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Bologna und die Philosophie des Geldes

An einer der letzten Wochenenden war ich mit Gabi in Wien. Das Center of Teaching and Learning hatte zur Friday Lecture geladen und Gabi konnte dort ein Referat zum Thema Bologna und Studienreform halten (In die Freiheit entlassen?). Da ich diese Referate inhaltlich immer schon im Vorfeld kenne ;-), kann ich mich auf Rückmeldungen der Teilnehmer und weiterführende Gedanken konzenrieren.

Anstoß für einen eben dieser weiterführenden Gedanken gab das Koreferat von Herrn Hrachovec, der die Hauptverantwortung für das Bologna-Maleur bei der Politik sieht. Er sagte, da wurde "etwas" eingerissen, was Jahrhunderte aufgebaut wurde. Gabi pflichtete trotz ihres didaktischen Vorschlags bei: "Man kann politische Probleme nicht didaktisch lösen!"

Im Anschluss an die Veranstaltung, draussen auf der Bank in der heissen Wiener Luft kam mir ein Buch von Georg Simmel in den Sinn: "Philosophie des Geldes". Simmel geht es in diesem Aufsatz nicht um eine Finanztheorie i.e.S. (siehe hierzu den Beitrag von Backhaus), sondern darum, welche Probleme sich ergeben wenn von einer Tauschform zu einer anderen übergegangen wird (=Nivillierungsprozess).

Wikipedia schreibt hierzu: "Bei Simmel basiert der Wert eines Produktes anfänglich auf der subjektiven Wertschätzung. Mit steigender Komplexität der Gesellschaft wird dann der Tausch zur sozialen Gegebenheit. Um diesen Tausch zu vereinfachen, ist das Geld notwendig. Im Geld spiegelt sich der Wert der Dinge wider. In ihm treffen die Welt der Werte und die konkreten Dinge aufeinander: „Geld ist die Spinne, die das gesellschaftliche Netz webt.“ Es ist ebenso Symbol wie Ursache der Vergleichgültigung und Veräußerlichung. Indem jetzt alles mit jedem getauscht werden kann, weil es ein identischen Wertmaß erhält, findet gleichzeitig eine Angleichung (Nivellierung) statt, die keine qualitativen Unterschiede mehr kennt. Der Sieg des Geldes ist einer der Qualität, des Mittels über den Zweck. Es ist nur das wertvoll, was einen Geldwert besitzt. Somit findet eine Verkehrung statt. Am Ende diktiert das Geld unsere Bedürfnisse, es kontrolliert uns, anstatt zu entlasten und zu vereinfachen. Indem das Geld mit seiner Farblosigkeit und Indifferenz sich zum Generalnenner aller aufwirft, höhlt es den Kern der Dinge, ihre Unvergleichbarkeit aus.

Was hat das nun mit Bologna und seinen Folgen zu tun? Mir kam diese Simmel-Verbindung an der Stelle in den Sinn, wo von "ungeraden ECTS-Punkten" gesprochen wurde, also 1,5 ECTS… was steht dem gegenüber, was ist der Tauschwert? In dieser Logik: Input-Output-Verschiebungen von Kursangeboten zwischen den Fakultäten, feilschen um den Punktewert einer Veranstaltung etc. Die Bologna-Krankheit entsteht genau an dieser Stelle, durch die Schaffung einer formalen Währung (ETCS ist geldanalog), d.h. einer Formalisierung der Tauschprozesse. Formalisierung heisst Entkopplung von situativen Kontroll- und Regulativfunktionen. Am Ende fragt keiner mehr nach dem Unsinn von 1,5 ETCS, die Hochschulstrukturen werden so gestaltet (angepasst!), dass sie tauschkonform werden, das ist die eigentliche Tragödie.

Vielleicht lohnt sich hier eine systematischer Blick auf Simmels Philosophie des Geldes und ein Vergleich mit den Strukturen von Bologna, umzu verstehen, was uns mit Bologna abhanden gekommen ist, dieses „etwas“ vom dem eingangs gesprochen wurde. Vielleicht verstehen wir dann besser was wir tun können, um mit den Konsequenzen dieser neuen "Flexibilisierung" besser umzugehen.

Von Veröffentlicht am: 20. Juni 2010Kategorien: AllgemeinKommentare deaktiviert für Bologna und die Philosophie des Geldes