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Kraft und Kraftlosigkeit des Fußballspiels

Samstag lese ich manchmal die ZEIT – Wochenzeitungen entschleunigen. Hängen geblieben bin ich dieses Mal an einem Artikel mit der Überschrift „Sie sind der German Dream“ von Wolfgang Thielmann. Darin wird von Scoring Girls berichtet, ein Projekt der ehemaligen Bundesliga-Fußballspielerin Tuna Tekkal, die sich heute als ehrenamtliche Trainerin für junge geflüchtete Mädchen stark macht, die jenseits aller kulturell-religiöser Unterschiede einfach Fußball spielen wollen. „Fußball bringt sie zusammen und macht sie selbstbewusst“, so Tekkal im Artikel. Während ganz Deutschland also über Integrationsprobleme spricht (Özil, Clans etc.) zeigt sie, dass Integration gelingen kann, nämlich spielend!

Liest man die Geschichten der geflüchteten Mädchen, die Gräueltaten des IS, besonders an der Gruppe der Jesiden, dann erscheint das, was Frau Tekkal mit ihrem gemeinnützigen Verein Hawar Help macht, als Utopie, als ein (wirklicher) Nicht-Ort. Doch was hier auf dem Bolzplatz passiert, ist mehr als nur Vollspann: Es geht um Selbstbestimmung (der Frauen) und um ein „Gefühl der Freiheit“, wie Tekkal es ausdrückt. Darin wird deutlich: Das (Fußball-)Spiel erzeugt vor dem Hintergrund der spezifischen Spielidee seine eigensinnige, d.h. freie, kreative, kämpferische, leidenschaftliche, regelgeleitete und soziale Wirklichkeit, die sich vom Leben da draußen so wohltuend abgrenzt. Und genau durch diese Abgrenzung entsteht im Sport dieses „Gefühl der Freiheit“ – ein flüchtiges, aber kraftvolles Gut auf Zeit!

Vor ca. 20 Jahren hatte ein Kollege von mir (Sporthochschule) in seiner Diplomarbeit die Forschungsfrage gestellt, ob Kinder aus brasilianischen Slums ihre Fairness-Erfahrungen vom Bolzplatz in den Alltag transferieren können. Die Ergebnisse waren ernüchternd: Auf dem Platz folgte man artig den Regeln, zurück auf der Straße hatte man keine Scheu, die Pistole zu verwenden. Besser konnte man Kraftlosigkeit nicht auf den Punkt bringen.

Was kann also Fußball, was kann Sport leisten? Zum einen unendlich viel, z.B. bietet er Erfahrungen zur Selbstbestimmung, die vor allem dort wirken, wo bisher vorwiegend Fremdbestimmung herrschte. Zum anderen unendlich wenig, z.B. wenn alle Hoffnungen auf eine transferierbare Fairness ins Leere laufen.

Man darf also vom Fußball nicht viel erwarten, dann kann er die Menschen auch reich beschenken.

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