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Man muss wollen, dass es wird

Das Verhältnis von Ökonomie und Bildung beschäftigt mich ja schon länger. Angefangen hat „es“ mit einer Hausarbeit – noch zu Kölner Zeiten. Unter dem Titel „Der Nutzen des Schönen – Adam Smith und Friedrich Schiller“ versuchte ich damals voller Idealismus zu zeigen, dass sich z.B. moralisches Verhalten ökonomisch legitimieren lässt. Ich habe mich zum damaligen Zeitpunkt stark von den Begriffen individuelle und kollektive Rationalität leiten lassen. Im Grunde kreisten meine Gedanken um die für Nationalökonomen leitende Frage, inwieweit die Wohlfahrt der großen Zahl zu maximieren ist; schon Smith hatte in seiner früheren Schrift „theory of moral sentiments“ darauf verwiesen, dass ein moralisches Regulativ zum freien Marktgeschehen dafür vorausgesetzt werden müsse.

Heute – also in der Augsburger Zeit – gehe ich die ganze Sache pragmatischer an oder anders: ich versuche mit einer Reihe von Mitstreiter (allen voran Gabi) in unserem Verein Ökonomie und Bildung e.V. das Thema kleiner – ohne Schiller und Smith -, konkreter und vor allem näher an den in Institutionen herrschenden Entscheidungskalkülen zu behandeln. Von unserem Symposium 2005 „Wirtschaft(s)macht Schule“ hatte ich berichtet. 2006 steht nun ein weiteres Symposium mit dem Titel: „Der Wertbeitrag des Nicht-Messbaren – Controlling zu Kommunikations- und Lernprozessen in Unternehmen“ an. Eine ganze Reihe interessierter Kollegen aus Unternehmen haben sich bereits angemeldet und wollen einen Beitrag in Form von Impulsvorträgen oder Workshopleitungen übernehmen. Offenbar kann das „Messthema“ Resonanzen erzeugen, was nicht verwundert, gilt es doch, den Nutzen des Schönen :-) exakter zu definieren und eben gegenüber dem Controlling zu legitimieren (legitimierbar zu machen). Am 28. April treffe ich mich mit vier anderen Kollegen (u.a. Schick und Partner) zu konkreten Vorbereitungen (Tagesablauf, Impulsvorträge, Workshop etc.).

Vor dem Hintergrund der herannahenden, fast schon bedrohlich konkreten Fragen z.B. um „wiederverwertbare Kennzahlen etc.“ ist mir aber auch wichtig, die Grundsatzfrage zum Zusammenspiel von Ökonomie und Bildung – zunächst als Antagonisten gedacht – wach zu halten (allzu oft wird das von den Praktikern als Gesabbel runter gemacht). Ich hatte vor einiger Zeit mit meinem geschätzten ;-) Sebastian Fiedler hierzu ein längeres Telefonat, wobei es zu zwei unterschiedlichen Positionen kam. Um das Gespräch nachvollziehen zu können, ist es sinnvoll, wenn ich mit meiner Position beginne: Ich gehe davon aus, dass all unsere gesellschaftlichen Bereiche oder Subsysteme von der ökonomischen Maxime durchzogen sind; man spricht hier auch vom ökonomischen Imperialismus (Homann/Suchanek). Die Allgegenwart von Kennzahlen, Qualitätssicherung, Kunden- und Servicedenke auch in Non-Profit-Organisationen zeugen davon, auch wenn sich hieraus kein zwingender Handlungsimperativ für den Einzelnen ergibt. Ich glaube daran, dass man Wissens-, Lern-, und Kommunikationsprozesse oder Bildung allgemein mit dem Instrumentarium der Ökonomie rechtfertigen und begründen kann und MUSS! „Kann“ deshalb, weil ich daran glaube, dass das ökonomische Prinzip offen ist für jede Art von Nutzen und dieser nicht zwingend (auch wenn das der main stream ist) auf den engen betriebswirtschaftlichen Nutzenbegriff eingeschränkt werden muss. „Muss“ deshalb, weil ich kein Alternativkonzept vor dem Hintergrund des ökonomischen Imperialismus sehe. Wer heute noch idealistische Forderungen stellt, die sich nicht mit der ökonomischen Matrix kombinieren lassen, der wird nicht gehört, erzeugt lediglich Rauschen. Was mir vorschwebt, ist eine “Ökonomie der Redundanz” oder noch weiter getrieben eine “Ökonomie der Kontemplation”. Mir ist bewusst, dass ich damit in einem gewissen Sinne kapituliere, meine Haltung entidealisiere oder wie man sagt, pragmatisch werde (ein sicheres Zeichen für das Älterwerden). Soweit, ich komme zu Sebastian. Er glaubt nicht daran, will nicht daran glauben, dass es so was wie einen ökonomischen Imperialismus gibt, er akzeptiert vor allem nicht, dass das ökonomische Prinzip dafür geeignet ist, Bildungsinteressen im weitesten Sinne durchzusetzen oder zu legitimieren. Während ich den Schulterschluss zur Ökonomie suche (in dem ich den Nutzenbegriff erweitern will), ist er misstrauisch und skeptisch gegenüber dem ökonomischen Prinzip, weil, so sagt er, damit Machtverhältnisse stabilisiert werden. Er sieht in der Ökonomie einen Gegenspieler von Bildung, weil die erste Macht erhält und ausbaut, die zweite Macht relativiert (im Diskurs relativieren kann).

So verschieden unsere Lösungsansätze zunächst scheinen, so einig sind wir uns doch in der Sache. Wir leben beide für das Ideal einer autonomen Bildung, sehen also eben diese wenn auch antiquiert klingende Bildung als erstrebenswert an – individuell und kollektiv! Er verfolgt den Weg der fruchtbaren Konfrontation, ich verfolge den Weg der systemischen Transformation. Kollektiv rational deshalb, weil in einer sog. Wissensgesellschaft die Differenz und eben nicht der mean stream zum Wohlstandsstabilisator wird. Es gilt halt „nur“ noch, die Differenz (= Bildung) in die nivellierende Funktionslogik von Organisationen zu integrieren. Der think tank als Quarantänetraum für die „Gspinnerten“ ist sicher nicht der richtige Ansatz. Spinner- und Querdenkertum sind zwar geflügelte Worte für ein Innovationsland, doch hat man im Grunde in Organisationen dafür keinen rechten Platz, weil man ja den Mehrwert des „an einem Strang ziehen“ nicht gefährden will. Organisationen müssen sich ändern, Organisationskultur muss sich ändern, Differenz ist keine Gefahr, wenn die Kultur Differenz als konstituierendes Element enthält.

Am Ende will ich noch einmal auf einen Aufsatz kommen, den ich gerade gelesen habe. Es handelt sich um einen 15-seitigen Text von Peter Heintel und Larissa Krainer, Titel: Bildung und Ökonomie. Der Text ist lesenswert wie ich finde. Im Kern warnen die Autoren vor der Reduktion der Bildung auf ihre Brauchbarkeit für Wirtschaft und Staat. Gegen Ende wird ein Plädoyer für eine „freie“ Bildung gehalten, deren Nutzen in einer mündigen, zivilen Gesellschaft mündet. Insbesondere der letzte Abschnitt – die Konsequenzen – will ich hier etwas länger zitieren:

Was jedenfalls zu dieser neu zu generierenden Bildung hinzugehört, ist eine grundsätzliche Analyse des (ökonomisch) Brauchbaren und Nützlichen sowie ihrer Grenzen. Es lässt sich zwar vieles an traditionellem Wissen, an spezieller (Fach-)Bildung auf Brauch- und Verwendbarkeit beziehen und reduzieren. So wird auch für jedes Kulturereignis die “Umwegrentabilität” angegeben werden können.

Uns jetzt kommt die für mich wichtige Passage:

In letzter Konsequenz unterliegt diese Reduktion aber einem selbstzerstörerischen Trugschluss. Verwertbarkeitskriterien werden nämlich meist in kausal-mechanistischen Modellvorstellungen gedacht. Hier eine “Schlüsselqualifikation”, da ihre Anwendung; hier spezieller Wissenserwerb, dort seine funktional aufweisbare Brauchbarkeit. Bereits Max Weber hat in diesem Modell seine funktionale “Idealbürokratie” zur Vorstellung gebracht, die allerdings nie so wie beschrieben eingerichtet wurde. Damit nämlich Verwertbarkeit garantiert ist, muss sie von zusätzlichen Wissens- und Bildungsfaktoren “begleitet” sein. Ohne “soft facts” keine “hard facts”. Man muss z.B. zusammenarbeiten wollen, vertrauen, dass der andere das gleiche will, muss davon ausgehen, dass man sich auf Zusagen und Vereinbarungen verlassen kann, dass Verträge auch ohne rechtliche Einforderung “halten” etc. Es muss also viel geschehen und vorausgesetzt werden, damit Nützlichkeit sein kann. Wird aber darauf keine Rücksicht genommen, ist auch diese Nützlichkeit gefährdet; sie wurde immer schon von einer “geheimen Ethik” begleitet, und diese muss insbesondere dann bewusst gemacht werden, wenn funktionaler Reduktionismus meint, ohne sie auskommen zu können.

Ich frage mich nach diesen Zeilen, ob Sebastian nicht doch Recht hatte, mit seiner Skepsis. Ob nicht eben die Vermischung von autonomer, freier Bildung und – wie es die Autoren nennen – heteronomer Bildung zu einer Auflösung der „geheimen Ethik“ führt. Die Autoren plädieren in ihrer Lösungsperspektive mit ähnlichen Kategorien, wie ich sie oben andeuten wollte:

Es geht um Themen wie: Gestaltung und Organisation selbstreflexiver Kommunikation, um die Einrichtung von Widerspruchselementen in Systemen, um die Aufhebung hinderlicher Arbeitsteilung (BildungsexpertInnen als SpezialistInnen, die wissen sollen, was für andere “Laien” Bildung ist), um die Etablierung anderer Zeitstrukturen, um die Identifikation von förderlichen Hilfsmitteln (z.B. Neue soziale Architekturen, Designs, Kunst als Darstellungs- und Reflexionshilfe, als kollektives Integrationsmittel etc.). Es geht also um den Einbau einer “Zwischenebene”, die freie Bildung erst ermöglicht; sie ist aber damit Teil von Bildung selbst und nicht von ihr abzutrennen. Dies muß auch deshalb hervorgehoben werden, weil wir hier lernen müssen.

Was nehme ich mit in die Ostertage? Ich denke, dass wir mit unseren Vereinsaktivitäten auf dem richtigen Weg sind, denn nur wenn man anschlussfähige Positionen anbietet, ist die notwendige Bedingung für einen gemeinsamen Diskurs erfüllt und, das weiß ich vom großen Schulmeister :-), man spricht erst dann vom Diskurs, wenn man an dem Punkt kommt, wo man sich gerade nicht mehr versteht. Diesen Punkt beim Thema „Bildung“ zu erreichen ist nicht schwer, zu verschieden sind die Erwartungen an diesen genuin deutschen Begriff mit seinen metaphysischen Implikationen. Dennoch: Ich halte gerade dieses schwerfällige deutsche „Ideal“ für fruchtbar, weil man sich daran reibt, weil es durch die Realität nicht eingeholt werden kann, weil es wegen seines Status (Ideal) immer „Maßstab für zu Messendes bleiben muss“ ( Heintel & Krainer).
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Von Veröffentlicht am: 14. April 2006Kategorien: AllgemeinKommentare deaktiviert für Man muss wollen, dass es wird