Urlaub, Ideen und ein Buch

 Strandbild_AmrumDen Urlaub haben wir auf Amrum an der Nordsee verbracht. Wir haben uns in einem netten Haus mit Schwimmbad und Sauna eingemietet. Dass wir für das kommende Jahr schon wieder Amrum vorgebucht haben, sagt alles darüber aus, wie es uns gefallen hat :-). Anders als in südlichen Ländern gestalte ich (wir) den Tag wesentlich aktiver, weil das wechselnde (sicherlich auch kühlere) Wetter zu unterschiedlichen Aktionen herausfordert. Alles im Allem kommt der Norden mit seinen weißen Stränden (auf Amrum sind sie selbst in der Hochsaison herrlich leer) und die gelassenen Moin-Moin-Art der Bewohner meinem Bedürfnis sehr entgegen. Vor allen hat sich die Kombi-Reise mit den Schwiegereltern als „fruchtbar“ herausgestellt. Jeder der ein Kind dabei hat weiß, wie entlastend und erfreulich die Aufmerksamkeitsdiffusion sein kann ;-).

Bei uns geht es im Urlaub ja immer etwas anders zu als bei anderen – glaube ich jedenfalls. Das fängt an beim oben erwähnten Schwiegereltern-Kombi-Urlaub, geht über den W-LAN Laptop und endet bei den nicht wenigen Gesprächen zu Fragen des Lehrens und Lernens. Der Urlaub, insbesondere der nachmittägliche Kaffee, ist der Ort, bei dem wir Neues besprechen. U.a. haben wir in den letzten Tagen die Folien für den GMW-Vortrag (soweit) fertig gemacht und die Struktur des neuen Onlinebarometers festgelegt, zumindest was den Bereich der Emotionen angeht. Alles ist (neben Chris) an Jojo gegangen, der bis zum 22-ten einen ersten Prototyp auf Flashbasis erstellen möchte; er hat sich ja dazu entschieden zu diesem Thema seine BA Arbeit zu schreiben, was mich sehr freut. Auf der Grundlage der Ideen, u.a. auch von Chris und Alex , wird er sicherlich einen genuin eigen, kreativen Beitrag zum neuen „Onlinebarometer“ (der Begriff wird bald aufgelöst) leisten.

Im diesjährigen Urlaub begleitet mich ein gutes Buch. Mein Bruder hat es mir geliehen und es kommt zur rechten Zeit. Es ist ein lehrreicher Roman von Bryan Magee mit dem Titel „Bekenntnisse eines Philosophen“. In einem eher narrativen, autobiographischen Stil führt Magee den Leser durch einige Passagen der Philosophiegeschichte. Die ersten Kapitel drehen sich um die Oxforder Jahre, in denen Magee Geschichte und Philosophie studiert hat. Er rekonstruiert anhand vieler Begegnungen mit britischen Philosophielehrern und Seminarskizzen die Grundpositionen des Logischen Positivismus (Moore, Russel etc.), ohne die offensichtlichen Schwächen dieser empirischen, sich auf später die Sprachphilosophie fokussierenden Richtung zu verschweigen. Durch zwei längere Einschübe zu Begegnungen des Autors mit Karl Popper und Bernhard Russel erhält man die Möglichkeit, sehr nah und intim an die „Größen“ heranzurücken. Hier werden nicht nur spezielle Interpretationen der Hauptwerke (z.B. Poppers „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“) geboten, sondern es werden auch lustige Anekdoten erzählt; letztere schaffen die angesprochene Nähe und Intimität. Dass es sich um keine nüchterne „Einführung in die Philosophie“ handelt, merkt man spätestens im 13. Kapitel, indem der zu diesem Zeitpunkt 34-jährige Magee auf seinen eigentlichen Job als Fernsehjournalist, zeitweise auch als Politiker der Labour Partei, eingeht. Er zeigt die „Sümpfe“ der Realpolitik und die Differenz zu „seiner“ politischen Philosophie, die im Wesentlichen auf Poppers Füßen steht. Zudem wird immer wieder Magee Bemühen gezeigt, (Fach-)Philosophie einer breiten Hörerschaft in Radio und Fernseher zugänglich zu machen.

Das Kapitel endet mit einer Art Zäsur, den Hinweis, dass Magee in diesen Jahren seine Lebenskrise (Midlife-Crises) durchlebt, die er etwas später auch als „Kernschmelze“ bezeichnet. Zwar meldet sich schon in früheren Kapiteln das Bedürfnis nach den großen Sinnfragen an, vor allen in den sinnabstinenten Oxforder Jahren, aber mit Beginn der 4ten Lebensdekade, Mitten in seiner selbst attestierten vita activa, bricht Magee geradezu in ein mehrjähriges, schwarzes Loch. Dies ist der Zeitpunkt, an dem Magee beginnt, die (Lebens-)philosophen des europäischen Kontinent intensiver zu lesen: u.a. Kirkegaard, Nietzsche, Schopenhauer etc. Diese Autoren sprechen über das, worüber die anderen zum Schweigen verpflichtet haben (Wittgenstein). Man nimmt es Magee ab, wenn er seinen existenziellen Durst nach Sinn, in primär emotionalen Erfahrungen in der Konfrontation mit Kunst und Theater findet. Letzt endlich ist es aber die Philosophie von Arthur Schopenhauer, die ihn – wie er sagt – von seiner „geistigen Klaustrophobie“ rettet. Schopenhauer, der sich selber anschickt, die Philosophie Kants weiterzuentwickeln, findet in der Kunst, aber auch z.B. in der Beschäftigung mit Sexualität jene unmittelbare und existenzielle Erfahrung, die er ins Zentrum seiner Philosophie stellt. Und genau in dieser Doppelstruktur im Werk Schopenhauer erkennt Magee das, wonach er sich sein Leben lang sehnte: einerseits Antworten auf die von Kant hinterlassene Scheidelinie zwischen Phänomenon und Noumenon (einfacher kann man auch sagen: Erde und Himmel) und anderseits die Hinwendung zur lebendigen (und eben nicht begrifflich blutleeren) und universellen Erfahrung mit der Kunst i.w.S..

Ich will an dieser Stelle den Roman nicht weiter wiedergeben; einerseits ist genug gesagt um sich ein Bild zu machen anderseits findet sich im zweiten Teil ein Art Vertiefung zum ersten: es werden die Grenzen der analytischen Philosophie bzw. der akademischen Philosophie generell aufgezeigt und es wird die in einer Kanttradition stehende Philosophie Schopenhauers überschwänglich gelobt, wie ich es im letzten Abschnitt angedeutet habe. Am Ende hat mir das Buch viel Freude gemacht: es wechselt zwischen groben Verlaufsskizzen der Philosophiegeschichte, z.B. der der platonischen und aristotelischen Tradition, detaillierten Einzeldarstellungen, z.B. zum Wahrnehmungs- und Erfahrungsbegriff bei Kant, politisch-pragmatischen Folgerungen für die Realpolitik, z.B. durch die Optik der Popper-Freundschaft und bettet all diese Erkenntnisse in einen biographischen, sehr persönlichen Zusammenhang ein. Gerade diese intimen Erzählungen, die den Leser (mit) an den Rand seiner persönlichen Existenz führen, die biographische Brüche und Unzulänglichkeiten aber auch Wünsche und Erfolge Magee’s aufzeigt, versprühen eine emotionale Wärme und Glaubwürdigkeit, die (an-)spricht und lesenswert ist.

Im Grunde bildet das letzte Kapitel des Buches „Offene Frage“ noch einmal eine Zäsur. Man hat das Gefühl, dass Magee hier all das loswerden will, was ihn bis aufs Mark umtreibt; im Kern sind es Fragen zum (metaphysischen) Selbst, zum Tod und der Existenz „danach“. Auf den letzten 10 Seiten offenbart er uns sein Hauptmotiv: er hat eine Todesangst vor’m Sterben und daraus leitet er einen unmenschlichen Willen zum Überleben ab. Dieser Wille ist es, der ihn ein Leben lang – fast in Form eines Wahns – zu den grundlegenden Existenzfragen drängt. Und vor dem Hintergrund dieses menschlichen Grundmotivs ist der Roman in wahrsten Sinne des Wortes ein persönlicher BILDUNGS-Roman. Mir hat dieses Buch auch deshalb Freude gemacht, weil es mich weggetragen hat, weggetragen von all dem, was ich eigentlich im Moment lesen müsste! Damit hat ein Buch, ein Urlaubsbuch allemal, seine Hauptpflicht getan.