Gestern habe ich im Fernsehen einen mir sympathischen Begriff aufgeschnappt: „Eventpatriotismus“ – und zwar im Zusammenhang mit dem Fahnenkult rund um die Fussball-WM. Sympathisch ist mir diese Wortkreation deshalb, weil damit zum Ausdruck kommt, dass sich Menschen zeitlich begrenzt und sehr gegenstandsabhängig für etwas begeistern können. Und um diese gemeinsame Begeisterung Ausdruck zu verleihen, bedient man sich der niederschwelligen Formel „Wir Deutschen“, inklusiv der nationalen Symbolik wie Fahnen und Wappen. Sympathisch ist mir das auch deshalb, weil man damit der hitzigen Patriotismusdiskussion etwas den Wind aus den Segeln nimmt, d.h. Triebfeder dieses Kults ist nicht eine diffuse, zu stärkende Volksseele oder ein (staats-)politisches Kalkül. Das Ereignis WM stimuliert bei den Menschen einfach das Bedürfnis „mitzumachen“ und die Spielregeln des Mitmachens heißen: sich einer (irgendeiner!) Mannschaft zuzuordnen und dies nach außen sichtbar zu machen. Man sagt dann, „die Deutschen“, dass sind diejenigen, die ein äußeres Merkmal vereint, z.B. jene mit den schwarz-rot-goldenen Pullis. Vielleicht kann man an diesem Eventpatriotismus studieren, wie groß das Bedürfnis der Menschen (der Deutschen insbesondere?) ist – zumindest auf Zeit – sich einer größeren Gruppe zugehörig zu fühlen, dies lautstark zum Ausdruck zu bringen, mit geistbenebelndem Alkohol, im Schulterschluss, genderneutral und das noch mit Verdopplungseffekt des Mediums Fernseher (=> schau mal das sind wir!). Einmal „Ganzes-Sein“ dürfen …, im Kölner Karneval, in den religiösen Gemeinschaften und eben auch im Sport finden wir solche Erfahrungen. Das ist natürlich eine sehr psychologisch-funktionale Deutung des Geschehens. Pierre de Coubertin, der (Be)-Gründer der neuzeitlichen Olympischen Spiele hat immer wieder betont, dass der Sport die nationale Fixierung überwinden müsse, um einer inter-(nationale) Perspektive Platz zu machen. Ich denke, dass neben dem angesprochenen „flow of community“ eine solche politische Deutung sinnvoll und auch realitätsangemessen ist, eine, die die deutsche Identität wenn auch klischeehaft herauskehrt, die aber um Gottes willen daraus kein Recht ableitet, andere Nationen abzuwerten oder zu diskriminieren wie es im Patriotismus um 1900, z.B. an deutschen Schulen, gang und gebe war. Vielleicht kommen wir ja über diesen Zwischenschritt zu einer neuen transnationalen Identität, die Europa heißt. Aber eines ist auch sicher: für den Sportwettbewerb wie wir ihn kennen, ist das System Europa (noch) zu groß, wer soll denn da neben Europa noch mitspielen? Und wenn es doch „die Euros“ heißen soll, OK, aber dann müssten wir ein neues Spiel erfinden, mit Mannschaften wie Europa, Afrika, Asien etc. Vielleicht ist das der nächste Schritt in Richtung eines „Weltpatriotismus“, um selbst mal eine Wortkreation mit heuristischen Potential anzubieten.