Disziplinen müssen sich disziplinieren und …

Gestern waren Christian und ich in Heidelberg, wo das erste Arbeitstreffen zum EU Paedimed-Projekt stattgefunden hat. Gabi konnte leider nicht dabei sein, weil sie an der Uni Prüfungen hatte – aus mehreren Gründen schade! Was war also los: Nach einem lecker Abendessen haben wir noch die Heidelberger Altstadt besichtigt, Schloss und Brücke, danach, wir kennen das, wurde „Grundsätzliches besprochen“. Am nächsten Tag haben wir uns im Institut für Arbeits- und Sozialmedizin getroffen. Anwesend waren Arbeitsmediziner (u.a. Onkologen, Dermatologen), Gesundheitswissenschaftler, Berufs- und Medienpädagogen. Bei diesem Projekt geht es ja – das ist mein derzeitiges Mentalmodell – um die Entwicklung einer Lernumgebung zum Thema Empowerment (salutogenitscher Gesundheitsbegriff). Thematische Aufhänger zu diesem Leitthema sollen aus dem Bereich Dermatologie kommen, wie z.B. das Themenfeld „sexuell übertragbare Krankheiten“. Das Ganze soll dann an Schulen aus Deutschland, Italien und Rumänien implementiert werden und zwar nach einem Blended-Learning-Ansatz mit der Zielgruppe Lehrer, Schüler und beteiligte (Schul)-Ärzte. Am Ende könnte eine Art Projektwoche stehen, für die eine Onlineumgebung, Kick-off-Materialien und ein Ablaufkonzept (+ evtl. Train-The-Trainer Konzept) bereitgestellt werden. So ein allererster Rahmen, auf den wir uns geeinigt haben.

Aber darum geht es hier nicht: Spannend war für mich das Zusammentreffen der Fachdisziplinen selbst und hier die Einsicht, dass wir an einer gemeinsamen INHALTLICHEN Zielvorstellung arbeiten müssen. Einerseits sind unterschiedliche Erwartungen/Vorstellungen/Sprachen für ein Erstreffen vollkommen normal, wahrscheinlich. Andererseits ist es sehr interessant, was Mediziner als bedeutsam erachten und was wir Pädagogen als bedeutsam erachten – bei einer ähnlichen Zielvorstellung versteht sich. Die einen rücken die Fachtexte ins Zentrum, bei den anderen gilt das Primat der Didaktik. Wir kommen wahrscheinlich nicht weiter, wenn wir danach fragen, was für uns selber das Wichtigste ist, jeder sieht das, was er gewohnt ist zu sehen, für Experten gilt das zweimal. Für mich ist die Frage entscheidend, worauf hin wir unsere (interdisziplinäre) Arbeit hin integrieren wollen, was also der Zweck ist. Und der Zweck wird im Wesentlichen von der Zielgruppe her definiert , also von den Schülern, Lehrern und den beteiligten Ärzten vor Ort. Und wahrscheinlich ist genau diese Nachfrageorientierung der Schlüssel dafür, wie eine interdisziplinäre Zusammenarbeit (in diesem Fall) aussehen kann, wer also welche Inhalte, in welcher Bearbeitungstiefe bereitstellt und wer für den „Produktcharakter“ letztlich verantwortlich ist. An der Deutschen Sporthochschule in Köln hat mich die Herausforderung „Interdisziplinarität“ schon einmal beschäftigt. Ich hatte damals den Eindruck, dass (trotz guter institutioneller Voraussetzungen), kein echter Wille an so einer Zusammenarbeit vorhanden war – das Etikett reichte. Innerhalb einer Disziplin liegt eben nicht der Schlüssel (und der Anreiz) für Interdisziplinarität. Entweder kommt dieser von „weisen“ Wissenschaftlern/innen, die den Horizont und damit die Grenzen des eigenen Tuns mitdenken und von daher kooperieren, was zu selten vorkommt oder, der andere Weg, die Disziplinen müssen sich über eine äußere Kraft (Nachfrage Dritter), disziplinieren. Disziplinen müssen sich disziplinieren, ja das hört sich gut an :-).

Dennis Linder, ein Mitglied des Consortiums aus Italien, hat mir freundlicherweise beim Abendessen eine Buchempfehlung gegeben: Knock oder Der Triumph der Medizin. Ich habe das Gefühl, dass dieses Buch mit den oben gemeinten „Einkapselungen“ und den dadurch hervorgerufenen Paradoxien zu tun hat. Aber wahrscheinlich müsste man dann auch ein zweites Buch schreiben: Knock – oder der Triumph der Pädagogik. Ja, am Anfang aller interdisziplinären Zusammenarbeit gehört – glaube ich – so etwas wie eine Satire, ein Schauspiel, das allen Beteiligten den Spiegel vorhält. Nicht um zu strafen, sondern um uns zum Lachen zu bringen – über uns selbst. Damit machen wir unsere hochheiligen Inhalte und Methoden nicht lächerlich, sondern wir können unverkrampfter mit den selbstgesetzten Grenzen umgehen. „Echte“ Interdisziplinarität ist vor diesem Hintergrund (Selbst-)Neufindung, jedenfalls Relativierung eingefahrener An- und Einsichten. Eine Satire zur Zusammenkunft von Medizin und Pädagogik wäre eine spannende Herausforderung und vielleicht eine der besten Investitionen in die gemeinsame Zukunft.