitteln, die Wissenschaft Phänomene rund um das digitale Denken beforschen könne. Schon die Zusammensetzung der Diskutanten ließ erkennen, dass Analyse und Intervention erfolgreich nur im Schulterschluss mit mehreren Disziplinen zu erwarten sind. Wie immer bei solchen „Großkopfthemen" fallen dann gern Begriffe wie „Interdisziplinarität" oder der kleine Bruder "multidisziplinär" … in jedem Fall wird die Hoffnung artikuliert, dass viele Perspektiven notwendig sind, um das Phänomen in seiner Ganzheit zu verstehen.
Zumindest ein Forscher (Gigerenzer) sagte klar, dass Interdisziplinarität „funktioniere", man „betreibe" das schon seit 15 Jahren am Max-Planck-Institut. Ich teile diese Hoffnung nicht oder besser, nicht so bedingungslos. Schauen wir beispielhaft in die Sportwissenschaft: An der Deutschen Sporthochschule Köln sind ca. 20 unterschiedliche Lehrstühle vertreten, von Sportphilosophie, Sportökologie, Sportökonomie, Sportinformatik bis Sportpädagogik, Sportmedizin, Biochemie – dazwischen eine Reihe von Bewegungs- und Spielwissenschaften. „Herrlich" könnte man denken, ein Paradies für alle disziplinären Vielfalter. Doch in der Realität ist es nun nicht so, dass alle zusammen und gemeinsam das Phänomen Sport erkunden, sondern sich hier bestenfalls Teilgruppen mit geringer paradigmatischer Spreizung zusammentun, also z.B. Bewegungswissenschaft mit Robotik. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn man will die Zeit nicht mit zeitraubendem Aushandeln des Erkenntnisparadigmas vertun, sondern idealerweise innerhalb eines Paradigmas die Ressourcen bündeln, ohne dass epistemische Irritationen einen aus der Bahn werfen.
Man sollte also Projekte, die tatsächlich um ein neues, gemeinsames Paradigma ringen, nicht mit solchen zusammenwerfen, die zwar mehrere Disziplinen kombinieren, deren Vertreter aber doch alle dieselben Glaubenssätze befolgen. Der Wille oder Unwille zur Zusammenarbeit macht sich an den Glaubenssätzen fest. So ist zu verstehen, warum zwischen Pädagogen und Psychologen manchmal die Gräben tiefer liegen als zwischen Pädagogen und Informatikern. Was also kann man tun? Tja, auch hier keine Rezepte, klar, aber vielleicht mehr darüber sprechen, wann, wie, warum unter welchen Zusatzbedingungen inter- oder transdisziplinäres Arbeiten und Forschen klappt. Natürlich sollte jeder dann auch sagen können, was er/sie meint wenn gesagt wird: „Es klappt!".
P.S. Oben im Bild "aufgebockte" Hochtechnologie (der Transrapid im Technikmuseum, in unmittelbare Nähe vom Tagungsort). Schon irre … man fragt sich unweigerlich: Wohin wollen wir eigentlich?
PPS: Hier ein älterer (und reichlich leidenschaftlicher) Beitrag zur interdisziplinären Lehre.